Preisfindung:Wie auf Flohmärkten Preise entstehen

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Auf dem Kleiderbasar funktionieren ähnliche Verkaufstricks wie im Kaufhaus. (Foto: Florian Peljak)

Der Grat zwischen Schnäppchen und Ramsch ist schmal. Wann ist ein Preis ein guter Preis? Tricks von Profis helfen, den alten Krempel künftig noch besser loszuwerden.

Von Michael Kläsgen

So unterschiedlich kann es laufen auf dem Kinderkleiderbasar in einer Münchner Kirche: Die eine Mutter verkauft Hosen, Jacken, Schuhe für mehr als 100 Euro, die andere für nicht mal 40 Euro. Die eine nimmt fast dreimal so viel ein. Merkwürdig - zumindest auf den ersten Blick - denn alles ist gleich: der Ort, die Klientel und auch die Art der Kleidung und deren Menge. Was macht den Unterschied?

Spaziert man durch die Gänge mit der Secondhandware, fällt auf, dass die erfolgreichere Mutter die Kleidung noch sorgfältiger aufbereitet hat als die andere. Sie hat sie gewaschen, gebügelt und perfekt gefaltet - eine Menge Arbeit. Deshalb fallen die Kleidungsstücke stärker auf als andere, die direkt nebenan liegen. Das ist so, weil die Kirche den Basar wie ein Kaufhaus organisiert hat: Jeder gibt seine Sachen ab, die dann sortiert werden: Kleidung nach Größe, Spielsachen zu Spielsachen, Fahrräder zu Fahrrädern. Für die Dienstleistung zwackt die Kirche einen kleinen Prozentteil am Gewinn ab.

Außerdem: Bei einzelnen Teilen, etwa Pullovern von Markenherstellern, hat sich die eine Mutter vorher im Internet darüber informiert, welchen Preis andere dafür verlangen. Für diese wenigen Marken-Klamotten hat sie zwar höhere Preise festgesetzt, sie blieb aber unter dem, was sie im Internet fand.

Sie hat eine Strategie angewandt, die Fachleute wie Georg Tacke von der Unternehmensberatung Simon-Kucher als "Wettbewerbsbeobachtung" bezeichnen. Tacke ist der Geschäftsführer der deutschen Tochter des weltweit führenden Preis-Spezialisten. Er sagt: "Auch auf Flohmärkten darf man als Verkäufer umherlaufen und nachschauen, welche Preise die anderen verlangen."

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Seiner Meinung nach herrschen auf dem Basar im Prinzip die gleichen Preismechanismen wie im sonstigen Geschäftsleben. "Value pricing" sei so ein Stichwort, also die Kunst, den Dingen einen Wert beizumessen. Das ist schwieriger als man denkt. Denn bei gebrauchten Sachen tendieren die Kosten gegen null. Natürlich haben Exklusives oder Seltenes einen höheren Wert.

Auch in dieser Hinsicht handelte die erfolgreichere Mutter nach den Prinzipien der Preisfindung richtig. Sie verkaufte die Markenartikel teurer als andere, aber immer noch zu einem Preis, den die Käufer für gerechtfertigt hielten.

Er lag unter einer gewissen Schwelle. "In ganz Deutschland werden sie den Preis 10,90 Euro nicht finden", sagt Tacke, außer vielleicht an Garderoben im Theater. "Psychologisch ist es ganz wichtig, dass der Preis unterhalb einer gewissen Schwelle bleibt." Preise wie 1,99 sind auf dem Kleiderbasar wie diesem in der Kirche allerdings nicht möglich. Hier gibt's nur vorgefertigte Etiketten mit runden Summen oder Kleinbeträgen wie 50 Cent, ein oder zwei Euro, die man auch bündeln kann.

Aber niemand käme auf einem kirchlich oder gemeinnützig organisierten Basar auf die Idee, orangefarbene Tafeln mit der Aufschrift "Tiefstpreise", "Superknüller" oder "Nimm zwei, zahl eins" aufzustellen. Nicht alle Verkaufstricks gelten hier gleichermaßen. In der Regel will niemand auf solchen Basaren ernsthaft den Gewinn im unternehmerischen Sinn maximieren, sondern die Klamotten vor allem loswerden, sodass sie weiter genutzt werden können. Der Gedanke der Nachhaltigkeit herrscht auf diesen Märkten bis heute. Sie sind deswegen nicht unbedingt vergleichbar mit der Idee der sharing economy, die im Vergleich dazu eher profitorientiert ist.

Auf Jahr- oder Wochenmärkten, wo Profis unterwegs sind, sieht die Sache wieder anders aus: "Kauf das noch, dann bekommst du alles für 30 Euro", lautet einer der verkaufsfördernden Sprüche. Wenn man darauf eingeht, hat man hinterher mehr in der Tasche, als man will. Ein Kniff ist auch, einen Artikel mit einem sehr hohen Preis anzubieten, den man aber gar nicht ernsthaft verkaufen will. Er dient vor allem dazu, die anderen Artikel gleicher Art günstig erscheinen zu lassen.

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Der erfolgreiche Verkauf erzeugt ein Gefühl der Zufriedenheit

Das funktioniert auch im Internet, wo sich professionelle Secondhand-Webseiten finden. Der sogenannte Re-Commerce, der Verkauf ganzer Kategorien gebrauchter Produkte, ist noch ein relativ junges Geschäftsfeld. Auf Ebay können Profi-Verkäufer und Laien schon seit Jahren Gebrauchtes verkaufen. Wer dort seine Sachen nur loswerden will, betreibt "Wettbewerbsbeobachtung" im Tacke'schen Sinn, sprich: Er unterbietet die anderen. Bisweilen verschenken manche ihre Sachen auch an Selbstabholer. Um den letzten Cent zu feilschen, ist deren Sache offenbar nicht.

Theoretisch entstehen Preise, weil der Verkäufer für den Verlust einer Sache entschädigt wird. Der Wirtschafts-Nobelpreis-Träger und Bestseller-Autor Daniel Kahneman beschrieb diesen "Endowment Effect" als einer der Ersten. Demnach muss das durch den Verkauf erzeugte Verlustgefühl kompensiert werden. Je emotionaler das Verkaufsobjekt aufgeladen ist, desto schwieriger ist die Trennung davon - und desto höher in der Regel der Preis. Auf dem Kinderkleiderbasar trifft das auf die Dinge zu, mit denen Eltern bestimmte Erinnerungen verbinden, mag es ein Strampler sein oder ein Roller. Aber die meisten Sachen wollen auch sie irgendwann aus dem Haus haben. Es ist dann der erfolgreiche Verkauf, der das Gefühl der Zufriedenheit erzeugt.

Natürlich haben findige Marketing-Leute längst die Lücken im nicht völlig preisoptimierten Flohmarkt-System entdeckt. Stichwort Storytelling. Petra Sammer, Kreativchefin der PR-Agentur Ketchum Pleon, erzählt gern die Geschichte von der Gabel, die ein Händler auf einem Flohmarkt in den USA für 50 US-Cent erstand und die er für 26 Dollar weiterverkaufte. Der Schriftsteller Dan Chaon hatte für den Verkäufer eine kleine Geschichte über die Gabel geschrieben, die einen betagten Herrn an seine verstorbene Frau erinnerte. Deshalb war der Mann bereit, dafür 26 Dollar auszugeben. Der Autor William Gibson steigerte mithilfe einer Erzählung den Wert eines Aschenbechers von 2,99 auf 101 Dollar. Weitere solcher Beispiele zeigen: Emotionen spielen beim Kaufen eine große Rolle. Nur: Nicht jeder Verkäufer ist ein Schriftsteller. Und auf dem Kinderkleiderbasar garantieren Geschichten über die Kleidungsstücke noch lange keinen Erfolg.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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