Kommentar:Ceta als Chance

Ein neues Gutachten des EuGH ist von erfrischender Klarheit: Der Ceta-Vertrag ist nach Ansicht der Richter selbstverständlich mit EU-Recht vereinbar.

Von Nikolaus Piper

Eine besondere Form der Fremdenangst ist die Angst vor fremden Waren, die angeblich den eigenen Wohlstand gefährden. Donald Trump versteht es, diese Angst auszubeuten, aber auch andere Populisten von links wie von rechts wissen das protektionistische Spiel zu spielen. Nachdem, dank Trump, das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP keine Chance mehr hat, richtete sich der Protest in Deutschland zuletzt vor allem gegen Ceta, das Abkommen der EU mit Kanada. Ceta ist zwar in Kraft, wurde aber noch nicht von allen Staaten ratifiziert und wird weiter erbittert bekämpft. Die Liste der Gegner des "Comprehensive Economic and Trade Agreements" - so der offizielle Titel - ist lang. Sie reicht von Umweltverbänden über die Linken, die Grünen und die Freien Wähler in Bayern bis zur AfD. Die Proteste richten sich vor allem gegen ein neues Schiedsgericht, das nach Ceta kanadische Investoren in der EU und europäische in Kanada anrufen können, wenn sie zum Beispiel glauben, sie würden durch eine Vorschrift ganz oder teilweise enteignet.

Das vorgesehene Schiedsgericht etabliert keine Paralleljustiz

Kritiker sehen in diesem Gericht eine "Paralleljustiz", die Umwelt- und Sozialstandards aushebeln könnte. Die belgische Regierung rief wegen dieser Bedenken den Europäischen Gerichtshof an. Die Richter sollten prüfen, ob das Ganze überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist.

Jetzt liegt das Gutachten des EuGH vor. Es ist von erfrischender Klarheit. Der Ceta-Vertrag ist nach Ansicht der Richter selbstverständlich mit EU-Recht vereinbar. Das vorgesehene Schiedsgericht etabliert keine Paralleljustiz, es darf sich mit Ceta befassen und sonst mit nichts. Mehr noch: Das Abkommen treffe Vorkehrungen dafür, dass demokratisch beschlossene Gesetze und Vorschriften nicht beeinträchtigt würden, "insbesondere in den Bereichen des Schutzes der öffentlichen Sicherheit, des Schutzes der öffentlichen Moral, des Schutzes des Lebens und der Gesundheit von Menschen und Tieren, des Schutzes der Lebensmittelsicherheit, des Schutzes der Pflanzen, des Schutzes der Arbeitssicherheit, des Schutzes der Produktsicherheit, des Verbraucherschutzes oder des Schutzes der Grundrechte".

Auch die Sorge, Ceta schaffe ein besonderes Klagerecht für Konzerne, entkräftet der EuGH. Nicht nur große, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen und sogar Einzelpersonen hätten Zugang zum Schiedsgericht, wenn sie sich in Kanada oder der EU in ihren Rechten aus Ceta übergangen fühlen.

Das Gutachten des EuGH hat Bedeutung weit über das Verhältnis zu Kanada hinaus. Es kann die Debatte versachlichen und es schafft die Voraussetzungen dafür, dass die EU mit weiteren Staaten derartige Abkommen schließen kann. Die Präsidentschaft von Donald Trump und der Aufstieg der Volksrepublik China zeigen, dass das Ideal des freien Welthandels von wichtigen Mitspielern nicht mehr geteilt wird. Umso wichtiger ist es, die Handelsbeziehungen zwischen Staaten zu verrechtlichen, die dazu bereit sind. Nach Kanada geht es demnächst um ein Abkommen mit Japan. Man darf nicht vergessen, wozu Investitionsschutzabkommen überhaupt erfunden wurden. Ihr Ziel war es, Auslandsinvestitionen in Ländern mit unterentwickelten Rechtssystemen möglich zu machen. Das erste wurde bereits 1959 zwischen der Bundesrepublik und Pakistan geschlossen. Heute ist klar, dass solche Abkommen auch zwischen Staaten mit gleich entwickelten Rechtsordnungen nützlich sind.

Ausländische Investitionen tragen dazu bei, dass die Welt zusammenwächst. Sie steigern die Produktivität in den beteiligten Ländern und Unternehmen. Investitionsschutz sorgt dabei für Rechtssicherheit, wobei die Instrumente dieses Schutzes laufend modernisiert werden müssen. Leicht wird übersehen, dass der Handelsgerichtshof, wie Ceta ihn einrichtet, ein großer Fortschritt gegenüber den bisher in solchen Abkommen üblichen Schlichtungsausschüssen ist. Bedenkenswert ist eine Änderung, den der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium vorgeschlagen hat: Investorenschutz soll es künftig nur noch für Direktinvestitionen geben, für Unternehmer also, die ihr Geld in konkrete Gebäude und Maschinen stecken. Wird der Schutz auf die Käufer von Aktien und Anleihen ausgedehnt, könnten die Regeln von Spekulanten missbraucht werden.

Ceta ist jedenfalls ein großer Schritt nach vorne. Möglich wurde er, weil die EU im linksliberal regierten und freihändlerisch denkenden Kanada den richtigen Partner hatte. Diese Chance sollte Europa nicht vertun.

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