Kommentar:Alles, nur nicht normal

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Die Deutsche Bank muss sich ihren Platz neu erkämpfen. Dabei sollte sie bedenken, wie wichtig sie für die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist.

Von Meike Schreiber

In Deutschland gibt es 3,5 Millionen Unternehmen. Eine überragende, sozusagen Tagesschau-fähige Bedeutung besitzen aber nur wenige Konzerne. Die Deutsche Bank ist einer davon; entsprechend herausgehoben ist die Position an ihrer Spitze.

Einige dieser Chefs haben in den vergangenen Jahrzehnten Epochen geprägt und Entscheidungen getroffen oder beeinflusst, die über den Tag hinauswiesen. Hermann-Josef Abs führte im Namen der Bundesregierung nach 1945 die Schuldenverhandlungen mit den Siegermächten, Alfred Herrhausen setzte sich in den Achtzigerjahren gegen heftige Widerstände für den Schuldenerlass in der Dritten Welt ein. Sein Nachfolger Hilmar Kopper führte die Deutsche Bank in die Weltliga des Investmentbankings und stand mit seinen zahlreichen Aufsichtsratsmandanten wie kein Zweiter für die Verflechtungen der Deutschland AG.

Der neue Chef muss den Heimatmarkt und die Exportwirtschaft im Blick haben

Josef Ackermann wiederum war die zentrale Figur der globalen Bankenbranche, als es darum ging, die Finanzkrise - die seinesgleichen mit heraufbeschworen hatte - zu bekämpfen. Auf Ackermann folgte schließlich Anshu Jain. Dessen historische Leistung ist es allenfalls, den Ruf der Bank so gründlich ruiniert zu haben, dass sie manchen heute schon als Übernahmekandidat gilt.

Seit Juli nun ist John Cryan Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank. Vier Monate sind zu kurz, um ein profundes Urteil über die Fähigkeiten des neuen Chefs abzugeben, aber doch lang genug, um zu sagen, dass er wohl der richtige Manager für eine überschaubare Zeit ist.

Das ist beruhigend und bitter zugleich: Beruhigend, weil der unprätentiöse Brite mit der sanften Stimme und dem nahezu perfekten Deutsch den Stier bei den Hörnern packt, anders als Jain: Er will brutal Kosten senken, Personal abbauen, Töchter verkaufen oder schließen, die IT völlig neu aufsetzen und das Kapitalmarktgeschäft schrumpfen. Zudem hat er fast handstreichartig weite Teile des Vorstands ausgetauscht und klargemacht, dass die Aktionäre in den nächsten Jahren von Dividenden nur träumen können. Dem Annus horribilis 2015 werden weitere folgen, so viel ist klar.

All das freilich offenbart den bitteren Kern der Wahrheit: Cryans Vorgänger haben die Deutsche Bank derart herabgewirtschaftet, dass ihrem Nachfolger nur mehr bleibt, den Konzern so über die Runden zu bringen, dass er aus eigener Kraft überleben kann. Eine echte Wachstumsstrategie jedoch hat auch Cryan nicht.

Eine schlankere, effizientere Bank soll sie künftig sein, das schon. Aber wo sie künftige Ertragspotenziale erschließen kann und wie sie ihren Ruf als Partner der Industrie wiederherstellen will, hat der Brite noch nicht ausreichend dargelegt. Anders als das produzierende Gewerbe haben Banken wenig Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz abzuheben. Innovationen sind rasch kopiert, sofern sie überhaupt die verschlungenen Entscheidungspfade eines Konzerns mit noch 100 000 Mitarbeitern durchlaufen.

Daraus leitet sich die Frage ab: Wer braucht überhaupt noch die Deutsche Bank? Die Radikalantwort ("Niemand!") führt nicht weiter, schließlich hat Cryan nicht vor, den Konzern aus dem Handelsregister zu löschen. Als Daseinsberechtigung gibt er vielmehr ihre Verankerung im Heimatmarkt aus. Das ist der richtige Pfad: Noch immer hat die Deutsche Bank mehr Möglichkeiten, insbesondere international der wichtigste Ansprechpartner hiesiger, vor allem exportorientierter Konzerne zu sein.

Untermauert hat Cryan sein Bekenntnis zu Deutschland freilich nicht. Nur mit Mühe musste er zu seinem ersten öffentlichen Auftritt in Frankfurt überredet werden; der neue Vorstand für das enorm bedeutende Firmenkundengeschäft, Jeff Urwin, sitzt in New York. Vom Hudson aus muss er sich mit Deutschlands Industrieelite vernetzen und zugleich den Aderlass an exzellenten Firmenkundenberatern stoppen, der die Bank genau dort schwächt, wo sie sich noch abheben kann von anderen Wettbewerbern.

Geht Jürgen Fitschen im Mai 2016 in den Ruhestand, bleibt der Job des "Mister Deutschland" im Konzern bis auf Weiteres unbesetzt. Kaum anzunehmen jedenfalls, dass Urwin die Honneurs beim Neujahrsempfang des Zentralverbandes des deutschen Handwerks macht. Privatkundenchef Christian Sewing ist zu neu auf der großen Bühne und steht einer Sparte vor, die verkleinert wird.

Dies ist aktuell vielleicht die größte Gefahr: die Deutsche Bank könnte ein normales Unternehmen werden. Das würde ihrer eigentlichen Bedeutung in der viertgrößten Wirtschaftsmacht der Welt nicht gerecht - es wäre der Anfang vom Ende.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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