Kommentar:Bitte zahlen!

Die Versicherer haben sich mit ihrer Weigerung, Pandemie-Schäden aus Betriebsschließungen zu übernehmen, unmöglich gemacht. Sie sollten jetzt zahlen und den Weg freimachen für echte Pandemie-Lösungen.

Von Herbert Fromme

Die Versicherer haben sich durch ihre Weigerung, Pandemie-Schäden aus Betriebsschließungen zu zahlen, in eine unmögliche Lage gebracht. Sie alle sollten - wie es wenige Gesellschaften tun - die Schäden rasch bezahlen und so ihren Kunden und sich selbst den jahrelangen Gang durch die Instanzen ersparen.

Die konkreten Fälle sind bizarr. Da fragt ein besorgter Gastronom aus Hessen am 27. Februar 2020 seinen Allianz-Vertreter über Whatsapp: "Wenn jetzt dieses Virus um sich greift, sind wir da versichert?" Der Allianzer beruhigt fünf Minuten später: "Über die Betriebsschließung seid ihr versichert. Den Vertrag habe ich letztes Jahr für euch gemacht." Der Restaurantbesitzer fragt noch mal nach: "Muss ich mir also keine Sorgen machen, wenn Ausgangssperre ist und keiner mehr essen kommt?" Die prompte Antwort: "Ja."

Zwei Monate später weigert sich die Allianz, die vereinbarte Summe zu zahlen. Ähnlich agieren die meisten Anbieter. Die deutschen Versicherer haben es in kurzer Zeit geschafft, ihren Ruf in einem Teil der Wirtschaft völlig zu ruinieren. Es gibt wenige Gesellschaften, die anstandslos zahlen - dazu gehören HDI und Signal Iduna. Alle anderen mauern.

Die Begründungen sind atemberaubend. Man habe nur die Schließung eines einzelnen Betriebs durch die Behörden versichert, wenn beispielsweise der Koch oder ein Kellner eine ansteckende Krankheit hat. Eine Schließung per Allgemeinverfügung sei nicht abgedeckt. Da fragt man sich, warum die Versicherer genau das nicht klipp und klar in die Bedingungen geschrieben haben. Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Pandemien, sie wussten, was kommen kann.

Anbieter wollen ihre Kunden auf den Corona-Schäden sitzen lassen. Das darf nicht sein

Oder die Versicherer argumentieren, dass Corona bei Abschluss der Police noch nicht bekannt war. Was für ein erbärmliches Argument bei einer Versicherung, die Betriebe gegen Schäden durch Viren schützen soll. Das ist so, als ob der Versicherer eine Feuerdeckung verkauft, aber dann nicht zahlt, weil der Brand mit einer neuen Art von Feuerzeug gelegt wurde, das bei Abschluss noch nicht existierte.

Es stimmt: Pandemieschäden sind schwer versicherbar. Aber dann müssen die Anbieter ihren Kunden sagen, dass sie bei einer Schließung aller Restaurants nicht zahlen. Die meisten haben geschlampt bei den Versicherungsbedingungen und wollen jetzt die Kunden auf den Schäden sitzen lassen. Das darf nicht sein.

Wie groß das schlechte Gewissen der Vorstände ist, sieht man an ihrer frühen Antwort auf Kritik: Sie haben unter Leitung des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger mit den Gastronomen einen "Kompromiss" ausgehandelt, nach dem sie 15 Prozent zahlen. 70 Prozent der Belastung würden vom Staat über Kurzarbeitergeld und Zuschüsse kommen, den Rest wolle man sich teilen.

Abgesehen davon, dass die bayerischen Gastronomen sich dabei schlicht über den Tisch haben ziehen lassen, ist die "bayerische Lösung" auch das Gegenteil von einem Vergleich. Wer seinem Kunden statt der Leistung, die er schuldet, 15 Prozent anbietet, verspottet ihn. Wenn die Versicherer ehrlich einen Kompromiss gewollt hätten, hätten sie schon 30 Prozent auf den Tisch legen müssen.

Dennoch haben mehr als die Hälfte der betroffenen Betriebe die "bayerische Lösung" inzwischen akzeptiert - weil sie jahrelange Prozesse fürchten und dringend Bares brauchen. Aber das sollten die Versicherer nicht als Erfolg verbuchen. Von den anderen Gastronomen werden viele klagen, ihre Aussichten sind gut. Das Image, dass sie im Ernstfall nicht zahlen wollen, wird lange an den Versicherern haften.

Die Lösung? Die Branche muss die Schäden zahlen, auch an jene Betriebe, die den "Kompromiss" angenommen haben. Das dürfte sie an die zwei Milliarden Euro kosten, während die Prämieneinnahmen in der Sparte jährlich gerade mal 25 Millionen Euro betragen. Ja, das ist ein krasses Missverhältnis - aber das ist nicht die Schuld der Kunden, sondern der schlechten Arbeit der Juristen, die diese Verträge geschrieben haben.

Nur wenn sie das Problem rasch aus der Welt schaffen, können die Versicherer erwarten, dass sie künftig noch eine Rolle spielen, wenn es um die Absicherung der Betriebe gegen Pandemierisiken geht.

Wahrscheinlich wird eine solche Absicherung nur funktionieren, wenn private Versicherungswirtschaft und Regierung zusammenarbeiten und der Staat bei den ganz großen Katastrophen einspringt - so wie das bei den Terrorrisiken schon der Fall ist. Eine solche Lösung ist richtig. Aber bevor die Versicherer sich um dieses neue Geschäftsfeld kümmern, sollten sie erst einmal ihre Schulden bezahlen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: