Kohleausstieg:Energiewende? Wir brauchen eine Politikwende!

Klimawandel - Schüler protestieren 2019 vor dem Wirtschaftsministerium in Berlin

Der Ausstieg aus der Kohleenergie wird das Problem nicht lösen: Schüler demonstrieren vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Im Hintergrund ein Heizkraftwerk.

(Foto: AFP)

Der Kohleausstieg ist ein richtiger Schritt. Aber er kann nicht kompensieren, was in anderen Bereichen schiefläuft.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Kaum zu glauben, dass das noch der einfachere Teil war. Dutzende Treffen einer 28-köpfigen Kommission, Studien und Gegenstudien, öffentliche Scharmützel und Weltuntergangsszenarien - und das alles nur für den Ausstieg aus dem Kohlestrom.

Der Kampf gegen Kohlekraftwerke steht im Klimaschutz seit jeher besonders im Fokus. Das liegt zum einen natürlich daran, dass sie verflucht viel Kohlendioxid verursachen: in Deutschland mehr als ein Viertel aller Emissionen. Zum anderen aber kann ein Kohlekraftwerk, im Unterschied etwa zu einer Aluhütte, nicht einfach das Land verlassen und woanders weiterproduzieren. Auch der Kreis der Betroffenen ist überschaubar. Anders als im Verkehr, wo gleich Millionen Autofahrer mitreden wollen. Oder in Gebäuden: Da ist eigentlich jeder betroffen. Nirgends lässt sich mit wenig Nebenwirkungen so schnell so viel für das Klima erreichen wie beim Ausstieg aus dem Kohlestrom.

Das schmälert nicht die Leistung der Kohlekommission. Deutschland schaufelt wie kein anderes Land in Europa Braunkohle. Sie hat deren Ende besiegelt, ohne über die Interessen der Betroffenen in den Revieren hinwegzugehen. Das verhindert nicht den Verlust von Jobs in Kraftwerken und Tagebauen. Aber die Regionen, vor allem in Ostdeutschland, stehen danach nicht vor dem Nichts, nicht vor einem zweiten Abbau Ost. Sie haben ohnehin Besseres verdient als Löcher in der Landschaft und dampfende Kühltürme.

Mindestens genauso wichtig ist das Signal für die deutsche Energiewende. Einem System, in dem flexible Gaskraftwerke und Speicher die schwankenden erneuerbaren Energien ausgleichen, stand die Kohle bisher stets im Weg. Die schwerfälligen Kohlekraftwerke stehen für das Gegenteil von Flexibilität; weil sie aber längst abgeschrieben sind, erschweren sie der flexiblen Konkurrenz das Geschäft. Der Ausstieg aus der Kohle schafft nun Planbarkeit für den Ausstieg aus fossiler Energie und damit auch für den Einstieg in ein klimafreundliches, flexibles System. Er stellt die Energiewende, die bisher allein auf dem Ausbau der Öko-Energien fußte, endlich auf zwei Beine.

Zumindest bei der Kohle kann sich die Bundesregierung damit nun aus dem Stillstand ihrer Klimapolitik befreien. Umso drängender wird die Frage, was eigentlich mit den anderen drei Vierteln der hiesigen Emissionen passiert: Im Verkehr sind sie zuletzt gestiegen, statt zu sinken. Bei Gebäuden, die viel zu viel Wärme an die Außenwelt verlieren, liegt die Sanierungsrate weit unter dem Soll. Jetzt, wo das Ende der Kohle absehbar geworden ist, tritt diese Debatte aus dem Schatten. Endlich.

Als am Freitag Schüler für das Klima demonstrierten, gleich vor den Räumen der Kohlekommission, da trug ein Schüler ein vielsagendes Plakat. Auf eine Pappe hatte er gepinselt: "Weil meine Eltern gerade 'ne G-Klasse kaufen."

Genau so läuft es eben nicht. Die Kohle kann mit dem Kompromiss ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, aber es ist eben nur ihr Beitrag. Der Ausstieg wird nicht reichen, die deutschen Klimaziele bis 2030 zu erreichen, bei Weitem nicht. Er kann nicht kompensieren, was in anderen Bereichen schiefläuft. Zu glauben, mit der Energiewende habe Deutschland erst einmal seinen Teil für das Klima getan, war eine Illusion, die mehrere Regierungen gerne nährten. Damit muss Schluss sein.

Jetzt ist das Öl dran

Die Konsequenz ist einfach. Nach der Debatte über die Kohle braucht das Land nun eine über das Öl: über Kraft- und Heizstoffe. Sie wird ungleich komplizierter, weil sie fast jeden ganz direkt betrifft. Schon deshalb wird es hier noch mehr um sozialen Ausgleich gehen, um Pendler, um Familien. Es braucht Anreize für Alternativen, wie es sie bei der Energiewende auch gegeben hat, und eine Debatte über die Chancen, die klimafreundliche Innovation bieten kann - gerade für die deutsche Wirtschaft. Es braucht ein Forum für den Ausgleich der Interessen, wie die Kohlekommission eines gewesen ist.

Auch hier geht es erst einmal um den Einstieg, Instrumente dafür gibt es: etwa eine Senkung der Stromsteuer, um elektrische Alternativen attraktiver zu machen, von der Wärmepumpe daheim bis zum Elektroauto. Und einen Preis auf Kohlendioxid, um klimaschädliche Emissionen teurer zu machen. Aus ihren Einnahmen ließe sich ein sozialer Ausgleich finanzieren, oder alles, was zur Energieeffizienz beiträgt und damit den Preisaufschlag senkt.

Bisher wehrt sich die Bundesregierung mit Händen und Füßen gegen diese Debatte. Wenn es ihr ernst ist mit Klimaschutz und Klimazielen, wird sie darum aber nicht mehr herumkommen. Gerade jetzt, wo die Zukunft der Kohle geklärt ist.

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