Kolumne: Silicon Valley:Die Verwandlung

Kolumne: Silicon Valley: An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Marc Beise (München) im Wechsel.

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Marc Beise (München) im Wechsel.

Das Silicon Valley ist ein rasender Erfolg. Palo Alto ist so etwas wie sein Zentrum und hier zeigt sich, was Reichtum und ständiger Triumph aus einem freundlichen kleinen Städtchen machen können. Nicht jeder findet die Entwicklung gut.

Von Malte Conradi

James Santana erinnert sich an eine idyllische Kindheit in Palo Alto, dem Zentrum des Silicon Valley. Nach der Schule half er ein bisschen in der Eisdiele seiner Eltern mit, später radelte er mit seinen Freunden durch das Städtchen. "Ab fünf Uhr waren hier alle Geschäfte zu, die Straßen waren leer", erzählt er. In nur zwei Minuten wäre Santana mit dem Fahrrad an der Garage gewesen, in der Bill Hewlett und Dave Packard 1939 das Technologieunternehmen Hewlett-Packard gründeten. Die Garage gilt heute als Geburtsort des Silicon Valley. Aber das interessierte in den Siebzigerjahren kaum jemanden. "Ich kannte den Namen Hewlett-Packard damals wahrscheinlich gar nicht", sagt Santana.

Heute, so erzählt er, erkennt Santana seine eigene Heimatstadt oft nicht wieder. Auf den ersten Blick ist Palo Alto immer noch eine beschauliche Kleinstadt, mit alten Bäumen an den Straßenrändern, einer lebendigen Hauptstraße fast ganz ohne die in Amerika sonst üblichen Ketten und mit der vielleicht schönsten Kinderbibliothek des ganzen Landes. Aber tatsächlich hat sich Palo Alto im Empfinden vieler alter Einwohner zu einem lebensfeindlichen Ort entwickelt. Die Mieten und Kaufpreise für Immobilien sind schon lange jenseits von Gut und Böse, die Stadt zählt zu den fünf teuersten der USA. Auf den Zufahrtsstraßen stehen zu praktisch jeder Tageszeit die Teslas und die schweren Geländewagen gemeinsam im Stau, und der Friseur an der Ecke verlangt für einen Haarschnitt schon mal 400 Dollar.

"Früher kannte man sich hier", erzählt James Santana, "und wir halfen uns gegenseitig. Heute treffe ich kaum noch Bekannte in der Stadt, und alle reden nur über Geld." Wo seine Großeltern noch eine Kuhherde grasen ließen, aus deren Milch sie das Eis herstellten, verkauft heute eine Shoppingmall europäische Luxusklamotten von Louis Vuitton und Zegna. Wenn Santana sich heute mit seinen Schulfreunden zum Bier trifft, dann nennen sie ihre Heimatstadt "Shallow Alto". Shallow wie seicht oder oberflächlich.

Kinder, die hier geboren werden, wachsen mit der Behauptung auf, alles sei möglich

Die Verwandlung von Palo Alto ist erst einmal eine enorme Erfolgsgeschichte. Das Städtchen mit nicht einmal 70 000 Einwohnern kann es in Sachen Wirtschaftskraft mit manch einer Großstadt aufnehmen. Hewlett-Packard nennt sich heute "HP", hat seinen Hauptsitz aber immer noch hier. Genauso wie Tesla, Skype, Palantir und etwa 2500 kleinere Tech-Unternehmen. Apple, Google, Facebook und Paypal waren auch irgendwann mal in Palo Alto, die meisten zogen um, weil sie mehr Platz brauchten. Die ans Stadtgebiet angrenzende Stanford-Universität ist eine der angesehensten der Welt. Die Nachbarschaft macht Palo Alto gemeinsam mit dem Hunger der Firmen nach guten Mitarbeitern zu einem multikulturellen und zu einem hochgebildeten Ort: 80 Prozent der Einwohner haben einen College-Abschluss.

Doch all die Großartigkeit hat eine Kehrseite. Viele alte Einwohner können sich das Leben in ihrer Heimatstadt schlicht nicht mehr leisten. Und das, obwohl sie auf dem Papier vielfache Millionäre sind, weil sie das Haus, in dem sie wohnen, besitzen. Junge Familien leben in ständigem Stress, weil sie selbst ein kleines Haus nur mieten können, wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten. Zugleich kostet ein Babysitter 25 Dollar in der Stunde, einen Kindergartenplatz gibt es ab 2000 Dollar im Monat. Familien mit einem gemeinsamen Einkommen von weniger als 120 000 Dollar im Jahr gelten als einkommensschwach und haben Anspruch auf Mietzuschüsse. In der Umfrage einer Lokalzeitung bezeichneten sich kürzlich Familien mit einem Einkommen von 400 000 Dollar als Mittelklasse und sprachen von Schwierigkeiten, alle Rechnungen zu bezahlen.

Zu dem normalen Druck mitzuhalten, um den nächsten Tesla zu bezahlen, kommt dann noch dieser ganz spezielle Silicon-Valley-Druck: Kinder, die in diese Blase hineingeboren werden, wachsen ganz selbstverständlich mit der Behauptung auf, alles sei möglich. Die Menschheit retten, reich werden, die Welt verändern - geht alles, wenn man nur will und hart genug arbeitet.

Man kann sich vorstellen, dass es ein anderes Gefühl ist, wenn man an Halloween mal bei Mark Zuckerberg klingelt, um zu sehen, wie der so ist. In einer normalen Kleinstadt würde man vielleicht beim Arzt oder Anwalt vorbeischauen. In Palo Alto leben übrigens auch Apple-Chef Tim Cook, die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin oder die frühere Yahoo-Chefin Marissa Mayer. Wenn die Nachbarn solche Namen tragen oder zumindest bestens ausgebildete Talente aus der ganzen Welt sind, kann das ein Ansporn für Kinder sein, "inspirierend", wie man hier sagt. Es kann aber auch einen enormen Druck ausüben.

Er sei heilfroh, dass seine eigenen Kinder weit weg vom Silicon Valley bei ihrer Mutter leben, erzählt der Psychologe einer Schule in Palo Alto. Die Kinder hier hätten keine Kindheit mehr, sagt er, schon Siebenjährige würden ständig von der Zulassung für ein hochkarätiges College sprechen. Eltern planen die Tage ihrer Kinder von morgens bis abends, mit Nachhilfelehrern, Musik- und Malkursen, Meditationsübungen und Sportstunden mit professionellen Sportlern. Gut in der Schule zu sein, reicht nicht. Alles muss großartig sein.

James Santana bereiten zumindest die irren Preise in seiner Heimatstadt kein Problem. Auf dem Gelände, auf dem seine Eltern noch eine kleine Eisfabrik betrieben, steht heute ein Apartmentblock. Das Geld aus dem Landverkauf wird seine Familie wohl ein paar Generationen über Wasser halten. Und dann ist da ja immer noch die bald 100 Jahre alte Eisdiele. In der steht er noch selbst hinter der Theke und mixt Milkshakes. Wie früher.

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