Kohle und Klima:Dreck muss teurer werden

File photo of a man fishing in an artificial lake outside Belchatow Power Station

Investitionen in Kohlekraftwerke wie das im polnischen Belchatow - das größte in Europa - rechnen sich erst nach Jahrzehnten. Deshalb müsste schon der Bau unattraktiv gemacht werden, möglichst weltweit.

(Foto: REUTERS)

Klimaschutz funktioniert nur wirtschaftlich, Abkommen und Investitions-Boykotts allein reichen nicht. CO2-Emissionen dürfen sich nicht mehr lohnen - und zwar weltweit.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Wer jemals ein Haus gebaut hat, weiß das: Es gibt Entscheidungen, die lassen sich schwer korrigieren. Die Farbe der Dachziegel, die Größe des Schlafzimmers, ob Öl- oder Gasheizung - wenn ein Haus steht, dann steht es. Jeder Umbau wird teuer. So ähnlich ist das auch mit dem Klima und der Kohle.

Abschied von der Kohle, bisher aber nur in Europa

Das beste Beispiel dafür zerlegt sich gerade selbst. Fast ein Jahrhundert lang lebte der Essener RWE-Konzern von und mit der Braunkohle. Fast ein Jahrhundert lang stellte das niemand infrage. Die Kohle lag vor der Haustür, nur die nötigen Kraftwerke fehlten. RWE baute sie. Heute sind sie ein Klotz am Bein des Konzerns und ein echtes Hindernis für den Klimaschutz. Denn so ein Kraftwerk ist ein Jahrzehnteprojekt. Soll es sein Geld wieder einspielen, muss es vierzig, fünfzig Jahre lang laufen. Mancher RWE-Meiler ist noch älter. Experten nennen das den "Lock-in-Effekt". Ist so eine Entscheidung einmal gefallen, sind Investoren eingesperrt. So wenig ein Hausbesitzer eine tragende Wand einreißt und woanders wieder hochzieht, wird ein Kraftwerksbetreiber eine rentable Anlage einfach so abschalten. Im Gegenteil: Jedes neue fossile Kraftwerk ist eine neue Hypothek, abzuzahlen von den Leidtragenden des Klimawandels. So gesehen ist die Aufspaltung des RWE-Konzerns die jüngste in einer ganzen Reihe guter Nachrichten, die den Klimagipfel in Paris begleiten. Der Essener Konzern leitet die Abwicklung seiner Braunkohlesparte ein. Nichts anderes heißt es, wenn die neue Tochter - für Ökostrom, Vertrieb und Netze - neue Mittel am Kapitalmarkt einwerben soll, die alte Sparte aber nicht. RWE sucht Bewegungsfreiheit dort, wo es seine Zukunft sieht. Die Braunkohle läuft aus, zerrieben zwischen Klimaschutz und Ökostrom.

Leider spiegelt das nicht die Realitäten jenseits Europas. Weltweit sind mehr als 2000 Kohlekraftwerke in Planung, in Indien, Vietnam, Nigeria, der Türkei. Wenn nur ein Bruchteil davon fertig wird, brächte das die Welt dem Klimachaos einen großen Schritt näher: Gebaut ist gebaut. Wenn die Kraftwerke einmal stehen, müssen sie auch Geld verdienen.

Die Wirtschaft zählt - auch beim Klimaschutz

Das macht es so wichtig, dass zunehmend große Investoren der Kohle den Rücken zuwenden - wie zuletzt der Allianz-Konzern - oder andere, wie die Initiative um Bill Gates, Milliarden in grüne Alternativen stecken wollen. Deshalb auch ist es nur folgerichtig, wenn Entwicklungsbanken keine Kredite mehr für neue Kraftwerke geben und sich Industriestaaten dazu verpflichten, Dreckschleudern die Exporthilfe zu streichen. Aus diesem Grund auch wäre ein neues Klimaabkommen, wie es bis Ende nächster Woche in Paris entstehen soll, mehr als nur eine Ansammlung gut gemeinter Vorhaben: Es gäbe Märkten das Signal, dass sich mit Kohle, Öl und Gas bald kein Geld mehr verdienen lässt. Ausnahmsweise ginge RWE so seiner Zeit mal ein paar Tage vorweg.

"It's the economy, stupid": Bill Clinton hat mit diesem Spruch einen ganzen Präsidentenwahlkampf bestritten. Dass die Wirtschaft zählt, gilt auch für den Klimaschutz, im Guten wie im Schlechten. Investitionen entscheiden zum einen heute darüber, mit welchen Problemen die Welt morgen zu kämpfen hat. Zum anderen, weil paradoxerweise die Ökonomie Investoren gerade in eine andere Richtung treibt. Gerade weil Kohle in vielen Industrieländern mittlerweile einen schlechten Stand hat, verfällt der Preis am Weltmarkt. Wer aber in einem Entwicklungsland investiert, kann die Rupie auch nur einmal ausgeben - für fossile oder erneuerbare Energie. Durch den niedrigen Kohlepreis fällt diese Rechnung allzu oft zu Ungunsten des Klimas aus, ungeachtet des dramatischen Preisverfalls bei grünen Energien. Die späteren Klimaschäden tauchen im Preis der Kohle nicht auf.

Deswegen wird es nicht reichen, wenn ein Land wie Deutschland Abschied von der Kohle nimmt, wenn institutionelle Investoren sich die Finger nicht mehr damit schmutzig machen wollen und die Staatengemeinschaft sich feierlich auf mehr Klimaschutz einschwört. Sollen nicht länger Milliarden in Bauwerke fließen, die ihren Dienst eigentlich nicht tun dürfen, wird es einen Preis auf Kohlendioxid geben müssen - einen Preis, der höher ist als im verkorksten Emissionshandel der EU. Kohle würde so künstlich verteuert. Das ist die Sprache, die Investoren verstehen. Und zwar überall auf der Welt.

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