Rechte für Arbeitnehmer:Betriebsräte sind nicht nur meckernde Bedenkenträger

Demonstration der GEW, GdP und IG BAU

Unternehmen versuchen trickreich, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern. Das darf der Staat nicht zulassen.

(Foto: dpa)

In vielen Firmen gibt es keinen Betriebsrat mehr. Auch, weil viele Unternehmen die Gründung sabotieren. Das darf der Staat nicht zulassen.

Kommentar von Alexander Hagelüken

Wie die Deutschen arbeiten, verändert sich rasant. E-Mails und andere Innovationen sprengen Althergebrachtes wie den Achtstundentag im Büro, der bisher den Berufsalltag strukturierte. Die Neuheiten schenken den Beschäftigten häufig Freiheit. Sie können nachmittags die Kinder abholen und das restliche Pensum erledigen, wenn der Nachwuchs schläft. Dazu kommt, dass zumindest Qualifizierte derzeit gefragt sind und sich entsprechend sicher fühlen.

Mancher junge Dynamiker glaubt daher, auf vieles Althergebrachte verzichten zu können. Auch auf einen Betriebsrat. Denn das ist für ihn ein Typ (eine Typin) im Rollkragenpullover, der immer gegen alles Neue stänkert.

Wer in einer Firma mit mindestens fünf Beschäftigten angestellt ist, hat meist das Recht auf eine Interessenvertretung. Dennoch haben immer weniger Deutsche einen Betriebsrat. Waren es in den Neunzigerjahren noch die Hälfte der Beschäftigen, sind es inzwischen weniger als 40 Prozent.

Dieses Schrumpfen hat verschiedene Ursachen. Jungdynamische Start-ups vermischen Arbeit und Freizeit so konsequent, dass keiner an eine Instanz denkt, die über die Grenzen der Arbeit wacht. Bei anderen Arbeitnehmern haben sich die Räte teilweise den Ruf der Bedenkenträger erworben. Sie teilen dieses Schicksal mit den Gewerkschaften, die in neuen Branchen oder Arbeitsformen zuweilen keine passenden Angebote machen.

Der Rückgang der Betriebsräte lässt sich aber auch durch etwas ganz anderes erklären: Durch Firmen, die die Bildung einer Interessenvertretung sabotieren. Sie schüchtern Kandidaten ein, greifen zu Tricks oder setzen zwielichtige Anwälte in Marsch. Designierten Betriebsräten wird schon mal Sexspielzeug oder eine gefälschte Kündigung nach Hause geschickt - oder ihrem Gatten ein Seitensprung angedichtet.

Die deutsche Wirtschaft hat sich gewandelt. Waren die Betriebsräte in der Industrie Standard, sind sie es bei Dienstleistern nicht mehr. Der Servicewirtschaft sind Instanzen lästig, die die Flexibilitäten ihres Geschäftsmodells limitieren. Gerade Handelskonzerne und Gastronomen fallen hier auf. Dazu kommt der Einfluss ausländischer Firmen, denen das deutsche Modell fremd ist - ob amerikanische Internetkonzerne oder der asiatische Franchisenehmer bei Burger King, der 20 Betriebsräten kündigte.

Wenn Beschäftigte keine Interessenvertretung möchten, ist das ihr gutes Recht. Ganz anders verhält es sich, wenn die Firma das gesetzlich verbriefte Recht auf eine Vertretung aushebelt. Da sind Politik und Justiz gefragt, die diese Machenschaften zu häufig dulden. Denn ein Betriebsrat erweist sich für viele Beschäftigte irgendwann mal in ihrem langen Berufsleben als nützlich. Auch für die jungen Dynamiker.

Das mag schon früh passieren, wenn der Mitarbeiter abends und am Wochenende mit Mails bombardiert wird, auf die sofort Antworten erwartet werden. Oder erst später, wenn er sich weniger dynamisch fühlt und fragt, wie leicht ihn die Firma im Herbst seines Berufslebens loswerden kann. Manche Illusion des 24-Jährigen hält nicht mal bis 42.

Betriebsräte dürfen nicht nur meckern

Es sind gerade Inhaberfirmen, die die Bildung eines Betriebsrates behindern. Eigentümer fühlen sich in ihrer Macht herausgefordert. Interessant ist, dass sich etwas wandelt, sobald es doch zu einer Interessenvertretung kommt. Der Arbeitgeber stellt die Störmanöver dann oft ein.

Er hat es zu schätzen gelernt, einen Ansprechpartner für die Belange der Mitarbeiter zu haben. Je konstruktiver Betriebsräte dabei auftreten, je seltener sie gegen alles Neue stänkern, desto mehr Werbung machen sie für das Modell der Interessenvertretung - gerade bei zögernden Arbeitnehmern.

Die Politik sollte aber nicht warten, ob in der ganzen Wirtschaft ein Umdenkprozess einsetzt. Sie schützt den Anspruch auf einen Betriebsrat zu schlecht. Da kursieren Tricks, eine Firma in immer kleinere Einheiten zu zerlegen oder mit Insolvenz und Neugründung zu drohen, um einen Betriebsrat zu verhindern. Weil Arbeitgeber mit solchen Machenschaften zu leicht davonkommen, wenden sie sie zu oft an.

Theoretisch steht auf die Behinderung von Betriebsratsarbeit bis zu ein Jahr Gefängnis. Praktisch kommt es zu solchen Urteilen nicht. Die Politik muss bessere Bedingungen dafür schaffen, dass alle Arbeitnehmer einen Betriebsrat bekommen, die einen möchten.

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