Kodex für Unternehmensführung:Eine stumpfe Waffe

Der Fall von MAN und seinem Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch zeigt: Der deutsche Kodex für gute Unternehmensführung wird auch zehn Jahre nach seiner Einführung nicht ernst genommen. Viele Manager handeln so, als gehöre der Konzern, dessen Angestellte sie sind, ihnen selbst.

Karl-Heinz Büschemann

Am Montag wird Ferdinand Piëch Prügel beziehen. Auf dem Münchner Messegelände gibt es die Hauptversammlung des LKW-und Maschinenbauers MAN, ein Redner nach dem anderen wird den Aufsichtsratsvorsitzenden Piëch attackieren und beklagen, bei MAN würden die Regeln guter Unternehmensführung, der Corporate Governance; mit Füßen getreten. Der Großaktionär Volkswagen benehme sich bei MAN so ungeniert, als gehöre ihm der ganze Konzern und nicht nur gut 30 Prozent der Aktien, wird es heißen.

Ferdinand Piech

Ferdinand Piëch hat mit Kritik keine Probleme: Er lässt sie einfach an sich abprallen.

(Foto: APN)

Piëch wird die Kritik an sich abprallen lassen. Und wenn die Aktionäre nach Hause gegangen sind, hat der österreichische Milliardär, der auch Oberkontrolleur von VW ist, wieder neue Fakten geschaffen, um MAN komplett zu übernehmen. Denn nach dieser Hauptversammlung wird der Aufsichtsrat von MAN komplett mit Piëch-Leuten besetzt sein.

Massive Verstöße

Es steht nicht gut um die Prinzipien guter Unternehmensführung in Deutschland, ausgerechnet zum Jubiläum des Corporate-Governance-Kodex. Zehn Jahre nachdem Kanzler Gerhard Schröder die ständige Kommission gegründet hat, um die Führungskultur deutscher Unternehmen auf internationales Niveau zu bringen, ist das Ergebnis ernüchternd. Massive Verstöße gegen die Anstandsregeln sind an der Tagesordnung. Noch immer vermischen Manager operative Führung von Unternehmen mit Kontrolle. Noch lieben Top-Manager die Mauscheleien im Hinterzimmer zu Lasten der Aktionäre, die der Vergangenheit angehören sollten. "Man muss sich fragen, ob wir den Kodex in dieser Form noch brauchen", sagt zum Beispiel Hans-Joachim Böcking, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Uni Frankfurt.

Inzwischen hat der Gesetzgeber den Kodex überholt. Die Veröffentlichung der Gehälter von Managern gab es in Deutschland erst, als ein Gesetz sie zur Vorschrift machte. Freiwillig wollte sich kaum ein Unternehmen darauf einlassen. Auch das quasi-automatische Aufrücken von Firmenchefs an die Spitze des Aufsichtsrates im Pensionsalter hörte erst auf, als die Sache im Gesetz stand. Böcking beklagt, dass der Kodex inzwischen nicht mehr auf der Höhe der Zeit sei. "Seit zwei Jahren herrscht konzeptioneller Stillstand. Der Kodex ist längst hinter das Gesetz zurückgefallen."

Ein besonders gespanntes Verhältnis zu den Prinzipien VW-Aufsichtsrat Piëch. Er verstößt gleich gegen mehrere Vorgaben der Kommission. Piëch ist zugleich Aufsichtsratsvorsitzender von VW wie von MAN, einem Unternehmen, das VW gerade übernehmen will. Als VW-Mann muss er versuchen, den Münchner Konzern möglichst günstig zu bekommen. Als Oberkontrolleur von MAN hat er die Aufgabe, die Interessen der MAN- Aktionären zu dienen und den Preis möglichst hoch zu treiben. Klarer kann der Interessenkonflikt sein. Schlimmer noch: Gerade hat der übermächtige VW-Stratege drei VW-Manager in das Aufsichtsgremium von MAN entsandt, die zugleich den schwedischen MAN-Konkurrenten Scania kontrollieren, an dem VW ebenfalls maßgeblich beteiligt ist. VW will MAN und Scania sogar zusammenführen. Die Wut bei MAN über diese Vermischung der Interessen ist uferlos. Piëch pfeift drauf. "Der Aufsichtsrat ist der Meinung, dass die entsprechende Wahl eine Kooperation mit Scania erleichtert", heißt es lapidar in der Einladung zur MAN-Hauptversammlung. Klare Interessenkonflikte sind im deutschen Aktienrecht nicht verboten oder gar strafbar.

Och, die Aktionäre

Die Reihe massiver grundsätzlicher Verstöße gegen den Kodex ist lang. Bei der Deutschen Bank hilft der Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann bei der Suche nach seinem eigenen Nachfolger. Eine klare Missachtung des Kodex. Die Vorstandsbesetzung ist alleinige Sache des Aufsichtsrates. "Der tut so, als würde der Kodex für ihn nicht gelten", kritisiert der Münchner Kodex-Experte und Professor, Manuel Theisen. Der Finanzchef der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges räumt offen ein, er habe den neuen Wirtschaftsprüfer für den Konzern selbst ausgesucht hat. Auch das kollidiert mit dem Regeln guter Unternehmensführung. Der Wirtschaftsprüfer muss die Bilanzen gründlich prüfen, die der Finanzchef verantwortet. Der Prüfer muss von einem besonderen Ausschuss des Aufsichtsrats gewählt werden. Nur so lassen sich Mauscheleien aufdecken.

Nach wie vor handeln viele Manager so, als gehöre der Konzern, dessen Angestellte sie sind, ihnen selbst. Theisens Bilanz zu zehn Jahren Corporate-Governance-Kodex: "Ich habe nicht den Eindruck, dass die Interessen der Aktionäre heute ernster genommen werden als früher." Selbst Klaus-Peter Müller, der Vorsitzende der 14-köpfigen Corporate-Governance-Kommission, ist nicht zufrieden. Aber seine Waffen sind stumpf.

Am Mittwoch und Donnerstag findet im Berliner Hotel Kempinski der jährliche Kongress zur Corporate Governance statt. Angesichts der Mängel in der Führungskultur wird Müller, der Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank ist, den in Berlin versammelten Aufsichtsräten erklären, dass er nicht auch noch für die Einhaltung seiner Regeln sorgen kann. "Wir können nicht auch noch den Schiedsrichter spielen". Das müssten andere tun. "Die Medien", so meint Müller diplomatisch, nähmen ihre Aufgabe, Mängel anzuprangern "in der Regel durchaus wahr", als wollte er andeuten, die Presse könnte in mehr unterstützen.

Vor allem aber müsse von den Aktionären mehr Druck auf kommen. "Es wäre für die Qualität mancher Diskussion gut, wenn auch die großen Investoren - also die Eigentümer - diese Aufgabe deutlicher wahrnehmen würden", so Müller. "Sie sollten sich dieses Urteil in der Öffentlichkeit bilden." Hinterzimmerdiplomatie sei in diesem Fall kein Ausweg. Doch genau das praktizieren die meisten Investoren.

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