Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Vom Wähler zum Klimaschutz getrieben

  • Beim Treffen des "Klimakabinetts" dürften den teilnehmenden Ministern von Union und SPD die eigenen Verluste bei der Europawahl noch in den Knochen stecken.
  • Ein zentrales Thema des Treffens wird der Umbau der Mobilitätspolitik sein. Denn der Verkehr gehört noch immer zu den großen Klimasündern in Deutschland.
  • Auf der Tagesordnung des Treffens im Bundeskanzleramt findet sich deshalb eine Reform der E-Auto-Förderung.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Am Dienstag bemühte Svenja Schulze noch einmal die Macht der Massen. In Berlin stellte die Umweltministerin von der SPD die neueste "Umweltbewusstseinsstudie" vor, knapp zwei Drittel der Befragten zählen den Klimaschutz demnach zu den wichtigsten Themen. Doch nur 14 Prozent finden, dass die Bundesregierung genug dafür tut, 20 Prozentpunkte weniger als noch vor zwei Jahren. "Diese Befunde verstehe ich als Auftrag", verkündet Schulze. "Der Staat muss für bessere Rahmenbedingungen beim Klimaschutz sorgen." Geht es nach Schulze, fängt er damit gleich diesen Mittwoch an.

Dann nämlich trifft sich, gleich nach der ordentlichen Kabinettssitzung, das "Klimakabinett". Verkehrsminister Andreas Scheuer und Innenminister Horst Seehofer (beide CSU) gehören dazu, ebenso Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Agrarministerin Julia Klöckner (beide CDU) und natürlich auch Umweltministerin Schulze. Die Kanzlerin selbst leitet die Sitzung.

Alle gemeinsam stehen sie unter dem Eindruck der jüngsten Wahlergebnisse, die Union und SPD nun gleichermaßen zum Anlass nehmen wollen, die Klimapolitik voranzutreiben. Die eigenen Verluste und der Erfolg der Grünen stecken beiden Parteien in den Knochen.

Zu einem zentralen Thema des Treffens wird der Umbau der Mobilität

Dazu passt, dass sich die Minister bei ihrem letzten Treffen schon vorgenommen hatten, diesmal konkret zu werden. Jeder Minister soll vortragen, wie er oder sie das deutsche Klimaziel bis 2030 zu erreichen gedenkt. Schulze selbst hat den Druck am Montag noch erhöht, indem sie ihren Entwurf für ein Klimaschutzgesetz in die Abstimmung zwischen den Ressorts gab - vorbei am Bundeskanzleramt. Das hat die Stimmung nicht unbedingt verbessert.

Zu einem zentralen Thema des Treffens wird der Umbau der Mobilität. Denn mit 163 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß pro Jahr gehört der Verkehr noch immer zu den großen Klimasündern in Deutschland. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass Deutschland seine Vorgaben aus dem Abkommen von Paris bislang verfehlt. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) steht deshalb besonders unter Druck, mehr zu liefern.

Auf der Tagesordnung des Treffens im Bundeskanzleramt findet sich deshalb eine Reform der E-Auto-Förderung. Das Ziel: den Kauf der klimafreundlichen Fahrzeuge mit höheren Zuschüssen zu forcieren und endlich mehr strombetriebene Autos auf deutsche Straßen zu bringen. Mehr Geld fließen soll dem Vorschlag zufolge vor allem für den Kauf kleiner E-Autos. Bis zu einem Kaufpreis von 30 000 Euro soll es dem Vorschlag zufolge künftig 4000 statt 2000 Euro Zuschuss geben, bei bis zu 60 000 Euro Kaufpreis sind es noch 2500 Euro. Damit würde die Regierung auch den Druck auf die Hersteller erhöhen, im Massenmarkt mehr Autos anzubieten. Bislang sind vor allem teure E-Autos zu haben. Noch höhere Prämien - bis zu 8000 Euro - soll es für E-Taxen und -Nutzfahrzeuge geben.

Fraglich ist nach Angaben aus Regierungskreisen allerdings, wer bei dem Plan für mehr Klimaschutz überhaupt mitmacht. Denn nicht nur in der Bundesregierung sind die Vorschläge Scheuers umstritten, sondern auch im eigenen Unionslager. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) favorisiert geringere Beträge. Offen ist auch, ob die Autoindustrie mitzieht. Bislang stockt sie die Förderung des Staates um die gleiche Summe auf. Auch ist nicht klar, ob die EU-Kommission die Zuschüsse billigt. Und nur dann könnten sie in Kraft treten.

Das Wirtschaftsministerium wiederum hat sich mit einem Konvolut an Vorschlägen gewappnet, rund um Energieeffizienz in der Industrie, den effizienten Einsatz von Wärme und die Energiewende. Ähnliche Programme hat es in der Vergangenheit auch schon gegeben, jeweils versehen mit konkreten Zahlen für die CO₂-Einsparung. Erfüllt haben sich diese Erwartungen allerdings nur in den seltensten Fällen, weshalb das Umweltministerium am liebsten Wissenschaftler darauf ansetzen würde, die CO₂-Effekte der diversen Ministervorhaben abzuschätzen.

Drei Stunden sind für die Sitzung vorgesehen, es soll eine "offene Aussprache" werden

Altmaier kann sich obendrein glücklich schätzen, durch den geplanten Kohleausstieg schon massive Fortschritte bei den Kraftwerksemissionen vorweisen zu können. Ein Gesetz, das die Ergebnisse der Kohlekommission in die Stilllegung von Kraftwerken ummünzen könnte, ist Altmaier allerdings bis heute schuldig geblieben.

Liefern muss auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Im Agrarsektor klafft ebenfalls noch eine enorme Lücke. Laut dem noch von der alten Regierung verabschiedeten Klimaschutzplan 2050 muss der Agrarsektor im Jahr 2030 seine Emissionen um 34 Prozent im Vergleich zu 1990 einsparen. Offen sind davon noch immer 15 bis 20 Prozentpunkte. Auch bei den Gebäuden müssten die Emissionen noch einmal um knapp 40 Prozent sinken. Zuständig ist hier Bauminister Horst Seehofer. Er dürfte Steueranreize für die Sanierung auf den Tisch bringen - ein Projekt, mit dem sich schon drei Regierungen erfolglos befasst haben.

Drei Stunden sind für die Sitzung vorgesehen, es soll eine "offene Aussprache" werden. Ein Thema wird dabei allerdings nur am Rande eine Rolle spielen: Die heftig umstrittene Einführung von CO₂-Preisen, um fossile Energie zusätzlich zu verteuern. Studien sind in Arbeit, Union und SPD ringen jeweils noch um eine Position. Stoff genug für die nächste Sitzung des Klimakabinetts, im Juli.

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SZ vom 29.05.2019/dit
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