Am Anfang, sagt Saúl Luciano Lliuya, habe er noch Angst gehabt. Er, ein Kleinbauer, gegen einen Konzern mit 14 000 Leuten? Er, als Peruaner, vor einem deutschen Gericht? "Der Grund herzukommen ist größer als die Angst", sagt er jetzt. "Jeder normale Mensch weiß, dass das nicht in Ordnung ist."
Lliuya ist ein schmächtiger Mann. Seine Haare sind kurz, sein Blick ist wach. Über der roten Jacke trägt er eine blaue Weste, seine Hände zeugen von harter Arbeit. Schließlich wird vor dem Landgericht Essen sein Fall verhandelt, die Sache Lliuya ./. RWE AG, Aktenzeichen 2 O 285/15. Ein Verfahren, wie es das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat.

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Denn Lliuya will den RWE-Konzern für das zur Verantwortung ziehen, was er am anderen Ende der Welt angerichtet hat - durch die Verbrennung von Kohle in deutschen Kraftwerken. Konkret geht es um einen Gletschersee, der gut 20 Kilometer von Lliuyas Heimatstadt Huaraz in den Anden liegt. In dem See sammelt sich Schmelzwasser von den Gletschern der Umgebung.
2014 untersuchten Forscher der University of Texas in Austin den Zustand des Gletscherees. Nach ihren Untersuchungen hat sich das Volumen des Sees binnen 40 Jahren verdreißigfacht - durch Gletscher, die immer schneller schmelzen. Gehalten wird das alles durch einen Damm, der den See zum Tal hin abschließt. Weshalb die texanischen Forscher gleich auch simulierten, wie sich die Flutwelle ausbreiten würde. Weite Teile von Huaraz würden überflutet, 35 000 Menschen wären betroffen. Auch Lliuya.
Aber kann er vor einem deutschen Gericht klagen? Die Richter am Landgericht Essen haben am Donnerstag alle Seiten angehört. Schon in den Schriftsätzen der vergangenen Monate hatten beide Seiten Experten und Expertisen aufgefahren - vor allem zu der Frage, wie nun ein Braunkohlekraftwerk im Rheinland Gletscher in Peru zum Schmelzen bringen soll. Am 15. Dezember will das Gericht urteilen.
"Das ist alles andere als aussichtslos", sagt Roda Verheyen, die Lliuya vertritt. Sie beruft sich dabei auf das Bürgerliche Gesetzbuch, Paragraf 1004. "Wird das Eigentum (...) beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen." Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages befassten sich kürzlich mit der Frage, auf 21 Seiten trugen sie die "Rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten für Klima-Klagen gegen Staat und Unternehmen in Deutschland" zusammen. Ergebnis: Möglich ist so ein Anspruch gegen ein Unternehmen. Ihn durchzusetzen, ist eine andere Sache.
Daheim bleiben viele Nachbarn lieber leise
RWE nämlich argumentiert damit, dass es schon dem europäischen Regelwerk für den Klimaschutz unterliege, dem Emissionshandel. "Es ist nicht vorgesehen, dass einzelne Emittenten für allgemein verursachte Vorgänge wie den Klimawandel haften", sagt eine Sprecherin. Im Übrigen engagiere man sich doch auch nach Kräften für den Klimaschutz.
Lliuya selbst würde sich das alles nicht leisten können, hätte sich nicht die deutsche Entwicklungsorganisation Germanwatch der Sache angenommen. Auch Europa hätte er vermutlich nie kennengelernt ohne den Gegner RWE. Und ohne seinen Mut. Daheim, sagt er, blieben viele seiner Nachbarn lieber leise. "Das ist eine Art Machtlosigkeit."
Für RWE geht es um etwa 17 000 Euro
Inzwischen aber hätten Nachbarn und Behörden in Huaraz begriffen, dass Lliuya in der Ferne auch für sie kämpft. "Es geht mir nicht um den Ruhm", sagt der Bauer. "Es geht um die Sache." Zu Hause bangen eine Frau und zwei Kinder mit, auf seinem Acker wachsen Kartoffeln, Mais, Weizen. Das meiste für den Eigenbedarf.
Doch das Verfahren in Essen ist nur der Anfang. Die Richter müssen nun erst entscheiden, ob sie die formale Beweisaufnahme eröffnen. Was das bedeutet, belegen schon die Schriftsätze der vergangenen Monate. Da tauschten beide Seiten vor allem aus, wie nun ein Braunkohlekraftwerk im Rheinland einen Gletscher in Peru zum Schmelzen bringen soll, ob und wie stark die Erderwärmung den See verändert. Beide Seiten warten mit Experten und Expertisen auf. Startet die Beweisaufnahme, dann erwartet die Welt ein juristischer Schlagabtausch über den Klimawandel. Schon für das Verfahren an diesem Donnerstag ist das Gericht vorsichtshalber auf einen größeren Saal ausgewichen.
Dabei ist der Streitwert vergleichsweise gering. Der RWE-Konzern soll einen Teil jener 3,5 Millionen Euro schultern, die eine Entschärfung des Gletschersees kosten würde - und zwar entsprechend seinem Anteil an den globalen Treibhausgas-Emissionen. Bei 0,47 Prozent Anteil wären das rund 17 000 Euro. Aber ums Geld geht es in diesem Fall ohnehin nicht, sondern ums Prinzip. "RWE muss sein Sandkorn beisteuern", sagt Lliuya. "Und es gibt noch viele andere wie RWE."