Kolumne: Das Deutsche Valley:Blaupause für die Welt

Marc Beise, 
Kol. das deutsche Valley
(Foto: Bernd Schifferdecker/Bernd Schifferdecker)

Wie eine Reise ins Silicon Valley zeigt, dass die Chancen ausgerechnet der deutschen Wirtschaft in der Digitalisierung größer sind, als hierzulande viele Beobachter erwarten. Und was das mit AKK, CSU und SPD zu tun hat.

Von Marc Beise

Manchmal schaut man besser besonders weit, um einen klaren Blick auf die Heimat zu bekommen. Wenn es beispielsweise darum geht, wie die Digitalisierung Wirtschaft, Gesellschaft und Politik verändert, dann kann man in die Volksrepublik China reisen, wo gerade so schrecklich viel und schnell entwickelt und umgesetzt wird, oder ins kleine, aber besonders kreative Start-up-Land Israel. Oder man fliegt doch wieder ins Silicon Valley, dorthin also, wo im Umfeld der Stanford University und im beschaulichen Örtchen Palo Alto die Digitalisierung einst begonnen hat, wo einige der ganz großen Spieler ihre Hauptquartiere haben und viele hoffnungsvolle Newcomer auch. Und dann sitzt man vielleicht in einer Fabrikhalle in San Francisco, hört wie der einflussreiche IT-Konzern Cisco die Zukunft des Internets gestalten will - und denkt: Da steckt doch was drin für uns Deutsche!

Vorher hatte man wieder die Runde gemacht bei den Jüngern der Digitalisierung. Bei denen, die die USA immer noch für das Maß aller Dinge halten, und wenn nicht hier in Kalifornien, dann vielleicht an der Ostküste das Biotop um Boston und die Eliteuniversität MIT. Und neuerdings Austin/ Texas, wo das Leben im Unterschied zum Silicon Valley noch erschwinglich ist und sich immer mehr Innovative und Kreative niederlassen oder mindestens jedes Jahr im März vorbeischauen zur legendären South by Southwest, der mittlerweile größten Digital-Messe der Welt: SXSW.

Überall gehe was, heißt es also, aber jedenfalls nicht im verschnarchten Deutschland. Da gebe es doch einfach keine Startup-Kultur, erklärt uns ein US-Finanzmanager, zu viel Bedenkenträgerei, zu wenig junge Menschen, die wirklich gründen wollen und zu viele Ältere, die den Jungen keine Fehler verzeihen: Einmal gescheitert ist immer gescheitert. Und dann erst die Finanzierung, wolle doch niemand das große Geld geben fürs Massengeschäft, für die "Skalierung" der Ideen. Von der sprichwörtlichen deutschen Bürokratie ganz zu schweigen.

Könnte natürlich sein, dass das ein Rufen im dunklen Wald ist. Denn die Selbstzweifel im Valley wachsen, wenn nicht alles täuscht. Der Glanz verblasse, hat gerade erst die Neue Zürcher Zeitung die Stimmung aufgegriffen und exemplarisch einen Investor aus dem Valley zitiert, der sich fühle, als mache jemand nach einer fünf Jahre währenden Party das Licht an.

Die kaputten Straßen, die wachsende Zahl der Obdachlosen, das Wohlstandsgefälle wird immer offensichtlicher, der gesellschaftliche Frieden gerät in Gefahr. Und jetzt schwächeln die Stars der Szene auch dort, wo sie sich eigentlich sicher fühlten: beim Geldverdienen. Mehr als 100 Milliarden Dollar haben die Tech-Firmen im abgelaufenen Jahr an Wert verloren, einige Start-ups sind nach ihrem Börsengang regelrecht eingebrochen.

Aber in der Krise kann auch eine Chance liegen. Plötzlich werden sinnvolle Fragen gestellt, nach der Ernsthaftigkeit des Geschäftsmodelles etwa, dem Pfad in die Gewinnzone, die Anbindung an die große Industrie: Tugenden, die hier lange verpönt waren, aber in Deutschland üblich sind. Und so gerät wieder Cisco in den Blick, jenes Unternehmen, das im Silicon Valley beim Siegeszug des Internets seit 35 Jahren dabei ist und das jetzt mit neuer Technik das Internet noch schneller, leistungsfähiger und allumfassender machen will. Cisco hat die jungen Wilden im Blick, die Handys, Software und Unterhaltungselektronik aller Art entwickeln: Apple, Facebook, den Disney-Konzern, aber eben auch die verarbeitende Industrie: groß, schwer, womöglich schmutzig. Das ist ein Wirtschaften, für das Deutschland berühmt ist in der Welt.

Es müsste eigentlich groß investiert werden. Doch das Land hängt in anderen Debatten

Und siehe da, sagt Chuck Robbins, der Cisco-Vorstandschef: "Wenn wir jetzt die Voraussetzungen schaffen für ein Netz, das bei Geschwindigkeit, Automatisierung und mit niedrigeren Kosten neue Standards setzt, wird das zahllose Möglichkeiten für Länder wie Deutschland bringen." Deutschlandmanager Uwe Peter erklärt, warum der Konzern gerade auf Deutschland setzt: "Wenn hier die Digitalisierung in der Produktion gelingt, ist das Blaupause und Qualitätssiegel für die ganze Welt." Dort, wo heute schon IT-Fachleute fehlen, geht bald ein Großteil der Mitarbeiter in Rente. Diese Lücke sei nur durch Automatisierung zu bewältigen, sagt Peter: "Menschen werden die Netze bauen und kontrollieren, aber intelligente Software wird die Netze steuern."

Dauernörgler aufgepasst: Bei diesem ur-kalifornischen Unternehmen glaubt man allen Ernstes, dass ausgerechnet die Bundesrepublik bei der Automatisierung der Netzwerkinfrastruktur Vorreiter werden sein kann. Besonders in Schlüsselbranchen - Auto, Maschinen, Energie - werde es einen enormen Anstieg an vernetzten Geräten geben. Diese Netze müssen ultraschnell, automatisiert und gleichzeitig kostengünstig sein. Hier muss, ohne Fleiß kein Preis, Deutschland groß investieren, und das betrifft Wirtschaft wie Politik.

So eingestimmt, kommt man zurück nach Deutschland und wundert sich über die aktuellen Debatten der Regierungsparteien, die Tage lang die Nachrichten bestimmen. Bayernpremier Markus Söder will das Bundeskabinett verjüngen, und allerorten wird diskutiert, wie sehr das auf seinen innerparteilichen Widersacher und Vorgänger Horst Seehofer zielt, die CDU-Chefin Annegret Kramk-Karrenbauer muss sich, nichts Neues auf diesem Gebiet, weiter gegen innenpolitische Widersacher behaupten, und das neue Führungsduo der SPD will vergessen lassen, dass es vor der Wahl den Ausstieg aus der Koalition angekündigt hat: Das sollen, ernsthaft jetzt, die wichtigen Zukunftsfragen für Deutschland sein?

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