Kolumne: Pipers Welt:"Die" Wirtschaft

Kolumne: Pipers Welt: An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

An dieser Stelle schreibt jeden zweiten Freitag Nikolaus Piper. Illustration: Bernd Schifferdecker

Es ist töricht, im Kampf gegen die Corona-Pandemie Gesundheit und Wirtschaftswachstum gegeneinander auszuspielen.

Von Nikolaus Piper

Er geht in die Wirtschaft," sagte man früher über einen begabten jungen Mann, der sich für eine Karriere als Manager entschieden hatte (bei begabten jungen Frauen kam das seinerzeit eher selten vor). Was vor allem bedeutete: Er strebte keine Anstellung beim Staat an und verzichtete auf die damit verbundene Sicherheit. "Die" Wirtschaft - das wurde als riskantes Feld betrachtet, voller Fallstricke und ein wenig anrüchig mit all den Leuten, die nur ans Geld dachten.

Man kann lange darüber spekulieren, woher in der Bundesrepublik, die ja mal ein Wirtschaftswunderland war, diese misstrauische Distanz zu allem Ökonomischen herrühren mochte. Vielleicht ist es ja das Erbe Preußens mit seinem verspäteten und staatlich gelenkten Kapitalismus. Kein Amerikaner jedenfalls käme auf die Idee zu unterstreichen, dass er einen Job in der economy anstrebt. Wo sollte er auch sonst arbeiten? Economy wird richtigerweise immer im Sinne von "Volkswirtschaft" verwendet und nicht für die Welt der Manager, dem business.

Mittlerweile hat sich viel geändert im Verhältnis besonders der jungen Deutschen zur Wirtschaft, schon allein wegen der vielen Start-ups, die es überall gibt. Doch jetzt, im Kampf gegen das Coronavirus, ist plötzlich wieder abschätzig von "der" Wirtschaft die Rede, die dem Gesundheitsschutz angeblich entgegen steht. Man dürfe die Einschränkungen des öffentlichen Lebens nicht einfach aus Rücksicht auf die Wirtschaft lockern, ist ein beliebtes Argument in Berlin. Bundesfinanzminister Olaf Scholz zum Beispiel wandte sich konkret in der Bild am Sonntag "gegen jede dieser zynischen Erwägungen, dass man den Tod von Menschen in Kauf nehmen muss, damit die Wirtschaft läuft". Solche Abwägungen halte er für "unerträglich". Die Abwägung wäre, so unterstellt Scholz, zwischen Wirtschaftswachstum und Menschenleben, und da muss die Entscheidung klar sein. Zu erwähnen wäre noch eine Petition, die die Berlinerin Ulla Hedemann initiiert hat. Hedemann ist Kinderkrankenschwester und sitzt für die Gewerkschaft Verdi im Aufsichtsrat des Krankenhauses Charité. In der Petition fordert sie mehr Pflegekräfte und höhere Löhne und stellt das unter die Überschrift: "Menschen vor Profite".

Wie schnell Deutschland aus der Krise kommt, hängt nicht nur von Ärzten und Pflegekräften ab

In Wirklichkeit sind es aber nicht "Profite", die bisher den Ausbau des Gesundheitswesens verhindert haben, es ist die verbreitete Angst vor höheren Krankenkassenbeiträgen. Und den Gegensatz zwischen "der" Gesundheit und "der" Wirtschaft gibt es schon gar nicht. Im Gegenteil: Der Kampf gegen das Virus ist auch ein ökonomischer. "Die" Wirtschaft, das sind nicht nur Bosse und Lobbys, sondern Handwerker und Selbständige, Bauern, Edeka-Filialisten und vor allem Arbeitnehmer. Sie müssen dann, wenn das Schlimmste vorbei ist, in der Lage sein, den Wiederaufstieg der Wirtschaft zu tragen. Dass die meisten dies heute noch als gegeben voraussetzen, hat damit zu tun, dass die deutsche Wirtschaft bei Ausbruch der Krise in einer außergewöhnlich günstigen Lage war. Der Bundeshaushalt stand, dank der Politik der Schwarzen Null aus den vergangenen Jahren, im Plus, die Bundesrepublik konnte Schulden abbauen, ihre Kreditwürdigkeit ist heute praktisch unbegrenzt. Investoren zahlen sogar noch Geld obendrauf, wenn sie ihr Vermögen in deutschen Bundesanleihen anlegen.

Olaf Scholz seinerseits hat die gute Ausgangslage genutzt, um mit der "Bazooka", also mit einem gigantischen Nachtragshaushalt, den Absturz der deutschen Wirtschaft zu bremsen. Es ist aber auch klar, dass sich das nicht so einfach wiederholen lassen wird. Der Bundeshaushalt ist jetzt tief im Minus, und das Bruttoinlandsprodukt kann als Folge des verordneten Stillstands im schlimmsten Fall um 20 Prozent schrumpfen, viel stärker als in der Finanzkrise 2008, hat das Münchner Ifo-Institut errechnet. Es hängt also nicht nur von Ärzten, Pflegekräften und Testsets ab, wie schnell Deutschland aus der Corona-Krise kommt, sondern auch, und an zentraler Stelle, von der Wirtschaft.

Die Alternative Menschenleben oder funktionierende Wirtschaft stellt sich also gar nicht. Genauer: Es ist eine Abwägungsfrage: Je länger die Wirtschaft eingefroren ist, desto schwieriger wird es, sie wieder in Gang zu setzen und desto schwerer wiegen die Opfer, die der Shut-down fordert. Wahrscheinlich sieht Olaf Scholz das genauso, er hat es nur anders formuliert. Und dann gibt es noch die Leute mit den ganz einfachen Lösungen. In diesem Zusammenhang wäre von Dan Patrick zu reden, dem republikanischen Vizegouverneur von Texas. Im rechten Sender Fox News empfahl er jüngst, die Beschränkungen in den Vereinigten Staaten wegen Corona zurückzunehmen. Begründung: Ältere Leute wie er (Patrick ist 69) sollten das damit verbundene Risiko hinnehmen. Würde ihn jemand fragen, ob er bereit sei, sein Leben zu riskieren, "um das Amerika, das alle Amerikaner lieben", für seine Kinder und Enkel zu bewahren, lautete seine Antwort: "Ich bin dabei." Mit anderen Worten: Wirtschaftswachstum schlägt Menschenleben.

Man liegt wohl nicht ganz falsch, wenn man vermutet, dass der Vizegouverneur nicht so genau wusste, von was er redete. Und dass er vor allem keine Ahnung davon hatte, wie qualvoll der Tod durch Corona ist. Ein wenig erinnern seine Einlassungen an den guten alten Jeremy Bentham (1748-1832). Der englische Philosoph begründete die Denkschule des Utilitarismus und postulierte, dass man immer nach dem "größten Glück der größten Zahl" streben soll. Das lässt durchaus den Schluss zu, dass junge gesunde Leute noch mehr Glückspotenzial haben als alte kranke, weshalb es auf letztere nicht ankommt.

Auf solche Spekulationen sollte man lieber verzichten. Ein nüchterner Blick auf "die" Wirtschaft reicht.

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