Silicon Valley:Politik des Polterns

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Solvvy ist eines der vielversprechendsten Start-ups im Silicon Valley. Und es wurde von einem Iraner gegründet. Kann die Firma trotz Trump weiter wachsen?

Von Alina Fichter

Der Fernseher ist kaputt. Man flucht ein wenig, er springt dennoch nicht an. Dann eben die Kunden-Hotline anwählen - was bleibt auch sonst? Die Dudelmusik ist altbekannt, das Prozedere auch: viermal neu verbunden werden, fünfmal erklären, was los ist. Am Ende hat man eine Stunde verloren und die Nerven.

Was, wenn künftig eine Maschine den Anruf beantwortete, die dank vieler Daten und künstlicher Intelligenz (KI) sofort versteht, was zu tun ist? An so einer Maschine arbeitet Mehdi Samadi. Eine Version, die einiges, aber noch nicht alles weiß, ist bereits im Einsatz: unter anderem bei Alexa, der virtuellen Assistentin des Online-Shops Amazon. Bevor er 2014 seine Firma Solvvy gründete, hat Samadi in seiner Doktorarbeit an der Universität Carnegie Mellon erforscht, wie er mithilfe künstlicher Intelligenz Antworten aus riesigen Datenmengen gewinnen kann.

Das Forbes-Magazin hat ihn deshalb 2015 zu einer der 30 großen Tech-Hoffnungen der USA unter 30 Jahren erkoren. Denn, so die Begründung: Seine Forschung sorge für schlauere Antworten, als Google sie bisher liefere: Samadis Forschung war besser als die größte Suchmaschine der Welt! Der heute 31-Jährige gehört damit zu den gefragtesten Talenten im Silicon Valley, dem Zuhause der neuesten Technologien. Promovierte KI-Experten wie er sind dort so begehrt, dass manche ihr Berufsleben mit einem siebenstelligen Gehalt beginnen.

Außerdem ist Samadi Iraner, und als solcher beobachtet er, wie sich sein Alltag und wohl auch seine Zukunftsperspektiven in den USA gerade erheblich verschlechtern - und wie hilflos die vermeintlich allmächtigen Manager im Silicon Valley dabei zusehen, die so gern von sich behaupten, die Welt mit ihren Produkten zu einer besseren zu machen: Der neue US-Präsident Donald Trump ist unberechenbar, da helfen weder tolle Technologien noch die Stimmen von Google-, Apple- und Facebook-Gründern. Sie alle haben vehement gegen dessen Exekutiv-Dekret protestiert, das Menschen aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern die Einreise in die USA verwehrt - und das von Bundesrichtern nun zumindest vorläufig gestoppt wurde.

Die Verunsicherung im Silicon Valley ist größer als im Rest der USA: 37 Prozent der Bewohner des Landstrichs im Süden von San Francisco sind nicht in den USA geboren worden. Viele fragen sich, genau wie Samadi, ob sie sich in Zukunft weiter frei zwischen alter und neuer Heimat bewegen können. Oder ob sie Gefahr laufen, dass die USA sie nach einer Ausreise aussperren, obwohl sie in Kalifornien Firmen führen. "Ich habe hier 20 Arbeitsplätze geschaffen", sagt Samadi. Manche seiner Freunde überlegen schon, die USA zu verlassen, sie fühlen sich nicht mehr willkommen. Samadi will nichts überstürzen. "Aber all das nimmt definitiv Energie in Anspruch, die ich jetzt für mein Start-up dringend bräuchte", sagt er.

Solvvy wächst sehr schnell. Vor wenigen Wochen hat Samadi bekannt gegeben, dass er umgerechnet 4,2 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt hat. Er hat neue Kunden gewonnen, darunter Großunternehmen, deren Namen er noch nicht bekannt geben darf. Die Nachfrage nach günstigeren und zeitsparenden Lösungen für Kundenanfragen ist riesig - und sie nimmt weiter zu. Aber es gibt nicht viele Start-ups, die können, was Solvvy kann: Eine Frage per Telefon, Mail und Chat annehmen - wie etwa die nach dem kaputten Fernseher. Und dann die Antwort in all den Daten finden, die die Firma von ihrem Kunden und dessen Fernseher besitzt: seine Beschwerdemails, frühere Anrufe und die Schwierigkeiten, die bei bestimmten TV-Marken häufig auftreten. Damit leitet Solvvy den Kunden an, sich selbst zu helfen.

Seine Firma wächst schnell. Und er ist ständig auf der Suche nach Ingenieuren - weltweit

Je mehr Daten, desto präziser die Antwort der Maschine. Im Moment löst sie zehn bis 20 Prozent aller Anliegen, die eingehen. Stellt sie fest, dass die Lösung nicht in den Daten liegt, leitet sie den Anruf an einen Mitarbeiter weiter. Vorübergehend, sagt Samadi: "Wir wollen künftig alle Fragen beantworten - und die Probleme der Kunden dann automatisch lösen." Weniger verlorene Stunden, weniger Dudelmusik: Womöglich ist Solvvy eines der wenigen Start-ups, die das Leben mancher Amerikaner doch ein wenig verbessert.

In Deutschland täte sich die Maschine schwerer, Antworten zu finden, weil Konsumenten hierzulande sich wehren würden, wenn Firmen persönliche Daten an Solvvy weitergäben. US-Unternehmen sehen das weniger eng. Sie kaufen Solvvys Service und empfehlen ihn weiter. Deshalb steht neben Samadis Linked-In-Profilfoto "We're hiring!": Wir stellen ein! Im vergangenen Jahr hat sich die Mitarbeiterzahl auf 20 verdoppelt. Doch die reichen längst nicht mehr aus. Samadi ist ständig auf der Suche nach Ingenieuren. "Aber die Nachfrage im Silicon Valley ist groß", sagt er. So groß, dass regelmäßig Talente aus Indien, China oder eben muslimischen Ländern wie Iran angeworben werden, die zuvor häufig an der nahegelegenen Eliteuniversität Stanford studiert haben.

Aber zu Trumps geplanten Neuregelungen gehört auch, dass künftig weniger ausländische Studenten zugelassen werden und weniger Tech-Spezialisten das sogenannte H-1B-Visa bekommen sollen, ein begrenztes Arbeitsvisum, das im Valley so begehrt ist. Zudem die Verunsicherung. "Ich bin nicht sicher, ob ich unter diesen Umständen die Mitarbeiter finde, die ich jetzt brauche", sagt Samadi.

Er war einst nach Kalifornien gezogen, weil er dort auf das weltweit dichteste Netzwerk an Risikokapitalgebern und Talenten zugreifen konnte. So wuchs sein Start-up - bis jetzt. Wenn Trump weitermacht mit seiner Politik des Polterns, bringt er in Gefahr, was das Silicon Valley ausmacht: eine Multikultur, die die Welt mit Innovationen versorgt.

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