Aus deutscher Perspektive kann man leicht den Eindruck gewinnen: Mit der Kohle ist Schluss. Schließlich ist der Kohleausstieg beschlossen, RWE will den Rohstoff sogar nur noch bis 2030 verbrennen und die europäische CO₂-Bepreisung verteuert die Kraftwerke – sodass sich diese Stromerzeugung vermutlich nicht mehr lohnen wird. Gleichzeitig stammt bereits mehr als die Hälfte des deutschen Stroms aus Wind- und Solaranlagen. Kohle hingegen macht nur noch etwa 26 Prozent aus.
Und tatsächlich setzt auch die Welt auf erneuerbare Energien wie nie zuvor: Allein China errichtet gerade so viele Solar- und Windkraftanlagen wie alle anderen Länder zusammen. Auch Indien und die USA bauen enorm dazu. Das allerdings schließt eine verwirrende Gleichzeitigkeit nicht aus: Der Superlativ betrifft auch die fossilen Energieträger, allen voran Kohle: Noch nie wurde so viel von dem Rohstoff produziert und nachgefragt wie 2023, dies zeigen Auswertungen der Internationalen Energieagentur (IEA). Kohle ist der schmutzigste Energieträger, sie emittiert das meiste vom Menschen verursachte CO₂. Und obwohl sich Europa von der Kohle verabschiedet: Prognosen zeigen, dass die Welt noch lange nicht an einen Kohleausstieg denkt.
Diesen Trend bestätigt nun auch Glencore aus der Schweiz, einer der weltweit größten Rohstoffkonzerne und CO₂-Emittenten. Statt wie angekündigt das Kohlegeschäft abzutrennen, hat sich das Unternehmen umentschieden. Die Kohle bleibt im Konzern – im Sinne der Investoren. Im gerade erschienenen Halbjahresbericht kommt Glencore schnell auf den Punkt: Das Kohlegeschäft beizubehalten sei derzeit die profitabelste Lösung für die Aktionäre. Glencore-Chef Gary Nagle sagte, als er den Bericht vorstellte: „Der gesunde Menschenverstand hat gesiegt.“ Manch große Investoren hätten zudem einen enormen Nachteil, würde Glencore das Geschäft ausgliedern. Der Fonds Blackrock etwa wirbt mit einer nachhaltigen Anlagestrategie und hat sich die Regel auferlegt, nicht in reine Kohleunternehmen zu investieren. Macht der schmutzige Rohstoff hingegen nur einen Anteil des Konzerngeschäfts aus wie derzeit bei Glencore, kann der Fonds weiter vom boomenden Markt profitieren.
Dass Kohle so gefragt ist, hat mehrere Gründe. China etwa setzt auf den Ausbau eigener Kraftwerke, um seinen Energiebedarf möglichst unabhängig decken zu können. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Erdgaskrise, die daraufhin folgte, hat ebenfalls zu einem Kohleboom geführt. Auch der Anteil des Stroms aus deutschen Kohlekraftwerken stieg 2022, weil Erdgas aus Russland fehlte. Ein Jahr später verschoben sich die Anteile hierzulande zugunsten erneuerbarer Quellen, Erdgas wurde wieder wichtiger. Europa kaufte während der Energiekrise zu hohen Preisen verflüssigtes Erdgas ein, weil Länder wie Deutschland ihren Bedarf unbedingt decken wollten. In der Folge hat Südostasien mehr Kohle verfeuert. Und auch wenn China mehr Strom aus Erneuerbaren erzeugt als Europa und die USA zusammen, so verbrannten 2023 chinesische Kraftwerke gleichzeitig mehr als die Hälfte der weltweit genutzten Kohle.
Auch die IEA betont, dass Kohleunternehmen 2023 profitieren konnten: Weltweit seien die Preise für Kohle zwar wieder gesunken, aber immer noch höher als vor der Pandemie. Die Konzerne hätten Schulden abbezahlen können und Dividenden erhöht. Außerdem investierten sie in andere Bereiche, die wiederum für die erneuerbaren Energien notwendig sind. Auch Glencore fördert und handelt mit Rohstoffen wie Kupfer, Nickel und Kobalt, die in Solaranlagen oder Batterien für E-Autos verwendet werden. Dieses Geschäft finanziert der Konzern auch über das Kohlegeschäft mit.
In einer früheren Fassung hieß es, dass Europa den Höhepunkt der Kohleverbrennung bald erreicht haben mag. Tatsächlich ist dieser aber bereits überschritten.