Koalitionsverhandlungen:Augen zu und durch

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Ein für die SPD wichtiges Thema: Wer gesetzlich krankenversichert ist, soll künftig nicht mehr zugunsten privat Versicherter benachteiligt werden.

(Foto: Carsten Koall/Getty Images)

Viel reden wollen CDU, CSU und SPD nicht mehr, nur das Nötigste soll nachverhandelt werden. Ein Überblick.

Von M. Balser, M. Bauchmüller, C. Gammelin, K. Ludwig und H. Roßbach, Berlin

Der Zeitplan, den Union und SPD sich vorgenommen haben, ist ambitioniert. Bis Sonntag soll der Koalitionsvertrag verhandelt sein. Damit es zügig voran geht, sollen einige Kapitel der Sondierungsvereinbarung wie etwa das zu Europa oder Finanzen nicht weiter vertieft werden. Trotzdem haben sich die Gespräche zäh angelassen. Knackpunkte sind die Nachverhandlungswünsche der Sozialdemokraten beim Familiennachzug von Flüchtlingen, bei der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und der Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin. Und am Schluss muss auch noch einmal gerechnet werden, ob das Geld reicht.

Arbeit und Rente

Über die Komplexe Arbeit, Soziales und Rente soll am Montag 20 Uhr beraten werden. Für Streit sorgt die Forderung der SPD nach einer Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte im Deutschlandfunk, man sei noch "ein ganz, ganz großes Stück entfernt von den Lösungen". Die Arbeitgeber blicken misstrauisch auf diese Arbeitsgruppe. Die Befristung wollen sie unbedingt behalten, vor der Festlegung auf ein Rentenniveau von mindestens 48 Prozent bis 2025 warnen sie. Das würde selbst bei einer weiterhin glänzenden Konjunktur im Jahr 2025 vier Milliarden Euro kosten. Läuft die wirtschaftliche Entwicklung etwas weniger rund, könnten es nach Berechnungen der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) schnell 15 Milliarden Euro werden. Die geplante Grundrente wiederum sei ungerecht. So könne es passieren, dass ein Rentner, der 35 Jahre lang nur in Teilzeit gearbeitet hat, Anspruch auf diese Mindestsicherung hätte - jemand, der zwar immer Vollzeit gearbeitet hat, aber das Minimum von 35 Beitragsjahren auch nur um ein Jahr verfehlt, dagegen nicht.

Steuern und Finanzen

Die Arbeitsgruppe Finanzen und Steuern wird sich erst am Mittwoch treffen. Wie vorab bekannt wurde, sind die führenden Unterhändler gewillt, so gut wie keine Veränderungen mehr vorzunehmen. Für "prioritäre Maßnahmen" wie Kindergeld, Soli-Abbau und die Förderung ländlicher Räume haben sie bereits in den Sondierungen fast 46 Milliarden Euro verteilt. Mehr Geld für noch mehr Wohltaten ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Die Sorge ist, dass in anderen Kapiteln noch Maßnahmen beschlossen werden, die zusätzlich Geld kosten könnten. Dazu zählen der höhere Beitrag zum Haushalt der Europäischen Union, zusätzliche Honorare für Ärzte, die erweiterte Mütterrente oder Zuschläge zu den Sozialversicherungen für Hartz-IV-Bezieher. Am Mittwoch sollen alle Kapitel dazu geprüft und bis Freitag das Finanztableau aufgestellt werden.

Bauen und Wohnen

In Deutschland soll mehr gebaut werden, darin sind sich alle einig - 1,5 Millionen Wohnungen sollen bis 2021 entstehen. Über das Wie bahnt sich Streit an. Im Gespräch sind ein "Familienbaugeld" (SPD) oder ein "Baukindergeld" (Union), um junge Familien zum Bauen zu animieren. Auch soll es steuerliche Anreize für den Wohnungsbau geben. In welchem Umfang, darüber beginnen erst die Verhandlungen. Sicher ist nur, dass der Bund sich auch nach 2019 am sozialen Wohnungsbau beteiligen will: durch "zweckgebundene Zuweisungen". Auch für den Klimaschutz in Gebäuden will die Koalition etwas tun: Eine lange geplante steuerliche Förderung von Sanierungsvorhaben soll endlich kommen, ein Austauschprogramm für alte Heizungen ist im Gespräch.

Glyphosat

Der Einsatz des Pestizids Glyphosat in Deutschland soll "deutlich" eingeschränkt werden. Geplant sei, "die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden". So haben es Union und SPD im Sondierungspapier beschlossen. Streit gibt es dennoch. Was "möglichst schnell" heißt, davon haben beide Seiten unterschiedliche Vorstellungen. Während die SPD und Umweltministerin Barbara Hendricks ein Verbot noch in dieser Legislaturperiode anstreben, lässt Agrarminister Christian Schmidt (CSU) den Termin offen. Zuerst müssten Alternativen entwickelt werden, so Schmidt. Als wahrscheinlich gilt, dass die SPD hart bleibt. Schmidt hatte der Zulassung in der EU zugestimmt, obwohl Hendricks dagegen war - und die SPD düpiert.

Saubere Luft

Union und SPD wollen trotz hoher Stickoxid-Belastungen Fahrverbote in Städten vermeiden, gleichzeitig aber die Luft verbessern. Dabei helfen soll die Förderung von Elektromobilität und Nahverkehr, Verbrennungsmotoren sollen sauberer und effizienter werden. Was genau die Parteien vorhaben, bleibt offen. Umweltschützer und auch die EU-Kommission fordern ein strengeres Vorgehen. In der SPD werden Forderungen lauter, Hersteller auch zur Nachrüstung zu verpflichten - oder wenigstens zur Übernahme von Teilen der Kosten zum Beispiel für Katalysatoren. In der Union, vor allem bei der CSU, lehnt Verhandlungsführer Alexander Dobrindt dies jedoch weiter ab.

Klima und Energie

Beim Klimaziel für 2020 geht es der angehenden Koalition nur noch ums Lückenstopfen - umso verbindlicher sollen nun die Klimaziele für 2030 werden. Sie sollen Gesetz werden, womöglich samt Unterzielen für einzelne Bereiche der Wirtschaft. Wie sie erreicht werden sollen, bleibt aber Kommissionen überlassen. Dort soll auch ein Fahrplan für den Kohle-Ausstieg entstehen, inklusive eines Datums, wann das letzte Kohlekraftwerk vom Netz geht. Zu einem zusätzlichen Preis auf klimaschädliche Emissionen, der auch Heizöl und Sprit erfasst hätte, konnten sie sich dagegen bisher nicht durchringen: Die Union ist dagegen. Dafür sollen die Ziele beim Ökostrom noch einmal aufgestockt werden.

Zwei-Klassen-Medizin

Zu den Aufträgen der SPD-Basis, die ihre Parteispitzen nun in den Koalitionsverhandlungen umsetzen sollen, gehört auch eine Besserstellung von Kassenpatienten beim Arzt. Künftig sollen gesetzlich Versicherte nicht mehr länger auf Termine warten müssen als Privatpatienten. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach will dafür die Honorare der Ärzte so verändern, dass es sich für sie nicht mehr lohnt, Patienten unterschiedlich zu behandeln. Die Union hatte das bislang abgelehnt, schließlich sei dies die Einführung der Bürgerversicherung durch die Hintertür. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, der für die CDU am Verhandlungstisch sitzt, will der SPD entgegenkommen: Es müsse "geprüft werden", ob Landärzte mit besseren Honoraren in unterversorgten Gebieten gelockt werden könnten, sagte er.

Zu der zweiten Forderung der Sozialdemokraten, Beamten künftig selbst zu überlassen, ob sie sich gesetzlich oder privat versichern wollen, schlägt Gröhe ebenfalls einen Kompromiss vor: Man könne dafür sorgen, dass private Krankenversicherungen ihre Tarife für Beamte verbessern, damit chronisch kranke und ältere Versicherte dort künftig weniger Probleme haben.

Die Vereinbarungen zur Pflege sind im Sondierungspapier noch unkonkret. Zwar sollen Löhne von Pflegekräften steigen und zusätzliche Jobs in Heimen geschaffen werden, doch wie diese Verbesserungen finanziert werden sollen, steht noch nicht in dem Papier. Darüber werden Union und SPD noch sprechen müssen.

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