Süddeutsche Zeitung

Energiepolitik:Harter Kampf um die Kohle

  • Die Kohlekommission soll einen Plan entwickeln, wie Deutschland aus dem Tagebau aussteigen kann. Die Lösung soll möglichst vielen Seiten gerecht werden.
  • Doch Tausende Bergleute fürchten um ihre Lebensgrundlage, ganze Regionen um ihre wirtschaftliche Zukunft.
  • Bei einem Besuch der Kommission im Rheinischen Braunkohle-Revier zeigt sich der Konflikt zwischen Klimaschutz und Arbeitsplätzen besonders deutlich.

Von Benedikt Müller, Elsdorf, und Jana Stegemann, Bergheim

Ausgerechnet als Armin Laschet die Frage zum Hambacher Forst beantworten will, geht das Licht über Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident (CDU) aus. Doch wer jetzt eine geplante Aktion oder einen Engpass in der Stromversorgung vermutet, liegt falsch. Es hatte sich nur jemand versehentlich an die Lichtschalter im Kreishaus Bergheim gelehnt. Dort, etwa 30 Kilometer von Köln und 15 Kilometer vom Hambacher Forst entfernt, empfängt Laschet die sogenannte Kohlekommission vor ihrer Fahrt durchs Rheinische Revier.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission soll Wege zu einem Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten. Noch in diesem Jahr soll klarer werden, wie schnell Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen könnte. Und schon sehr bald will die Kommission Ideen für mehr Wachstum und neue Arbeitsplätze in den betroffenen Regionen vorlegen: dem Rheinland, in Mitteldeutschland und der Lausitz. Dort arbeiten noch mehr als 20 000 Menschen in Tagebau und Braunkohlekraftwerken.

Ob das Gremium bei seiner Tour auch den Wald besuchen werde, der zum Symbol für den Widerstand gegen die Braunkohle geworden ist, wird Laschet von Journalisten gefragt. Er reagiert genervt und kurz angebunden, man solle doch bitte die Kommissionsmitglieder fragen, ob der Forst eine Rolle spiele. Er habe allerdings an die Kommission appelliert, einen nachhaltigen Ausstieg aus der Braunkohle für die ganze Region zu planen und sich nicht an Symbolen festzuhalten wie dem Hambacher Forst. Deutschland müsse die Klimaziele erreichen und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland erhalten.

"Es sagt ja jeder, das Licht wird hier schon nicht ausgehen", meint Laschet. Die Bundesregierung müsse nun aber Belgien im kommenden Winter unterstützen, damit auch dort die Stromversorgung konstant gewährleistet werde, nachdem Kraftwerke abgeschaltet wurden. So ein Szenario "wollen wir nicht für uns", sagt Laschet, "wir brauchen eine sichere und international wettbewerbsfähige Stromversorgung".

Rodungsstopp und Kohleausstieg verunsichern die Bergleute

Laschet sagt, es ärgere ihn, mit welcher Häme etwa auf Twitter über Demonstranten gesprochen werde, die Angst um ihre Arbeitsplätze hätten. Gemeint sind einige Tausend Bergleute und Industriearbeiter, die sich, während er spricht, vor dem Kreishaus versammeln und auf eine Wiese am Werksgelände am Rand des Tagebaus ziehen. Wenige Gehminuten entfernt betreibt der Energiekonzern den größten Braunkohletagebau Deutschlands. Der Abbau dort geht langsamer voran, seitdem das Oberverwaltungsgericht Münster einen vorläufigen Rodungsstopp im angrenzenden Hambacher Forst verhängt hat. Umweltschützer haben geklagt, weil der alte Wald ihrer Ansicht nach die Kriterien eines Naturschutzgebietes erfüllt.

Der Rodungsstopp und der langfristige Kohleausstieg verunsichern die Bergleute. "Die Stimmung unter den Beschäftigten ist aufgeheizt", sagt Michael Vassiliadis, Chef der IG BCE, "weil sie Angst haben um ihre Jobs." Viele Demonstranten ärgere, dass Deutschland jahrzehntelang auf Kohlestrom gesetzt habe und nun die Arbeit der Braunkohle-Bergleute schlechtrede. "Wir sind keine Dreckschweine, wir sind Menschen", steht auf Plakaten.

Der Druck auf die Kohlekommission ist hoch. Einer ihrer Vorsitzenden ist Matthias Platzeck, früher einmal Ministerpräsident in Brandenburg. "Diese Kommission diskutiert genauso heftig wie die gesamte Gesellschaft", betont er. Umweltschützer fordern einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle, weil bei keinem anderen Energieträger so viele CO₂-Emissionen anfallen. Dagegen kämpfen Unternehmen und Gewerkschaften für gut bezahlte Jobs in den Kohleregionen. Deutschland steht vor einer der kniffligsten Entscheidungen dieser Zeit, hin- und hergerissen zwischen Klimaschutz und Industriepolitik.

Neben den Bergleuten und Kraftwerkern sind auch viele Chemiearbeiter in ihrer bunten Werkskleidung nach Elsdorf gekommen. Unternehmen mit hohem Strombedarf, etwa aus der Stahl- und Aluminiumindustrie, beschäftigen alleine in Nordrhein-Westfalen 250 000 Menschen. Sie fürchten höhere Stromkosten, wenn die Braunkohle wegfällt. Kohlekraftwerke sicherten bislang die Grundlast und wettbewerbsfähige Strompreise, heißt es beim Verband der Chemischen Industrie. Erneuerbare Energien hingegen erbrächten noch nicht die nötige gesicherte Leistung.

Die Demonstranten haben am Mittwoch symbolisch Wind und Sonne in Tüten abgefüllt: zu benutzen "bei Flaute und Dunkelheit", heißt es auf dem Transparent darüber. Sie warnen, dass Deutschland Atom- und Kohlestrom aus dem Ausland importieren müsste, wenn die Politik einen zu schnellen Ausstieg aus der heimischen Kohle beschließen sollte. Dem Weltklima wäre damit nicht gedient.

Umweltschützer verweisen auf die Klimaziele der Bundesregierung

Kritiker widersprechen und verweisen darauf, dass Deutschland mehr Strom produziert, als es benötigt. In der Folge sind viele Gaskraftwerke, obwohl umweltfreundlicher als Kohlekraftwerke, nicht gut ausgelastet. Deutschland exportiere überschüssigen Strom derzeit in die Nachbarstaaten und hemme dort den Ökostrom-Ausbau, klagt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Deutschland könne mehrere Kohleanlagen vom Netz nehmen, ohne die Stromversorgung zu gefährden, meinen Energieexperten. Allerdings ist Strom aus Gaskraftwerken und erneuerbaren Energien bislang teurer als Braunkohlestrom.

Umweltschützer verweisen zudem auf die Klimaziele der Bundesregierung, wonach Deutschland seinen CO₂-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent reduzieren will, bis 2040 gar um 70 Prozent. Da helfe keine einzelne Maßnahme so schnell weiter wie die Abschaltung von Kohlekraftwerken. Gewerkschaftschef Vassiliadis betont jedoch, dass die Energiewirtschaft das 40-Prozent-Ziel erfüllen werde. Denn mit dem Ausbau erneuerbarer Energien sind bereits viele alte Kraftwerke vom Netz gegangen. "Wir müssen kein schlechtes Gewissen haben", ruft Vassiliadis den Bergleuten zu. Tatsächlich sind etwa der Gebäude- und Verkehrssektor weiter von den Klimazielen entfernt als die Stromwirtschaft.

Die Klima-Aktivisten wollen bereits in den nächsten Tagen den Druck erhöhen. Das Bündnis "Ende Gelände" baut ein Protestcamp im Rheinischen Revier auf und ruft für das Wochenende Tausende Kohlegegner aus ganz Europa zu zivilem Ungehorsam im Tagebau auf.

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SZ vom 25.10.2018/vd
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