Robert Swan meldet sich direkt von der Front. Auf den Wirtschaftsgipfel kommt er per Videoschalte vom Südzipfel Südamerikas, in drei Tagen bricht er in die Antarktis auf: Es ist Teil seiner Beweisaufnahme rund um die Erderwärmung. Swan ist ein Mahner, dem kein Fußweg zu weit ist, auch nicht zum Südpol; eine Art Dokumentar des Klimawandels. Und er ist unzufrieden. "Jeder beginnt über Klimawandel zu sprechen", sagt er per Video aus Chile. "Aber ich höre zu wenig über Lösungen."
Das wird sich Minuten nach der Schalte ändern, nur 14 000 Kilometer Luftlinie entfernt. Und es wird ordentlich zur Sache gehen. Im Verlauf wird Franziska Wessel, 15 Jahre alt und Teil der Fridays-for-Future-Bewegung, Renault-Chef Jean-Dominique Senard der Lüge bezichtigen, und Senard, sichtlich angefasst, wird von seinen 50 000 Leuten erzählen, von der Passion seiner Ingenieure. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Leute jeden Morgen aufstehen und zur Arbeit gehen in dem Bewusstsein, dass sie nichts bewegen."
So wird die Debatte zum Spiegel der Lage. Robert Swan wird bald ins schmelzende Eis aufbrechen - und in der Hauptstadt des größten Industrielandes Europas diskutiert ein Podium über das Mögliche und das Nötige. "Der Klimawandel kommt schneller, als ich ihn erwartet hätte", gesteht etwa Rolf-Martin Schmitz, Chef des Essener RWE-Konzerns, der zugleich größter Kohlendioxid-Emittent Europas ist. RWE fördert im Rheinland Braunkohle und macht Strom daraus. Sein Unternehmen stecke mitten im Umbau, hin zu erneuerbaren Energien. Dennoch könne er nicht von jetzt auf gleich aus der Braunkohle aussteigen, ohne seinen Leuten zu sagen, was aus ihnen wird. "Man muss auch sehen, in welcher Zeit was geht." RWE sei zwar noch der größte CO₂-Emittent. Aber die Betonung setzt Schmitz auf das "noch": "Wir haben nicht nur verstanden. Wir machen."
So ähnlich hatte das Renault-Chef Senard zuvor auch gesagt. "Es gibt keinen Zweifel am Klimawandel." Lange seien Unternehmen nicht unbedingt als proaktiv wahrgenommen worden im Kampf gegen die Erderwärmung. Spätestens mit der Klimakonferenz in Paris habe sich das geändert. "Es liegt in der DNA der Unternehmen die richtigen Lösungen und die richtigen Technologien zu finden", warb Senard.
Der Klimawandel komme schneller, als er erwartet hätte, gesteht der RWE-Chef
Mehr noch: Europa könne zum Ausgangspunkt eines neuen, nachhaltigen Kapitalismus werden, der nicht nur auf Profit achte, sondern auch auf Umwelt und Soziales. Wenn Unternehmen und auch Finanzakteure langfristiger dächten, "können wir die Welt verändern". Was wiederum eine Vision war, die die Elftklässlerin Wessel ihm nicht abnehmen wollte. "Genau das hätten Sie mir vor einem Jahr auch sagen können", urteilte sie. Trotzdem habe sich an den Emissionen aus dem Verkehr nichts geändert. "Ich habe das Gefühl, Sie lügen mich hier wie gedruckt an." So wird die Diskussion auch zum Generationenkonflikt - zwischen dem 66-jährigen Senard und der 51 Jahre jüngeren Wessel. "Es klingt vielleicht hart. Aber wir können so nicht weitermachen", setzt Wessel nach.
Aber wie dann? Daniela Jacob ist da, die Chefin des Climate Service Center und eine der Leitautorinnen jenes Sonderberichts des Weltklimarats, der sich unlängst mit dem 1,5-Grad-Ziel befasste - und der Chance, dieses schärfere Ziel aus dem Pariser Klimavertrag zu erreichen. Und das sei machbar. "Es gibt keinen physikalischen Grund, keinen chemischen, keinen technologischen, keinen finanziellen, keinen kulturellen Grund, die Temperatur nicht dort zu begrenzen", sagt Jacob. "Es ist der politische Wille." Daran hänge alles.
Und weil das so einfach klingt, pocht Jacob noch einmal auf die Dringlichkeit. "Es geht nicht mehr darum, macht der eine genug oder der andere zu wenig", sagt sie. "Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen." Da komme gerade auf die Unternehmen eine große Verantwortung zu. "Wir verschieben sonst das Problem in die Zukunft" - in die Zukunft von Schülerinnen wie Franziska Wessel, die, wie sie sagt, freitags lieber in die Schule ginge als auf die Straße.
Die Hitze wird spürbar, auch auf dem Podium. Es ist der Druck der Schüler und der Wissenschaft auf der einen Seite, der Strukturwandel in der Wirtschaft auf der anderen. Schmitz und Senard sind rasch einig, dass es Lösungen für die Beschäftigten braucht, Umschulungen, andere Jobs. Wessel aber sieht auch darin eine Zeitverzögerung. "Wir können uns nicht immer mit dem Arbeitsplatz-Argument aufhalten", sagt sie. Und mittendrin die Wissenschaftlerin Jacob, die auch die Dringlichkeit sieht, zugleich aber sagt: "Wir brauchen die notwendige Geduld."
Robert Swan war da schon wieder mit den Vorbereitungen für seinen Südpol-Trip befasst. Hätte er die Runde verfolgt, es hätte ihm wohl gefallen: Vier Leute, die nicht nur über Klimawandel reden. Sondern auch über Lösungen.