Süddeutsche Zeitung

Kohlekraftwerke:Dicke Luft

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Die große Koalition streitet über schärfere Klimaregeln für Kohlekraftwerke. Interne Berechnungen zeigen: Für Steuerzahler und Stromkunden könnte der jüngste Kompromissvorschlag teuer werden.

Von Markus Balser, Berlin

Es geht um ein großes Versprechen, wenn sich der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD diesen Mittwoch im Berliner Kanzleramt trifft. Schon vor einigen Jahren hatte sich Deutschland verpflichtet, bis zum Jahr 2020 genau 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als im Vergleichsjahr 1990. Das schien machbar zu sein, als das Jahr 2020 noch weit entfernt war. Doch je näher der Stichtag rückt, umso schwieriger wird es. Mindestens 22 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß jährlich muss Deutschland bei der Energieerzeugung bis 2020 nun noch zusätzlich einsparen, um die Vorgabe zu erreichen.

Darüber, wie genau das erreicht werden soll, gibt es seit Wochen heftigen Streit. Offen ist vor allem eine Frage: Wer zahlt die notwendige Stilllegung alter Kohlekraftwerke? Dafür sollten vor allem die Verursacher aufkommen - also die Kraftwerksbetreiber selbst - so wünschte es sich bislang Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit seinem Modell der Klimaabgabe. Dafür sollten in erster Linie die Stromkunden und Steuerzahler geradestehen - so wünschen es sich vor allem die Kohlestandorte Nordrhein-Westfalen und Brandenburg, auch die Gewerkschaften. Gabriel warb seit Monaten für das erste Modell . Doch in der vergangenen Woche knickte er ein und kündigte an, am Mittwoch auch die Alternative zur Wahl zu stellen.

Die könnte Steuerzahler und Stromkunden nach Informationen der Süddeutschen Zeitung jedoch teuer kommen. Wirtschafts- und Umweltministerium rechnen den Angaben zufolge in den nächsten Jahren mit Mehrkosten in Milliardenhöhe. Denn während bei der Klimaabgabe der Löwenanteil von den Stromkonzernen zu tragen wäre und nur 420 Millionen Euro pro Jahr von der Allgemeinheit, könnte das unternehmensfreundliche Konzept der Kohleländer für die Allgemeinheit auf jährliche Kosten von 1,4 Milliarden Euro hinauslaufen - plus Einmalkosten.

Denn das von NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) und IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis entworfene zweite Modell sieht vor, dass die Konzerne selbst alte Kohlekraftwerke vom Markt nehmen, für Notfälle in Reserve halten und dafür eine Entschädigung bekommen, die letztlich die Stromkunden bezahlen. Weil die CO₂-Minderung nicht ausreichen würde, sollen zusätzliche Einspareffekte durch mehr Förderung erreicht werden. So sollen klimafreundliche Kraftwerke, die gleichzeitig Strom und Wärme produzieren, ebenso gefördert werden wie etwa mehr Klimaschutz in Kommunen. Die Kosten für Stromkunden und öffentliche Hand dürften sich den Berechnungen zufolge damit vervielfachen. Allein für die zusätzlichen CO₂-Einsparungen würden dem Papier zufolge knapp 1,2 Milliarden Euro durch höhere Fördergelder anfallen. Der Reservebetrieb der Kraftwerke soll zudem weitere 230 Millionen Euro pro Jahr kosten - und zusätzlich einmalig "ein bis zwei Milliarden Euro" für eine Art Ablöse.

Experten und die Opposition warnen die Bundesregierung davor, kostspielige Zugeständnisse an die Strombranche zu machen. "Als sehr teure Abwrackprämie für alte Kraftwerke" bezeichnete Claudia Kemfert, die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), den Länder- und Gewerkschaftsvorschlag. Berechnungen der Bundesregierung zeigten, dass der um einige Hundert Millionen Euro teurer werde als die ursprünglich geplante Kohleabgabe, klagt auch Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. "Doch statt den Kohleausstieg anzugehen, bereitet die große Koalition den dreckigen CO₂-Schleudern noch ein goldenes Ende auf Kosten der Steuerzahler." Das Wirtschaftsministerium äußerte sich nicht zu den Zahlen. Bundesminister Gabriel habe zuletzt betont, dass es nach langen Diskussionsprozessen nun an der Zeit sei, über konkrete Umsetzungsvorschläge für das Klimaziel zu entscheiden, teilte das Ministerium mit.

Ob der teurere Plan auch bei einem Abstimmungserfolg am Mittwoch überhaupt zum Zug kommen kann, steht allerdings in den Sternen. Denn die Milliardenförderung der Kraftwerke birgt die Gefahr, dass die Europäische Union wegen unerlaubter Beihilfen einschreitet. So heißt es in den aktuellen Papieren des Wirtschaftsministeriums beim Punkt EU-rechtliche Bewertung: "noch zu klären". Helfen könnte ein Trick. Die Unterstützung für die Kohleindustrie könnte als Hilfe für die Bediensteten von Kraftwerken und Tagebauen verbucht werden. Gabriel machte bereits klar, dass er den Streit ohnehin erst am Anfang sieht. Mit dem Zusammenkratzen der 22 Millionen Tonnen sei es bei Weitem nicht getan, warnte er vergangene Woche. Die Energiebranche habe bereits einem ganz anderen Ziel zugestimmt: Dem Senken der Emissionen bis 2030 um weitere 200 Millionen Tonnen.

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SZ vom 29.06.2015
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