Süddeutsche Zeitung

Integration in den Arbeitsmarkt:Wir brauchen ein Bündnis für Flüchtlinge

Die Neuankömmlinge könnten für dieses Land eine Bereicherung sein, ein Gewinn. Anders als die Menschen in Heidenau hat die Wirtschaft das erkannt.

Kommentar von Ulrich Schäfer

Deutschland geht es verdammt gut: Die Wirtschaft brummt, während anderswo schon Krise ist; die Zahl der Arbeitslosen ist niedrig und die der Beschäftigten so hoch wie noch nie; der Export läuft nach wie vor. Deutschland geht es gut, und daran wird sich nichts ändern, auch wenn jetzt Hunderttausende Flüchtlinge ins Land kommen: aus Ländern, in denen der Krieg tobt, aus Gegenden, in denen Menschen andere Menschen meucheln.

Der deutschen Wirtschaft, die doch angeblich so konservativ ist, so rückständig (was in Wahrheit nicht stimmt), sind diese Neuankömmlinge hochwillkommen. Die Unternehmen und ihre Lobbyisten treten den Menschen aus Syrien und Mali, aus dem Irak oder Eritrea ganz anders entgegen als die Demonstranten in Heidenau: nicht ablehnend, nicht abwehrend, nicht mit plumpen Parolen - sondern in den allermeisten Fällen offen und hilfsbereit. Die Wirtschaft denkt, anders als auch mancher in der CSU, nicht zuerst ans Abschieben, sondern ans Aufnehmen.

Denn diejenigen, die da kommen, können für dieses Land eine Bereicherung sein, ein Gewinn, sie können - wenn man es richtig macht, wenn man sie integriert und vor allem sie arbeiten lässt - ein Mehr an Wohlstand bringen. Und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen.

Die Flüchtlinge sollten unkomplizierter arbeiten dürfen

Der erste hat mit den Grundregeln der Integration zu tun: Nur wer die Sprache des Landes kann, in dem er lebt, der kann sich in die Gesellschaft integrieren - so lautet der oberste Leitsatz der Integration. Aber das ist nur die eine Hälfte: Denn was nützt es, wenn man zwar die Sprache spricht, aber nicht arbeiten kann, nicht arbeiten darf, obwohl man das will? Es führt bei denen, die hier Asyl suchen, zu Frust, es entwertet, wenn sie jahrelang nicht arbeiten können, ihr Wissen; und es kostet den Staat Geld, während ein Flüchtling, der Arbeit hat, dem Staat Geld bringt. Wer arbeitet, wird schneller integriert.

Der zweite Grund: Viele der Neuankömmlinge sind gut ausgebildet. Es machen sich ja (was für die Heimatländer ein gravierendes Problem ist) oft diejenigen auf den Weg, die eine bessere Bildung haben; aus Syrien zum Beispiel kommen überdurchschnittlich viele Akademiker. Und wer nicht so gut ausgebildet ist, der will lernen, damit er mithalten kann am deutschen Arbeitsmarkt. Das aber wird geduldeten Flüchtlingen oft durch die bestehenden Regeln verwehrt. In der Wirtschaft sieht man dieses Problem. Wieso soll zum Beispiel ein Unternehmen jemanden als Auszubildenden einstellen, wenn nicht klar ist, ob er die Lehre überhaupt zu Ende bringen kann - und schon gar nicht, ob er danach nicht wenigstens zwei Jahre mit seinem erlernten Wissen dem Betrieb dienen kann?

Deutschland hat von Migration schon immer profitiert

Der dritte Grund: Unternehmen funktionieren besser, sind erfolgreicher, wenn ihre Belegschaft möglichst vielfältig ist. Diversity, Diversität ist das wichtigste Argument, wenn hierzulande für eine Frauenquote geworben wird. Diversität ist aber auch darüber hinaus wichtig. Denn je größer die Mischung beim Alter ist, bei den Charakteren und eben auch bei der Nationalität, umso eher werden in einer wissensbasierten Wirtschaft gute Ideen geboren und Dinge weiterentwickelt. Das Silicon Valley mit seinen oft höchst international besetzten Unternehmen ist das beste Beispiel dafür.

Und schließlich der vierte Grund: Deutschland ist (auch wenn das viele nicht hören mögen) nun mal ein Einwanderungsland. Nicht erst jetzt, sondern schon seit Jahrhunderten. Man muss dazu nur in die Geschichtsbücher schauen. Oder in die Telefonbücher. Es ziehen seit Langem Menschen hierher: Sie kamen im 17. Jahrhundert, weil sie daheim wegen ihres Glaubens verfolgt wurden (Hugenotten), sie wurden im 19. Jahrhundert im Bergbau gebraucht (Polen), sie kamen im 20. Jahrhundert als Gastarbeiter (Italiener, Portugiesen oder Spanier). Deutschland ist zugleich seit Jahrhunderten ein Auswanderungsland. Beides hat dazu beigetragen, dass auch die deutsche Wirtschaft so international verflochten und im Export erfolgreich ist.

Wenn es nun darum geht, die Flüchtlinge zu integrieren, und zwar auch in den Arbeitsmarkt, dann ist eine gemeinsame Kraftanstrengung von Wirtschaft und Politik nötig. Die Wirtschaft muss Jobs anbieten, Ausbildungsplätze, Studienplätze; und die Politik muss die Regeln für den Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge lockern und die Berufsanerkennungsverfahren für sie beschleunigen. Gerhard Schröder hat, als er Kanzler war und die Arbeitslosigkeit hoch, alle an einen Tisch geholt und ein "Bündnis für Arbeit" initiiert, um die Arbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren; heute braucht es ein "Bündnis für Flüchtlinge".

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SZ vom 28.08.2015/sana
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