Kolumne: Deutsches Valley:Jenseits von Solingen

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An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Malte Conradi (San Francisco), Alexandra Föderl-Schmid (Tel Aviv), Christoph Giesen (Peking) und Ulrich Schäfer (München) im Wechsel. (Foto: OH)

Deutsche Start-ups finden nicht genug Geld, um schnell zu wachsen. Stattdessen holen sie sich die nötigen Millionen in den USA oder China. Fluch oder Segen?

Von Ulrich Schäfer

Wo, bitte, liegt Solingen? Und was stellen die Unternehmen dort her? Früher, im Zeitalter der Industrie, wusste dies jeder zu beantworten: Solingen, gelegen im Bergischen Land, war seit dem Mittelalter die Klingenstadt. Noch heute werden 90 Prozent aller Schneidewaren und Bestecke Made in Germany östlich von Düsseldorf produziert. Aber heute, im digitalen Zeitalter, käme kaum jemanden der Name Solingen in den Kopf. Und doch gibt es dort ein Unternehmen, an dem sich schön die guten Seiten des deutschen Öko-Systems für Start-ups festmachen lassen - aber auch ein paar Probleme.

Die guten Seiten: Instana, gegründet 2015, zählt zu jenen weit über 100 Start-ups in Deutschland, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen. Das Team um Gründer Mirko Novakovic hat Anwendungen entwickelt, die fortlaufend kontrollieren, ob andere Software-Programme, etwa ein Online-Shop, fehlerfrei funktionieren. Application Performance Management, kurz APM, nennt sich das und ist ein Geschäft mit Zukunft: Zielgruppe, sagt Novakovic, seien "die 50 000 größten Unternehmen der Welt".

Doch der Anspruch, ein Start-up von Weltrang aufzubauen, führt zum entscheidenden Problem des deutschen Öko-Systems: Wer hierzulande schnell wachsen will, wer nicht bloß in kleinen Schritten voranschreiten will, sondern ähnlich kühn an die Sache herangeht wie die Gründer aus dem Silicon Valley, findet dafür in Deutschland oft nicht das Geld. Denn es fehlt an Investoren, die bereit sind, nicht bloß das erste Seed-Money zu geben, ein paar Hunderttausend Euro als Anschubfinanzierung, oder die ersten Millionen in der Series A oder B, den beiden Finanzierungsrunden danach; sondern die auch danach mitgehen, wenn sehr viele höhere Beträge vonnöten sind: 30, 40, 50 Millionen in der Series C; und später dann ein paar Hundert Millionen. So stammten die 30 Millionen Dollar, die Instana im vorigen September eingesammelt hat, von zwei Fonds aus dem Silicon Valley: von Meritech Capital und Accel Partners, die beide auch den Aufstieg von Facebook mitfinanziert haben.

Solch große Finanzierungen sind im Silicon Valley gang und gäbe, in Deutschland aber eher die Ausnahme. Und wenn, dann kommt das Geld in erster Linie aus dem Ausland, wie eine Analyse der Silicon Valley Bank zeigt, die seit gut einem Jahr auch in Deutschland aktiv ist. Demnach findet sich unter den zwölf aktivsten Investoren in Europa, die sich zwischen Januar 2016 und September 2018 an Runden mit einem Volumen von mehr als 50 Millionen Dollar beteiligten, kein einziger deutscher Fonds.

Warum kaufen Versicherungen und Pensionskassen nur Anleihen und Aktien etablierter Firmen?

Sehr viel risikobereiter sind dagegen Wagnisfonds aus den USA, Großbritannien, Japan oder Singapur. Seit kurzem tauchen hierzulande auch große Investoren aus China auf. So hat der chinesische Alibaba-Konzern erst vorige Woche das Berliner Start-up Data Artisans für 90 Millionen Euro übernommen; die junge Firma hat sich darauf spezialisiert, sehr große Datenmengen schnell auszuwerten. Ein anderer Internet-Riese aus der Volksrepublik, Tencent, hatte im vorigen Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag in die Berliner Online-Bank N26 gesteckt, und im Jahr davor in das Flugtaxi-Unternehmen Lilium Aviation aus der Nähe von München.

Manche Kritiker sprechen deshalb schon von einem Ausverkauf und warnen, dass die besten deutschen Start-ups bald überwiegend in ausländischer Hand sein könnten - und dass am Ende nicht bloß die Gewinne, sondern auch das Know-how ins Ausland abfließen könnten.

Julian Riedlbauer, selbst einst Gründer und heute Partner von GP Bullhound, einer auf Start-ups spezialisierten Investmentbank, kann diese Sorgen nicht verstehen. Im Gegenteil: Weil es hierzulande an großen Fonds mangele, sei es, meint er, "ein Segen", dass zunehmend ausländische Investoren große Beträge in deutsche Tech-Firmen investieren. "Das bringt die deutsche Technologie-Szene massiv voran und ermöglicht es den Firmen, schneller zu expandieren und international wettbewerbsfähig zu werden." Seine These: Ohne ausländische Investments gäbe es viele deutsche Einhörner, also international erfolgreiche Firmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde Dollar, heute nicht, es gäbe also kein Rocket Internet, Zalando oder Delivery Hero - sie wären allenfalls nur lokal tätig oder von internationalen Firmen verdrängt worden.

Was also tun? Wie lässt sich mehr deutsches Geld mobilisieren, um hierzulande noch mehr Start-ups groß zu machen?

Die Bundesregierung denkt gerade darüber nach, die Anlagevorschriften für Versicherungen und Pensionskassen zu lockern. Auf dass diese nicht bloß in sichere Anleihen und die Aktien etablierter Unternehmen investieren - sondern einen kleinen Teil ihres Versicherungsvermögens in Start-ups stecken. Auch der Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BVK) würde gerne einen Teil jener Milliarden mobilisieren, welcher von Versicherungen verwaltet wird - und diese in einen "Zukunftsfonds Deutschland" umlenken. Eine andere Idee des BVK: Der Staat legt auf jeden Euro, den private Investoren in ein Start-up stecken, einen weiteren Euro drauf. Julian Riedlbauer von GP Bullhound sieht aber auch die Wagnisfinanzierer selber in der Pflicht. Deren Ziel müsse es sein, große Fonds mit einem Volumen von 500 Millionen bis zwei Milliarden Euro aufzubauen, "um in große Tickets investieren zu können".

Das Geld dafür wäre in Deutschland vorhanden: bei den Versicherungen ebenso wie bei großen Familienunternehmen, namhaften Mittelständlern und Konzernen. Was hierzulande fehlt, ist der Mut zum Risiko. Der aber lässt sich nicht politisch verordnen.

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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