In einem ungewöhnlichen Schritt haben sich führende Wirtschaftswissenschaftler gegen die Überlegungen von Union und SPD zur Neuordnung der Rente gestellt. In einem gemeinsamen Brief an die Parteivorsitzenden Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU), Saskia Esken und Lars Klingbeil (beide SPD) schreiben 28 Ökonominnen und Ökonomen, sie nähmen „mit großer Sorge“ die bisherigen Vereinbarungen in den Koalitionsgesprächen zur Rentenversicherung zur Kenntnis. „Nicht nur, dass Sie eine enorm kostspielige und wenig zielgerichtete Maßnahme wie die ‚Rente mit 63‘ beibehalten wollen. Sie planen darüber hinaus, das Rentenniveau zu stabilisieren und eine weitere Anhebung der Mütterrente. Wir möchten Sie eindringlich bitten, von all dem Abstand zu nehmen“, heißt es in dem Brief, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Unter dem eineinhalb Seiten langen Text finden sich die Namen von Monika Schnitzer, Veronika Grimm, Ulrike Malmendier und Martin Werding, alle vier zählen zu den sogenannten Wirtschaftsweisen, welche die Bundesregierung beraten. Unterstützer sind zudem Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI in Essen, sowie Marcel Thum, Direktor des Ifo-Instituts in Dresden.
Laut dem Ergebnispapier der Fachpolitiker von Union und SPD wollen die Koalitionäre in spe das Rentenniveau „sichern“; was genau dies heißt, ist allerdings unklar. Derzeit liegt das Rentenniveau, eine Rechengröße für die allgemeine Höhe der Renten, bei 48 Prozent. Zudem vereinbarten die Sozialpolitiker einen Ausbau der sogenannten Mütterrente, dabei erhöhen Kindererziehungszeiten die Rente eines Elternteils. Die sogenannte „Rente mit 63“, die einen vorzeitigen Ruhestand ohne Abschläge ab mittlerweile 64 Jahren ermöglicht, soll beibehalten werden.
Renteneintrittsalter an Lebenserwartung koppeln
Dies sei kostspielig und ungerecht gegenüber den Jüngeren, so die Botschaft der Forschenden. Eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem jetzigen Niveau „dürfte in den kommenden 20 Jahren zusätzliche 520 Milliarden Euro kosten“, heißt es in dem Brief. Dadurch würden die Beitragssätze zur Rentenversicherung, die je zur Hälfte von Beschäftigten und Arbeitgebern getragen werden, noch stärker steigen, als dies ohnehin absehbar sei. Hintergrund ist die Alterung der Bevölkerung, die dazu führt, dass die Beschäftigten durch ihre Sozialbeiträge immer mehr Ruheständler finanzieren müssen.
Hinzu komme die Mütterrente, die der Rentenversicherung zufolge jährliche Mehrkosten von 4,5 Milliarden Euro bedeuten würde. „Um die Tragfähigkeit der Rentenfinanzen dauerhaft zu sichern, müssen all diese teuren Leistungsausweitungen unterlassen werden“, heißt es in dem Brief. Die Fachleute fordern stattdessen, das Renteneintrittsalter von derzeit 66 Jahren an die Entwicklung der Lebenserwartung anzupassen. Dies sei „ein besonders wichtiger Baustein für ein generationengerechtes Rentensystem“. Nur so könne sichergestellt werden, dass jüngere Generationen und gleichzeitig der Faktor Arbeit nicht über Gebühr belastet würden.
Die SPD hatte im Bundestagswahlkampf mit dem Versprechen einer sicheren Rente geworben und der Union vorgeworfen, sie wolle das Renteneintrittsalter heraufsetzen und so die Renten „kürzen“. Die Union bestritt dies ausdrücklich, verabschiedete sich aber von früheren Plänen, die Regeln für das Renteneintrittsalter anzufassen. Nach Überzeugung der Ökonomen ist diese Legislaturperiode „wohl die letzte Chance“, einen wenigstens ansatzweise gerechten Ausgleich zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern herzustellen und zugleich die Rahmenbedingungen für Investition nicht weiter zu verschlechtern.