Kolumne: Silicon Future:Nach dem Smartphone

In der Theorie ist eigentlich alles klar: Etwa alle 15 Jahre vereinen sich Technologien, die es längst gibt, zu einer Welle und verändern die Welt. Wie einst das Smartphone. Aber was kommt jetzt?

Von Helmut Martin-Jung

Menschen wie Craig Mundie gehören nicht zu den ersten, die einem einfallen, wenn man an den Software-Konzern Microsoft denkt. Mundie, inzwischen 70, schwirrte bis 2014 auf dem Campus in Redmond herum, nannte sich Berater des Chefs, heute berät er mit einer eigenen Firma andere Chefs in Sachen digitaler Wandel. Einst aber war der langjährige Weggefährte von Microsoft-Mitgründer Bill Gates dessen Nachfolger als Stratege. Mundies Job war es, zu erspüren, wohin sich die Welt der Informationstechnologie entwickeln würde. Im Gespräch mit der SZ sagte er 2008: "Zuerst werden viele einzelne Dinge erfunden, manche davon kommen auch schon auf den Markt. Aber am Ende kommt es zu einer Vereinigung all dieser einzelnen Techniken, erst dann verändert sich die technologische Welt von Grund auf."

Aus heutiger Sicht lesen sich diese Sätze wie die wunderbar präzise Theorie einer Revolution, die zwar von Technik ausgelöst wurde, die es ohne sie nicht gegeben hätte. Aber, so lässt sich Mundie interpretieren: Im Smartphone, dem beherrschenden elektronischen Gerät unserer Zeit, kamen auch bloß Dinge zusammen, für die es eben an der Zeit war. Displays, auf die man nicht mehr fest drücken muss wie auf die früheren Berührungsbildschirme, nein, ein kurzes Tippen, ein Wischen genügt. Die Innereien wie Prozessor und Akku, und - nicht zu vergessen - der Aufstieg des mobilen Internets taten ein Übriges. Sogar im netzausbautechnisch hinterwäldlerischen Deutschland liegt der Durchschnitts-Datenverbrauch mittlerweile bei fast zehn Gigabyte pro Monat. Wie all das unser Leben verändert hat, muss man nicht groß schildern - es ist allumfassend, jeder kann es täglich sehen, und es hat sich in rasender Geschwindigkeit zugetragen.

Mundie Microsoft Chief Research and Strategy Officer shows a pocket computer during The Microsoft Global Leaders Forum in Beijing

Craig Mundie ist ein langjähriger Weggefährte von Microsoft-Mitgründer Bill Gates. Heute berät er mit seiner eigenen Firma andere Chefs in Sachen digitaler Wandel.

(Foto: C. Cortes/Reuters)

Craig Mundie, dessen Arbeitgeber die mobile Revolution übrigens zunächst grandios verschlafen hat, sprach im damaligen Interview auch davon, dass neue Technologien sich über Jahre wie hinter einem Damm stauen würden, um dann plötzlich zu Tal zu donnern. Etwa alle 15 Jahre brächen sich die Massen Bahn. Wenn das stimmt, sollte es nicht mehr lange dauern, bis die nächste Welle rollt.

Das Schwierige an Jobs wie dem von Mundie ist allerdings der Schritt von der Theorie zur Praxis. Was sammelt sich da, was wird aus dem Mix entstehen? Und kennt man eigentlich alle Zuflüsse, die in den Stausee münden? Manche Erfindung fliegt lange Zeit völlig unter dem Radar - und das selbst in Zeiten, in denen im Silicon Valley und anderswo Risikokapitalgeber bereitwillig Geld für Ideen herausrücken, die auch nur eine vage Aussicht auf Erfolg haben.

Gerne wüsste man da zum Beispiel: Was kommt nach dem Smartphone? Die Frage ist weniger, ob wir noch in Jahrzehnten mit mobilen Internetcomputern herumlaufen werden, die mehr aus Tradition denn wegen ihrer tatsächlichen Nutzung Telefone heißen. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass uns diese Geräte noch eine gute Weile begleiten werden. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die nächste Welle aus einer ganz anderen Ecke kommt. Die Taschencomputer könnten zum Beispiel nur als Medium für etwas sehr viel Größeres dienen.

Kolumne: Silicon Future: An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise (München), Jürgen Schmieder (Los Angeles), Christoph Giesen (Peking), Karoline Meta Beisel (Brüssel) und jetzt auch Helmut Martin-Jung (München) im Wechsel.

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise (München), Jürgen Schmieder (Los Angeles), Christoph Giesen (Peking), Karoline Meta Beisel (Brüssel) und jetzt auch Helmut Martin-Jung (München) im Wechsel.

Gemessen am Hype, der seit einigen Jahren darum entfacht wird, scheint es einen natürlichen Kandidaten für die Welle zu geben: Künstliche Intelligenz (KI), oder wie es auf Englisch heißt, Artificial intelligence (AI). Es gehört schon fast zum guten Ton für jedes Start-up, "irgendetwas mit KI" zu machen. Auch Konzerne stecken gigantische Summen in die Technologie. Kürzlich investierte etwa Microsoft eine Milliarde Dollar in das Start-up Open AI - schließlich will man ja nicht noch eine Welle versäumen. Open AI, ein gemeinnütziges Unternehmen, will eine Allgemeine Künstliche Intelligenz schaffen, die in der Lage sein soll, einen Forschungsbereich so zu beherrschen wie die besten menschlichen Forscher, ja möglicherweise sogar mehrere Forschungsgebiete.

"Es gibt auch Unwissen, von dem wir nichts wissen."

Um einem breiten Publikum begreiflich zu machen, was diese ominöse Intelligenz aus dem Computer so alles leisten kann, werden gerne die Erfolge der Londoner Google-Tochter Deep Mind ins Feld geführt. Deren Entwickler schafften es, ihr System dahin zu bringen, das unendlich komplizierte asiatische Brettspiel Go selber zu erlernen und es schließlich so gut zu beherrschen, dass ein Mensch kaum noch eine Chance gegen die KI hat.

Es ist bloß so: Dabei werden Verfahren angewendet, die schon vor Jahrzehnten entwickelt wurden. Nur gab es damals nicht die Rechenkapazität, sie auszuführen. Die Verfahren wurden auch verfeinert, etwas grundlegend Neues enthalten sie allerdings nicht. Das zeigt das Problem: Der Begriff KI wird für vieles genutzt. Das meiste, was unter dem Schlagwort verkauft wird, ist eigentlich nichts anderes als maschinelles Lernen.

Das ist eine wichtige Voraussetzung für KI, aber noch keine Intelligenz, die menschenähnliche oder sogar übermenschliche Leistungen vollbringt. So sehr KI oder Quasi-KI-Anwendungen schon in unser Leben eindringen, zum Beispiel mit den sprachgesteuerten Lautsprechern von Amazon, Google oder Apple - damit es zu einer neuen Welle kommt, müsste es schon einen größeren Durchbruch geben.

Oder kommt etwas ganz anderes? Eine gute Antwort darauf hat 2002 einer gegeben, der kein Techniker ist, aber ein geschickter Stratege, ein Techniker der Macht: der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Er sagte: "Es gibt auch Unwissen, von dem wir nichts wissen. Die Dinge, die wir nicht wissen - wir wissen sie nicht."

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