Umweltpolitik:Können Aktionäre Klimaschutz einklagen?

Umweltpolitik: Ein Klimaschutz-Aktivist in den Niederlanden protestiert gegen den Ölkonzern Shell.

Ein Klimaschutz-Aktivist in den Niederlanden protestiert gegen den Ölkonzern Shell.

(Foto: Peter Dejong/dpa)

Unternehmen müssen ihre Strategien zunehmend auf Nachhaltigkeit ausrichten - womit die Chancen aktivistischer Kläger steigen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es geht gegen die großen CO₂-Schleudern, gegen Autohersteller und Energiekonzerne. Klimaschützer wollen das Übel an der Wurzel packen, deshalb rücken seit einiger Zeit zusehends Verfahren gegen Wirtschaftsunternehmen ins Blickfeld. Per Zivilklage wollen Klimaschutz-Aktivisten das frühzeitige Verbrenner-Aus und die CO₂-Reduzierung durchfechten. In den Niederlanden war eine Klage gegen Shell vor zwei Jahren erfolgreich, in Deutschland hingegen warten Kläger noch auf einen Durchbruch; BMW wie auch Mercedes-Benz haben ihre Prozesse in erster Instanz gewonnen. Doch nun rückt eine neue Klageart ins Blickfeld, die noch ein beträchtliches Potenzial entwickeln könnte: Aktionäre verklagen Vorstandsmitglieder auf nachhaltiges Management.

Gerade hat die Umweltorganisation Client Earth in London eine solche Klage gegen Shell anhängig gemacht. Elf Direktoren von Shell hätten es versäumt, die "wesentlichen und vorhersehbaren" Risiken in ihre Strategie einzubeziehen, nötig sei eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und eine Ausrichtung auf die Reduktionsziele des Pariser Abkommens. Damit habe der Vorstand gegen seine rechtlichen Pflichten verstoßen, moniert Client Earth.

Sie kämpfen von innen heraus

Anders als Aktivisten und Biobauern, die von außen Ansprüche gegen Großemittenten durchsetzen wollen, versucht es Client Earth von innen heraus: Als Shell-Aktionärin kann die Organisation aus eigenem Recht fordern, das Direktorium möge jene Sorgfalt walten lassen, die es zum Management eines Großunternehmens braucht. Und dazu gehörten im Jahr 2023 eben nicht nur Profit und Arbeitnehmerbelange, sondern auch eine echte Nachhaltigkeitsstrategie, findet Client Earth.

Wäre das eine Strategie auch für deutsche Klimaschützer? Anders als in Großbritannien können Aktionäre hierzulande nicht direkt gegen den Vorstand klagen - es sei denn, sie brächten eine Mehrheit zusammen. Denn nach deutschem Aktienrecht ist der Aufsichtsrat als Puffer zwischen Vorstand und Aktionären vorgesehen. Und ein Aufsichtsrat klagt nun mal nicht. Denkbar wäre aber, als Aktionär die Entlastung des Vorstandes anzufechten, weil dieser den Klimaschutz nicht hinreichend im Blick hat. Also eine Klage sozusagen von hinten durch die Brust ins Auge, um Nachhaltigkeit und CO₂-Reduktion zu thematisieren. "Bei solchen Anfechtungsklagen geht es vor allem um Symbolik", sagt Marc-Philippe Weller, Rechtsprofessor an der Universität Heidelberg. "Weil der Vorstand um seinen Ruf fürchten muss, werden solche Klagen nicht gern gesehen."

Die entscheidende Frage ist freilich: Gibt es überhaupt eine juristisch greifbare "Sorgfaltspflicht" der Unternehmensführung, das Klima zu schützen und das Pariser Abkommen einzuhalten? Oder beschränkt sich ihre Obliegenheit gegenüber den Aktionären ganz realkapitalistisch darauf, Gewinn und Kurs zu steigern? Klimaschutz für die Imagepflege, aber nicht fürs operative Geschäft?

Tatsächlich ist die Frage, an welchen Zielen sich ein Unternehmen auszurichten hat, im Wandel begriffen. Seit etwa 20 Jahren würden verstärkt gesellschaftspolitische Zwecke zu den Aufgaben der Unternehmensleitung gerechnet, beobachtet Weller; Corporate Social Responsibility heißt das im Unternehmenssprech. Die Diskussion um die Geschlechterquote im Vorstand, aber auch die Bindung an die Menschenrechte im Lieferkettengesetz seien Merkmale dieser Entwicklung.

Die Pflichten der Vorstandsetage werden sich wohl in Richtung Klimaschutz entwickeln

Und wo soziale Verantwortlichkeit Einzug hält, ist es nur ein kurzer Weg zum Klimaschutz. Weller ist zwar skeptisch, ob sich schon jetzt eine harte, gerichtlich durchsetzbare Vorstandspflicht zur Einhaltung des Pariser Abkommens aus dem Aktiengesetz herauslesen lässt. Nach Paragraf 93 hat der Vorstand "die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters" anzuwenden. Das klingt noch ziemlich allgemein. Aber nach Wellers Einschätzung werden sich die Pflichten der Vorstandsetage wohl in Richtung Klimaschutz entwickeln.

Und spätestens mit einer EU-Richtlinie, die sich CSDD abkürzt, dürfte aus den halbweichen Regeln harte Vorgaben werden. Denn die Richtlinie Corporate Sustainability Due Diligence, die noch dieses Jahr verabschiedet werden soll, soll eine Pflicht der Unternehmen festschreiben, ihre Strategie am Pariser Klimaziel auszurichten, also an einer Begrenzung der Erderwärmung auf nahe 1,5 Grad. "Sobald das umgesetzt wird, muss man auch die Sorgfaltspflicht des Vorstands daran orientieren", sagt Weller. Und wo eine Pflicht ist, da steigen die Klagechancen.

Ähnliches vollzieht sich bei den Berichtspflichten der Unternehmen, auch hier treibt eine bereits verabschiedete EU-Richtlinie die Veränderung voran. Danach müssen vom kommenden Geschäftsjahr an auch Mittelständler mit mehr als 250 Mitarbeitern Rechenschaft darüber ablegen, wie klimaschonend und umweltfreundlich sie wirtschaften.

Also ebenfalls eine Pflicht, diesmal zur Transparenz in Sachen Nachhaltigkeit. Wer dagegen verstößt, muss ebenfalls mit Aktionärsklagen rechnen. Solche Verfahren hätten einen Nudging-Effekt, sagt Weller: "Sie stoßen Veränderungen an, weil den Unternehmen sonst Reputationsverlust droht."

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