Drinnen verkündet der Chef das zweitbeste Ergebnis der Unternehmensgeschichte, draußen demonstriert die Gewerkschaft gegen immer schlechtere Arbeitsbedingungen. So war das am Montag beim Münchner Weltkonzern Knorr-Bremse, und es ist ein guter Anlass, einige grundsätzliche Fragen zu stellen. Zum Beispiel die nach dem Preis, den ein Unternehmen und eine Gesellschaft bereit sind zu zahlen für Erfolg in modernen Zeiten und in einer globalen Wirtschaft. Im konkreten Fall ist dieser Preis zu hoch.
Wie unter dem Brennglas zeigt die Situation von Knorr-Bremse, was es offenbar braucht, um in der Globalisierung erfolgreich zu sein. Das Traditionsunternehmen stand Mitte der 1980er-Jahre vor dem Untergang. Das war genau die Zeit, in der der globale Wettbewerb Fahrt aufnahm. Länder in Osteuropa, Asien und Südamerika machten den westlichen Industriestaaten mit technologischem Fortschritt und billigen Arbeitskräften zunehmend Konkurrenz. Deutsche Unternehmen und Arbeitsplätze im Inland gerieten zunehmend unter Druck.
In dieser Lage übernahm der wohl geniale Unternehmer Heinz-Hermann Thiele die marode Knorr-Bremse und schrieb mit ihr eine der größten Erfolgsgeschichten, die es in der deutschen Wirtschaft der letzten Jahrzehnte gibt. Seine Strategie war es, nicht vor der Globalisierung davonzulaufen, sondern sie zu umarmen. Er übernahm in jeder Ecke der Welt Unternehmen und trimmte sie auf Profit. Heute gehört Knorr-Bremse weltweit zu den größten und erfolgreichsten Herstellern von Schienen- und Lkw-Bremssystemen.
Wer die Tarifpartnerschaft aufkündigt, gefährdet das den sozialen Frieden
Teil der Strategie war es auch, die Kosten im Inland drastisch zu senken. Dazu trat der Konzern schon vor Jahren aus der Tarifbindung aus. Er verlangt seinen Arbeitnehmern einiges ab - zum Beispiel eine Arbeitszeit von 42 Wochenstunden, während im Tarif 35 Stunden festgeschrieben sind und andere Unternehmen maximal 38 Stunden vereinbart haben. Der aktuelle Konflikt mit der Gewerkschaft und dem Betriebsrat entzündet sich daran, dass der Konzern die 42 Stunden Arbeitszeit auf Unternehmen übertragen will, die er übernommen hat.
Der Vorstand von Knorr-Bremse begründet das Vorhaben damit, dass der deutsche Standort mit Unternehmen aus Indien oder China konkurrieren müsse, wo die Arbeitszeiten auch viel höher seien. Schließlich profitierten deutsche Arbeitnehmer vom internationalen Erfolg des Konzerns, man verlange ja nur 48 Minuten Mehrarbeit am Tag.
Treibt man dieses Argument auf die Spitze, müsste man das weltweite Rattenrennen um die Arbeitsbedingungen immer weiter mitmachen und die Arbeitszeit letztlich auf das Niveau von chinesischen Leiharbeitsfirmen treiben, die ihre Mitarbeiter ausbeuten. Wo ist die Grenze? Was kommt nach den 42 Stunden?
Die deutsche Wirtschaft ist nach dem Zweiten Weltkrieg im Konsens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern groß geworden. Das Modell der Mitbestimmung hat sich bewährt, auch wenn es in Zeiten der Globalisierung angepasst werden muss. Der richtige Weg ist jener der Flexibilisierung, so wie es die Tarifpartner in den vergangenen Jahren auch häufig vereinbart haben: eine Arbeitszeit, die mit der Auftragslage atmet - ja. Befristete Jobs unter bestimmten, festen Bedingungen - ja. Aber eine einseitige Aufkündigung der Tarifpartnerschaft - nein.
Trotz des wirtschaftlichen Erfolgs des Konzerns kann das Modell Knorr-Bremse deshalb kein Vorbild für andere deutsche Unternehmen sein. 5,5 Milliarden Euro Umsatz hat der Konzern im vergangenen Jahr gemacht, die Umsatzrendite liegt bei zehn Prozent. Davon können viele andere Unternehmen nur träumen. Aber die Frage ist auch, ob es etwas weniger Gewinn für die Eigentümerfamilie nicht auch täte. Der große Erfolg ist erkauft mit schwindenden Arbeitnehmerrechten. Hier ist etwas ins Ungleichgewicht geraten, das zu dem verbreiteten Gefühl beiträgt, dass von der Globalisierung einige wenige profitieren, während viele andere dabei draufzahlen. Der gesellschaftliche Frieden ist ein hohes Gut. Wer aus der Tarifgemeinschaft ausschert, gefährdet ihn.
Die Gewerkschaften in Deutschland haben historisch große Verdienste. Sie haben in jüngerer Zeit zwar auch Fehler gemacht und manchmal den Druck unterschätzt, unter dem Unternehmen in globalisierten Zeiten stehen. In diesem Fall aber ist es ihr Recht und ihre Pflicht, sich hinzustellen und zu sagen: Bis hierher und nicht weiter. In einem Land, in dem am Ende die Unternehmerseite tun und lassen könnte, was sie will, und die Arbeitnehmerseite alles mit sich machen lassen müsste, möchte man nicht leben.