Süddeutsche Zeitung

Verkehr:Streit um Klimaschutz-Paket eskaliert

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Von Markus Balser, Berlin

Das Ziel ist ehrgeizig, der Zeitplan straff: Noch heute sollen sich Fachleute der Bundesregierung auf Vorschläge einigen, wie auf deutschen Straßen eine Revolution klappen soll. Im Kampf gegen den Klimawandel soll der Verkehr schon 2030 gut 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen. Es geht um einen historischen Umbruch, der auch Deutschlands größte Industrie, die Autobranche, verändern dürfte. Am Vormittag trafen sich die Experten in Berlin zu vertraulichen Gesprächen bei einem Wirtschaftsverband. Doch eine Einigung ist nicht in Sicht, die Kommission ist laut Regierungskreisen zerstritten. Nach einem halben Jahr Beratungen droht beim letzten Treffen nun der Eklat - bislang können sich die Teilnehmer nicht auf einen gemeinsamen Bericht einigen.

Wie groß ist das Problem mit dem Verkehr?

Mit 163 Millionen Tonnen CO₂-Ausstoß pro Jahr gehört der Verkehr zu den großen Klimasündern in Deutschland. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass Deutschland seine Vorgaben aus dem Abkommen von Paris bislang verfehlt. Die Emissionen nahmen zuletzt sogar zu, statt ab. Autos und Lkws nutzen fossile Energien zwar immer effizienter. Doch das hat die Lage kaum gebessert, denn insgesamt ist auf den Straßen viel mehr Verkehr unterwegs. Um den eigenen Zielen endlich näher zu kommen, sieht der Klimaplan der Regierung für jeden Sektor klare Ziele vor. So sollen im Verkehr die Emissionen bis 2030 auf weniger als 98 Millionen Tonnen sinken. Im Vergleich zu heute bedeutet das eine Minderung um gut 40 Prozent. Das soll bis Jahresende auch im Klimaschutzgesetz verankert werden.

Wie soll dieser radikale Wandel klappen?

Das bislang geheime Papier der Fachleute ist inzwischen fast 120 Seiten lang. Sechs allgemeine Handlungsfelder hat die 20-köpfige Gruppe identifiziert, in der unter anderem der ADAC, Umweltverbände, der Autolobbyverband VDA und der Bahn-Interessenverband Allianz pro Schiene vertreten sind. Neue Antriebe, effiziente Fahrzeuge und regenerative Kraftstoffe sollen die CO₂-Lücke schließen. Außerdem eine starke Verlagerung des Personenverkehrs weg vom Auto, beim Güterverkehr weg vom Lkw auf Schiene und Schiff und die Digitalisierung der Mobilität insgesamt.

Auf einige Maßnahmen konnten sich die Experten noch problemlos einigen. Dazu zählen etwa niedrigere Ticketpreise für die Bahn durch einen geringeren Mehrwertsteuersatz und halbierte Trassenpreise. Durch den Einsatz von digitaler Leittechnik soll der Verkehr flüssiger fahren, der Radverkehr massiv gefördert und Anreize zum Kauf von emissionsarmen Autos eingeführt werden. Allerdings führt das zu höchstens 40 Millionen Tonnen CO₂-Ersparnis. Damit bleibt eine gewaltige Lücke.

Kommen jetzt Tempolimit und höhere Spritpreise?

Umstritten ist, wie sich die restlichen 23 Millionen Tonnen erreichen lassen. Denn hier warten enorme Probleme. Umweltschützer gehen davon aus, dass das Ziel nur erreichbar ist, wenn man individuellen Verkehr vermeidet - ihn also verteuert. Sie sprechen sich für höhere Spritpreise, Quoten für E-Autos und Preisaufschläge beim Kauf von Spritfressern aus. Auch ein Tempolimit soll eine Lösung sein. Das aber will das Verkehrsministerium, allen voran Minister Andreas Scheuer (CSU), auf jeden Fall vermeiden. Er will aus Angst vor Protesten wie bei der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich bloß keine Belastungen für hiesige Autofahrer verankern. Scheuer will stattdessen den Einsatz von synthetischen und Biokraftstoffen massiv ausbauen. Fachleute aber glauben nicht, dass sich die Lücke so schließen lässt. "So viel Biosprit können wir nicht verkaufen", heißt es. Da solle ein Klima-Luftschloss aufgebaut werden. An diesen Punkten könnte ein Konsens - und damit die gesamte Arbeit der Kommission - scheitern.

Welche Rolle spielt die E-Mobilität?

Elektrische Antriebe sind sehr wichtig, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Einig sind sich die Fachleute, dass staatliche Förderprogramme wie der Umweltbonus weiterlaufen sollen und viel mehr Ladesäulen nötig sind, um den Umstieg zu erleichtern. Umstritten ist dagegen der Vorschlag, Elektro-Lkws von der Maut auszunehmen oder E-Autos weitgehend von der Kfz-Steuer zu befreien. Weit auseinander gehen auch die Vorstellungen, wie viele E-Autos 2030 auf deutschen Straßen fahren sollen. Die Szenarien liegen zwischen sechs und 14 Millionen E-Autos.

Wann fällt die Entscheidung?

Der Arbeitsgruppe bleibt nur noch diese eine Sitzung am Montag, um zu einer Lösung zu kommen. Der Zeitplan sieht allerdings keine Beschränkung vor. Die Teilnehmer wurden zu einer Sitzung mit offenem Ende eingeladen. Es sei möglich, dass eine Entscheidung erst am Abend oder in der Nacht falle, hieß es aus den Verhandlungskreisen.

Die Grünen forderten ein Ende der Debatte: Der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Bundestag, der Grünen-Politiker Cem Özdemir, sagte, angesichts von 800 000 Arbeitsplätzen in der Autobranche wäre es "gut, wenn es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gäbe". Ziel sei, den Industriestandort und die Jobs zu erhalten und die Mobilität von morgen mit dem Klimaschutz zusammenzubringen.

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