Kokain und Crystal Meth:Drogenvideo erschüttert britische Bankenbranche

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Er war Chefaufseher einer Bank und Priester, jetzt wird er zum Symbol für die moralische Krise der britischen Finanzbranche: Ein Enthüllungsvideo zeigt den Ex-Aufsichtsratschef der fast bankrotten Co-operative Bank beim mutmaßlichen Drogenkauf.

Von Margot Patrick, Wall Street Journal Deutschland, London

An Skandalen hat es in der britischen Bankenbranche in den vergangenen Jahren nicht gemangelt: Es gab Staatsrettungen, milliardenschwere Fehlspekulationen und Ermittlungen wegen Marktmanipulation. Es gab Fälle, in denen Banken ihren Kunden hemmungslos Finanzschrott andrehten. Und es gab eine ganze Parade von Personalwechseln auf höchster Ebene - unter anderem wurde einem ehemaligen Bankenchef der Rittertitel entzogen.

Seit dem Wochenende reiht sich ein weiterer Skandal in die Liste ein: Ein Enthüllungsvideo zeigt, wie der ehemalige Aufsichtsratschef eines fast bankrotten Kreditinstituts mutmaßlich einen Drogenkauf einfädelt und das passende Geld dafür zählt.

300 Pfund für Kokain und Crystal Meth

Die Zeitung Mail on Sunday berichtete am Sonntag, dass Paul Flowers, der ehemalige Aufsichtsratschef der britischen Co-operative Bank, in der nordenglischen Stadt Leeds Kokain und Crystal Meth gekauft habe. Wenige Tage vorher hatte Flowers noch vor britischen Abgeordneten ausgesagt, welche Rolle er beim Niedergang der Co-operative Bank hatte. Die Zeitung untermauerte ihre Behauptungen mit Fotos und einem Video. In dem belastenden Material ist zu sehen, wie Flowers offensichtlich mit jemandem bespricht, welche Drogen er kaufen möchte und dann 300 britische Pfund in Geldscheinen zwischen den Fingern zählt. Darüber hinaus veröffentlichte die Zeitung SMS-Nachrichten, in denen Flowers mit einem Bekannten über den mutmaßlichen Drogenkauf und die Einnahme der Drogen spricht.

Flowers, ein 63 Jahre alter Pfarrer der Methodistenkirche, trat bereits im Juni von seinem Amt als Aufsichtsrat der Bank zurück. Seitdem haben sich die Verluste der Co-op Bank ausgeweitet und bedrohen nun den Mutterkonzern Co-operative Group Ltd., der eine Reihe verschiedener Geschäfte betreibt - von Supermärkten bis hin zu Bestattungsunternehmen. Der Niedergang der Co-op Bank ist zum jüngsten Symbol für die schwierige Lage der britischen Bankenbranche insgesamt geworden, die sich von der Finanzkrise offensichtlich nur schwer erholt.

In einer Stellungnahme, die Flowers über die Methodistenkirche in Großbritannien veröffentlichen ließ, wo er seit 40 Jahren als Pfarrer arbeitet, heißt es: "Dieses Jahr war mit einem Todesfall in der Familie und dem Druck auf meine Rolle in der Co-operative Bank unglaublich schwierig. Auf dem Tiefpunkt in dieser schrecklichen Zeit habe ich Dinge getan, die dumm und falsch waren. Das tut mir leid, und ich nehme professionelle Hilfe in Anspruch und entschuldige mich bei allen, denen ich weh getan habe oder die ich durch mein Handeln im Stich gelassen habe."

Die Kirche erklärt auf ihrer Webseite, dass Flowers wegen "laufender Ermittlungen" drei Wochen lang vom Dienst suspendiert sei. Flowers war für einen weiteren Kommentar nicht mehr zu erreichen. Ein Vertreter der Kirche war ebenfalls nicht zu erreichen.

Die Bank galt einst als besonders korrekt

Der mutmaßliche Drogenkonsum des ehemaligen Aufsichtsratschefs verpasst dem Image der Co-op Bank einen weiteren heftigen Kratzer. Das Finanzinstitut galt lange Zeit als ethisch korrekter Kreditgeber, der sich die Verbesserung der Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hatte.

Aber als herauskam, dass faule Immobilienkredite und eine missglückte Expansionsstrategie zwischen Dezember und Juni fast die Hälfte des Bankenkapitals vernichtet hatten, wandelte sich das Ansehen der Bank rapide - vom Musterschüler der Branche in Großbritannien zu einem Sinnbild für schlechtes Management und rücksichtslose Expansion. Die meisten der faulen Kredite hatte sich die Co-op Bank bei der Übernahme der Britannica Building Society im Jahr 2009 aufgehalst. Flowers trat dem Aufsichtsrat der Co-op Bank im Jahr 2009 bei, ein Jahr später wurde er dessen Vorsitzender.

Die Bank wird gerade mit 1,56 Milliarden britischen Pfund (rund 1,86 Milliarden Euro) gerettet. Im Zuge dieser Rettung muss sie einen Großteil des Aktienkapitals ihres derzeitigen Eigentümers Co-operative Group an eine Gruppe von US-Hedgefonds aushändigen.

Die Mail on Sunday sagt, sie habe das Video und die Textnachrichten von einem Mann namens Stuart Davies bekommen, der sich gegenüber der Zeitung als Bekannter von Flowers ausgegeben habe.

Davies war am Sonntag nicht für einen Kommentar ausfindig zu machen.

Ein Sprecher der Co-op Bank teilte mit, es handle sich um eine Privatangelegenheit von Flowers und wollte sich nicht weiter äußern.

Seit seinem Ausscheiden aus der Bank im Juni hat sich Flowers aus der Öffentlichkeit weitgehend herausgehalten. Am 6. November aber hatte er vor einem Parlamentsausschuss aussagen müssen. Der Ausschuss ging der Frage nach, wie es der Co-op Bank gelungen war, trotz wachsender Verluste einen Plan zu verfolgen, mit dem sie ihre Größe verdreifachen wollte. In dieser Anhörung, die drei Tage vor der Aufnahme des belastenden Videos stattfand, wirkte Flowers verwirrt und schien einige Kerndaten der Bank wie die Größe und den Kapitalbestand durcheinanderzubringen.

Die Abgeordneten nahmen ihn ordentlich ins Verhör und befragten ihn kritisch zu seinen Qualifikationen, einen Bank zu beaufsichtigen. Außerdem fragten sie, ob Politiker ihren Einfluss geltend gemacht hätten, um dafür zu sorgen, dass die Co-op Bank im Bieterwettstreit um 632 Filialen der Lloyds Bankengruppe der bevorzugte Kandidat wurde. Im April zog die Co-op Bank wegen ausufernder Verluste ihr Gebot zurück. Im Juni befahl die britische Bankenaufsicht Prudential Regulation Authority, dass die Co-op Bank 1,5 Milliarden Pfund frisches Kapital aufnehmen müsse. Im Rahmen der Rettung durch die Hedgefonds dürfte diese Vorgabe erfüllt werden.

Flowers war schon im Jahr 2008 dem Aufsichtsrat des Mutterkonzerns Co-operative Group beigetreten, in dem er bis ins aktuelle Jahr hinein saß. Als ehemaliges Ratsmitglied der englischen Stadt Bradford war er in der Hierarchie einer regionalen Kooperative aufgestiegen. Diese Kooperative verschmolz im Jahr 2007 mit der Co-operative Bank.

Vor dem Untersuchungsausschuss sagte Flowers am 6. November, dass er am Anfang seiner Karriere vier Jahre im Bankwesen gearbeitet habe, aber dass diese Erfahrung für das heutige Bankwesen "wahrscheinlich veraltet" sei. Er sagte, er habe aber "andere Erfahrung" für das Amt als Aufsichtsratschef mitgebracht.

Mark Garnier, ein Mitglied des entsprechenden Ausschusses, sagte am Sonntag in einem Interview, er habe "keinen Schimmer" von Flowers' mutmaßlichen Drogenkonsum gehabt. Allerdings sei es auch "grell offensichtlich, dass er keine Ahnung von der Bank hatte, die er leitete", sagt Garnier mit Blick auf Flowers' Aussagen vor den Abgeordneten.

Ein Sprecher des Ausschusses meldete sich am Sonntag auf mehrfache Anfragen nicht zurück.

Der Niedergang der Co-op Bank ist in Großbritannien auch in der Politik spürbar. Auch wenn es die Bank bisher vermieden hat, Staatsgeld in Anspruch zu nehmen, so hängen doch viele ihrer Probleme mit ihrem Wachstumskurs zusammen, der politisch gefördert wurde. Die derzeitige britische Regierungskoaltion aus Konservativen und Liberaldemokraten hat ebenso wie zuvor die Labour-Regierung versucht, den Wettbewerb in der britischen Bankenbranche allgemein zu fördern. Diese wird von vier großen Kreditinstituten dominiert: Lloyds, die Royal Bank of Scotland Group, Barclays und HSBC Holdings .

Politiker wie der Schatzkanzler George Osborne und sein Pendant in der aktuellen Opposition, Ed Balls, sahen in der Co-op Bank einen prinzipientreuen Aufsteiger der Branche. Sie hatte in ihren Augen das Zeug, das britische Banken-Oligopol aufzubrechen und nach der Finanzkrise das Ansehen der gesamten Branche aufzupolieren. Im Jahr 2009 unterstützten zahlreiche Politiker die Fusion der Co-op Bank mit der Britannica Building Society, deren faule Kredite der Co-op heute das Leben schwer machen. Flowers wurde im April 2010 zum Aufsichtsratschef über das fusionierte Gesamtinstitut ernannt.

Im Jahr 2011 nahm die Co-op Bank unter Flowers' Kontrolle einen Anlauf, um weiter zu wachsen. Sie wurde zum bevorzugten Bieter für die Übernahme der Lloyds-Filialen ernannt. Im April dieses Jahres begrub die Bank selbst ihre Übernahmeambitionen und begründete dies mit einem schlechten wirtschaftlichen Ausblick und wachsenden Kosten wegen der Einführung strengerer Kapitalvorschriften.

Die britische Schatzkanzlei und das Büro von Labour-Politiker Balls meldeten sich am Sonntag nicht umgehend auf die Anfrage nach einem Kommentar zurück.

—Mitarbeit: Max Colchester

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