Umwelt:Wie viel Wirtschaft verträgt der Klimaschutz?

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Wie gehen Klimaschutz und Wachstum zusammen? Darüber reden Antje Boetius (2. v. li.), Karl Haeusgen (2. v. re.) und Dirk Messner (re.) auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin. (Foto: Friedrich Bungert)

Und wie viel Klimaschutz verträgt die Wirtschaft? Die Antwort: sehr viel. Beide müssen eng verzahnt werden, um die kommenden Jahre zu schaffen.

Von Thomas Fromm, Berlin

Farbenlehren können, wenn es nicht gerade um Kunst geht, etwas sehr Subjektives sein. Was die einen für sattes Grün halten, finden andere eher mau, zu unklar, ein wässriges Grün. Auf die Frage, wie grün Deutschlands Industrie heute schon ist und was passieren muss, gibt es naturgemäß dann auch mehr als eine Antwort. Manager und Unternehmer zum Beispiel sehen die Dinge oft sehr anders als etwa Umweltschützer. Das liegt natürlich daran, dass die Frage nach dem Grünton eine sehr politische ist. Interessant wird es, wenn dann verschiedene Menschen aufeinandertreffen, die am Ende doch nicht so weit auseinander sind, wie es scheint. Weil Umweltschützer und Wirtschaft eh an einem Strang ziehen müssen, wenn sich die Dinge ändern sollen.

Ein Praxistest, mit dabei: Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes und unter anderem schon seit langem Mitglied der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Karl Haeusgen, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Hawe Hydraulik und Präsident des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA). Und Antje Boetius, Meeresbiologin vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Ein Gespräch über die Verantwortung der Wirtschaft und die Frage, was jetzt zu tun ist.

Zum Beispiel gleich mal die Klimakonferenz von Glasgow. War wirklich alles so schlecht, wie einige meinen? Antje Boetius sagt: Es habe schon viele gute Schritte gegeben, es sei schließlich "harte Arbeit am Text" gewesen. Und ein großer Fortschritt, dass der Kohleausstieg ein klares Ziel sei. Nur: "Diese Schritte müssen jetzt auch von allen gegangen werden". Die Professorin ist pragmatisch, nicht pessimistisch. Die Klimafrage sei nur "von den Menschen zu bewältigen". Auch der Präsident des Verbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) Karl Haeusgen ist zufrieden. Licht oder Schatten? "Unbedingt mehr Licht", das Format habe "gute Ergebnisse gebracht". Auch wenn man sich über die Positionen von China und Indien geärgert haben mag. Aber was soll man machen, wenn Deutschland und andere die Kohle hinter sich lassen wollen und China sich nur so halb entscheidet und erstmal munter weiter macht mit der Kohle? "Natürlich müssen China und Indien besondere Anstrengungen unternehmen", sagt Haeusgen. "Wir sollten selbst aber ehrgeizig sein, etwas zu erreichen." Wenn man in Europa immer anspruchsvoller werde, müsse man auch mehr Ambitionen haben in der internationalen Zusammenarbeit, mahnt dagegen Messner. Wenn nur ein Teil der Welt vorangeht, ohne andere mitzunehmen, sei das am Ende auch nicht ausreichend.

Die Differenzen liegen im Detail. Worüber sich Haeusgen allerdings wirklich geärgert habe: Über die "Leute, die draußen vor der Tür standen" und die Konferenz hinterher als "Betrug" oder "Blablabla" kritisierten - Leute also wie die Fridays-for-Future-Aktivisten Greta Thunberg und Luisa Neuabauer? Dies fand er "respektlos", auch denen gegenüber, die wochenlang hart an der Sache gearbeitet hätten. Die Meeresbiologin Boetius sagt, dass Fridays for Future dem Thema Klimaschutz immerhin doch einen großen Schub gegeben haben. "Es ist ernst, es geht mittlerweile wirklich ums Überleben." Der Chef des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, sieht zwar auch die Fortschritte, die in Glasgow gemacht wurden. Aber die Kritik an den jungen Klimaaktivisten will er so nicht stehen lassen. "Wir haben den jungen Leuten sehr viel zu verdanken", sagt er. Immerhin, so viel ist klar, gibt es eine große Schnittmenge. Ein neues Leitbild, wie es Messner nennt: "Wir bauen eine klimaneutrale Weltwirtschaft, das ist jetzt der neue Mainstream."

Drei Diskutanten, ein Ziel, ein Mainstream.

So weit also sind Wirtschaft und Umweltschutz nicht mehr auseinander, Haeusgen sieht in der Industrie eine große Chance. Beispiel: Thyssen Krupp und die Produktion von grünem Stahl. "Man kann auch marktwirtschaftliche Instrumente einsetzen", sagt er, und er fordert "mehr Vertrauen in die Kräfte des Marktes". Dem widerspricht der Umweltbundesamt-Chef ja nicht unbedingt, wenn er fordert: "Wir müssen wegkommen von Klimapolitik in Klein-Klein."

Der Chef des Umweltbundesamts hat konkrete Forderungen: Klimaschutz und digitale Transformation sollen Hand in Hand gehen und künftig in die Verantwortung des Kanzleramts fallen. Wenn schon Wende, dann bitteschön doppelt - digital und ökologisch. Und dann bitteschön auch als Chefsache, nicht mehr irgendwo in irgendeinem Ressort aufgehängt. Natürlich, seine Forderungen haben es in sich: Höhere Kraftstoffpreise, Abschaffung der Pendlerpauschale in sechs Jahren, mehr Busse und Bahnen, Tempolimit auf Autobahnen von 120 Kilometer pro Stunde und eine Pkw-Maut. Und wo man schon mal dabei ist, sollte auch der CO₂-Preis ab 2022 erhöht werden. Damit würden sich auch Benzin- und Dieselpreise massiv erhöhen. Und wer soll das bezahlen? Wie verhindern, dass die soziale Kluft im Land so nicht noch tiefer wird? Dafür, so das Bundesamt, soll es dann einen sozialen Ausgleich geben.

Natürlich gibt es auch hier wieder Unterschiede im Detail. "Grundsätzlich setzen wir uns immer für Subventionsabbau ein", sagt Haeusgen. Aber dass man ausgerechnet auch an das Thema Dienstwagen ran will? Naja, ein altes Reizthema. Aber immerhin: Bei allem, was man nun tue, müsse man den sozialen Ausgleich und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhalten, sagt Haeusgen. Da gehen Messner und Boetius dann wieder mit.

Antje Boetius ist hier ohnehin eine derjenigen, die vielleicht den allergrößten Praxisbezug zum Thema haben. Ihr Revier sind die Weltmeere, Schlammvulkane, arktische Koralle und die Tiefsee. Die Professorin schreibt viel über ihre Forschung, über Mikroben und Tiefseeexpeditionen. Und über Fragen wie diese hier: Was, wenn in den kommenden Jahrzehnten die Arktis eisfrei bleiben wird und das Eis immer weiter abschmilzt, auf einer Fläche, halb so groß wie Europa? Die Frage liegt nahe, Frau Boetius: Ist man da manchmal verzweifelt?

Natürlich fragt sie sich immer wieder, was das alles bedeutet. Wie hoch die Schäden sind, so wie in diesem Sommer bei den großen Überschwemmungen im Ahrtal. Die Schäden, das weiß die Expertin, sind aber nicht nur teuer. Sie sind auch dramatisch. "Es hört sich wie eine Beleidigung für alle Korallenriffe dieser Erde an, wenn wir uns über Dienstwagen streiten", sagt sie.

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