Süddeutsche Zeitung

Kohleausstieg:Die Stromkonzerne wollen schnell raus

Ihr Strom ist nicht mehr rentabel: Bei einer Auktion für die Stilllegung von Kohlekraftwerken haben sich die Betreiber gegenseitig unterboten. Die Liste der Aussteiger ist bemerkenswert.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wie sich die Zeiten ändern, das lässt sich in Walsum schön nachvollziehen. 1928 entstand dort, gleich bei Duisburg, das erste Kohlekraftwerk: Es versorgte seinerzeit die benachbarte Zeche. Weitere Kraftwerke kamen dazu, die Zeche aber verschwand. 2008 stellte sie den Betrieb ein. So wie demnächst auch der vorletzte Kohleblock in Walsum. Er wird Teil der ersten Tranche des deutschen Kohleausstiegs. Der Ausstieg aus der Steinkohle erfasst Walsum zum zweiten Mal: erst die Zeche, nun die Kraftwerke.

Am Dienstag hat die Bundesnetzagentur die Ergebnisse der Ausschreibung für Kraftwerksstilllegungen bekannt gegeben, sie sind in jeder Hinsicht bemerkenswert. Neben dem 42 Jahre alten Block in Walsum gehen auch die beiden Blöcke des Hamburger Kraftwerks Moorburg vom Netz - obwohl sie erst seit 2015 in Betrieb sind, nach jahrelangem juristischen Tauziehen und massiven Protesten. Im neuen Jahr ist nun Schicht. "Wir begrüßen diese Entscheidung", sagt die neue Vattenfall-Chefin Anna Borg. "Sie ermöglicht es uns, das Kraftwerk Moorburg früher als bisher geplant vom Netz zu nehmen." Plötzlich wollen alle raus aus der Kohle.

Das spiegelt auch die Ausschreibung wider. Kraftwerksbetreiber konnten hier mitbieten, indem sie Entschädigungen aufriefen, für die sie ihre Anlagen stilllegen. Die Obergrenze lag bei 165 000 Euro je Megawatt. Für die beiden 800-Megawatt-Blöcke von Moorburg hätte Vattenfall also 264 Millionen Euro Stilllegungsprämie verlangen können. Aber den Zuschlag hätte Vattenfall dann nicht bekommen - denn die Ausschreibung, so heißt es aus der Bundesnetzagentur, sei "deutlich" überzeichnet gewesen.

Das höchste Gebot, das noch einen Zuschlag erhielt, lag bei 150 000 Euro je Megawatt Leistung. Wer zu welchen Prämien den Zuschlag erhielt, verrät die Netzagentur nicht. Der Durchschnitt der Zuschläge, gewichtet nach der jeweiligen Stromleistung, lag bei gut 66 000 Euro. Einer der Betreiber gab sich sogar mit 6047 Euro Entschädigung je Megawatt zufrieden. Allerdings finden sich unter den elf Kraftwerken auch drei Mini-Anlagen, die bisher Zuckerrüben-Fabriken versorgten, zwei davon mit Braunkohle.

"Die Ausschreibung zeigt, wie schwierig die wirtschaftliche Lage mittlerweile ist", sagt der Ökonom Felix Matthes, der sich beim Öko-Institut mit den Energiemärkten beschäftigt. "Anscheinend ist die Qual so groß, dass selbst jüngere Anlagen sich nicht mehr rentieren." Diese jüngeren Anlagen, neben den beiden Moorburg-Blöcken zählt dazu auch das RWE-Kraftwerk Westfalen, sind deutlich effizienter als ältere - mit moderneren Kesseln holen sie mehr aus der Kohle heraus. Allerdings laufen sie auch mehr Stunden im Jahr - mit entsprechend höheren klimaschädlichen Emissionen.

Der Preis für klimaschädliche Emissionen steigt seit drei Jahren deutlich

Für deren Ausstoß müssen die Betreiber Berechtigungen im europäischen Emissionshandel kaufen, und deren Preis steigt seit drei Jahren. Kostete es Anfang 2018 noch acht Euro, eine Tonne Kohlendioxid zu emittieren, liegt der Preis mittlerweile knapp unter 30 Euro. Sollten sich die Europäer demnächst auf ein strengeres Klimaziel für 2030 verständigen, und dafür spricht einiges, dürfte sich der Preisanstieg fortsetzen. Die Kraftwerke werden dadurch immer weniger rentabel.

Wer nun den Zuschlag hat, darf ab Januar keinen Strom mehr vermarkten. Die Netzagentur prüft nur noch, ob das Stromnetz ihre Abschaltung verkraftet. Danach ist Schluss, auch im RWE-Kraftwerk Ibbenbüren oder in der Uniper-Anlage Heyden. "Wir wollen unseren Beitrag zu einem möglichst zügigen Ausstieg aus der Kohleverstromung leisten", sagt Uniper-Chef Andreas Schierenbeck. Und so war das auch geplant, als eine Regierungskommission im vorigen Jahr einen Fahrplan für den Ausstieg aushandelte.

Der deutschen Klimabilanz dürfte die erste Ausschreibungsrunde jedenfalls helfen. Insgesamt gehen spätestens bis zum nächsten Sommer 4,8 Gigawatt vom Netz. Grob überschlägig könnten damit Einsparungen von gut zwölf Millionen Tonnen Kohlendioxid zusammenkommen. Das entspricht ziemlich genau einem Prozentpunkt bei den deutschen Klimazielen, die sich an den Emissionen im Jahr 1990 orientieren.

Und die Energiewende könnten die einstigen Kraftwerksstandorte auch vorantreiben, schließlich sind sie mit großen Leitungen bestens ans Stromnetz angeschlossen. In Walsum zum Beispiel könnte eine große Elektrolyse-Anlage entstehen, etwa für die Herstellung von Wasserstoff. Zusätzlich könnte ein größerer Speicher für erneuerbare Energien entstehen. So geht die Energiegeschichte in dem Duisburger Vorort weiter - auch jenseits der Kohle.

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