Kolumne: Silicon Future:Keine Panik

Kolumne: Silicon Future: An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise, Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc Beise, Helmut Martin-Jung (München) und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel. Illustration: Bernd Schifferdecker

Computerchips rechnen immer schneller und schneller, mehr als 50 Jahre ging das so. Allmählich scheint diese Entwicklung zu enden. Sorgen sollte aber eher der Energieverbrauch bereiten.

Von Helmut Martin-Jung

Manche Legenden sind so schön und zugleich lehrreich, dass man sie immer wieder erzählen kann. Die vom Erfinder des Schachspiels ist so eine. Der König, dem er das Spiel gezeigt hatte, gefiel es sehr. Er wollte den Mann daher großzügig belohnen. Doch der äußerte einen ziemlich ausgefallenen Wunsch. Für das erste Feld auf dem Schachbrett solle man ihm ein Reiskorn geben lassen, für das zweite zwei Körner, für das dritte vier und so weiter, für jedes nächste Feld die doppelte Menge.

Der Regent soll anfangs beleidigt gewesen sein ob der zu großen Bescheidenheit des Mannes, doch dann dämmerte es ihm. Denn schon in der ersten Hälfte des Schachbretts werden aus kleinen Reishäufchen bald große Haufen. Und am Ende, tja, am Ende der großen Reis-Sause sieht es so aus: 18 446 744 073 709 551 615 Körner wären da fällig gewesen. Die hatte auch Indiens König nicht, wie auch: Sogar bei der heutigen Welt-Reisernte würde es fast 900 Jahre dauern, bis die knapp 18,5 Trillionen Reiskörner zusammenkämen.

Eine schöne Geschichte, und sie hat mehr mit uns Heutigen zu tun, als mancher ahnt. Der Fortschritt bei Computerchips verläuft nämlich genau nach diesem Muster. Ihre Leistungsfähigkeit steigt wie die Zahl der Reiskörner auf dem Schachbrett - exponentiell. Etwa alle 18 bis 36 Monate packen die Ingenieure doppelt so viele Transistoren auf Siliziumplatten, entsprechend schneller können sie rechnen. Den meisten von uns geht es dabei wie dem König aus der Legende. Erst wenn die Haufen groß und immer größer werden, wenn also die exponentielle Kurve anzusteigen beginnt, geht uns auf, was da los ist. Es ist halt einfach so, dass wir dafür keinen Sinn haben. Dass ein eigentlich winziges Ding wie ein Smartphone heute locker 30 und mehr verschiedene Geräte von einst ersetzt, nehmen wir als selbstverständlich hin. Dass iPhones schon von vor ein paar Jahren um Längen schneller rechnen konnten als die raumfüllenden Computer der Nasa bei der Mondlandung - ja mei, sagt man dazu in Bayern.

Dabei hat die exponentielle Entwicklung der Computerchips überhaupt erst die Grundlage geschaffen für das, was die Welt in den beiden vergangenen Jahrzehnten dramatisch verändert hat: Die Digitalisierung. Da gibt es nun Unternehmen, die kein Hotel besitzen, aber weltweit Zimmer vermieten. Firmen, die kein Taxi haben, aber weltweit Fahrten mit Privatautos vermitteln. Oder Firmen, die bloß einen einzigen alten Bus besitzen, aber ein ganzes Netz an Buslinien aufgebaut haben. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Viele reden von Flugscham, von Google-Scham dagegen hört man wenig

Es geht aber nicht bloß um solche Plattform-Unternehmen, die sich als Vermittler mit ihrer Digitalkompetenz zwischen Endkunden und Dienstleister schieben. Auch in der Produktion spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Einst isoliert vor sich hin arbeitende Maschinen bekommen nun Sensoren. Die Daten, die dabei gewonnen werden, werden verknüpft mit denen von Systemen für Warenwirtschaft und Kundenkontakt. Das Ziel: Flexibilität und Transparenz. Das Container-Schiff braucht wegen eines Sturms länger? Dann zieht das Unternehmen ein anderes Produkt vor. Die Maschine beginnt zu vibrieren - lieber mal einen Techniker vorbeischicken, bevor sie stehen bleibt.

Die Menge der Daten, die dabei anfallen, steigt ständig. Um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, ist viel Rechenleistung nötig. Dass die schon vor Jahrzehnten mit großem Aplomb angekündigte künstliche Intelligenz einzuhalten beginnt, was damals versprochen wurde, liegt vor allem daran, dass die Computer heute schnell genug rechnen. Außerdem wurden auch die Berechnungsmethoden verfeinert. Wir befinden uns aber - um im Bild des Schachbeispiels zu bleiben - noch immer auf der ersten Hälfte des Bretts.

Bei der Entwicklung von Chips sind die Hersteller längst in nahezu unvorstellbare Dimensionen vorgestoßen. Die Strukturen auf den Siliziumscheiben sind heute bloß noch ein paar Nanometer breit, bestehen also nur noch aus wenigen Atomen. Die Ingenieure haben es aber immer wieder geschafft, immer noch feinere Strukturen herzustellen, neuere Verfahren sollen dafür sorgen, dass Chips weiter an Leistung zulegen. In Panik muss also niemand verfallen. Die Computertechnik ist ja auch noch jung und steckt voller Optimierungspotenzial. Schon heute befinden sich Computer, etwa der, auf dem dieser Text entsteht, die meiste Zeit im Leerlauf. Die Anforderung, die das Schreiben an einen heutigen Laptop stellt, sind nachgerade lächerlich. Auch wenn man schnell tippt, schläft der Prozessor zwischen jedem Anschlag ein, weil er nichts zu tun hat.

Die Chip-Industrie arbeitet zudem an Alternativen. Ob das nun Computer sind, die mit Quantenbits rechnen, oder Chips, bei denen die Transistoren nicht nur nebeneinander liegen, sondern auch übereinander, neue Materialien - dass mit einem Mal alles zu einem knirschenden Halt kommt, ist nicht zu erwarten.

Worüber man sich allerdings definitiv Gedanken machen muss, ist der Energiebedarf. Dass ein Supercomputer heute so viel Strom benötigt wie eine ganze Kleinstadt, ist ein Unding. Auch der Trend zur Cloud, also Rechnerhallen, treibt den Energieverbrauch nach oben. Zwar rechnen die effektiver als wenn jedes Unternehmen sein eigenes Rechenzentrum betreiben würde, aber der Bedarf steigt enorm. Clouds haben den privaten Flugverkehr beim CO₂-Ausstoß bereits überholt. Von Google- oder Facebook-Scham hört man aber noch wenig.

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