Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz unter Trump:Auch Trump wird die Kohle nicht zurückbringen

Dafür haben umweltfreundliche Energieformen einfach zu viele Vorteile. Trumps klimafeindliche Dekrete können aber dennoch großen Schaden anrichten.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Claus Hulverscheidt, New York

Vom All aus gesehen muss die Sache ziemlich eindeutig sein: Unter den zahllosen Orten, die den Erdball Nacht für Nacht in ein funkelndes Gemälde aus Gelb und Schwarz verwandeln, strahlt keiner heller als der "Strip" in Las Vegas - jener Dschungel aus Kasinos und Luxushotels, Neonreklamen und Leucht-Cowboys, den mancher Amerikaner für die moderne Ausgabe des biblischen Sündenpfuhls Sodom hält. Millionen Birnen, Röhren, Dioden und Laser vertreiben die Dunkelheit, es ist eine Orgie der Energieverschwendung und Umweltverschmutzung. Oder doch nicht?

Schaut man am Tag auf den Strip herab, etwa auf das Dach des riesigen Kongresszentrums Mandala Bay, entdeckt man ganz anderes: Auf einer Fläche so groß wie 16 Fußballfelder erzeugen dort Solarpaneelen so viel Strom, dass ein 1000-Einwohner-Städtchen damit auskäme. Ähnlich sieht es auf immer mehr benachbarten Hotels und Kasinos aus. Im Schnitt sechseinhalb Stunden pro Tag scheint in Las Vegas die Sonne, die Preise für Solarenergie sinken, das Umweltbewusstsein steigt - auch bei MGM Resorts, das neben dem Kongresszentrum Hotels und Spielstätten in Vegas betreibt. Man wolle, sagt Firmenchef Jim Murren, weniger verbrauchen "von den begrenzten Ressourcen unseres Planeten".

"Viele Kohlekraftwerke sind alt. Die Frage ist: Wer baut noch neue?"

In Washington dagegen will künftig einer mehr verbrauchen von diesen begrenzten Ressourcen. Donald Trump hat diese Woche ein weiteres seiner berüchtigten Dekrete unterschrieben und damit ein Wahlversprechen wahr gemacht: Klimaauflagen für Kohlekraftwerke sollen verschwinden, Gasförderer müssen sich nicht mehr darum kümmern, ob klimaschädliches Methan entweicht, auf staatlichem Land darf wieder nach Öl und Kohle gesucht werden. Er wolle "den Krieg gegen die Kohle beenden", den sein Vorgänger Barack Obama angeblich geführt hat, sagt der Präsident.

Tatsächlich geht die Produktion in den rund 800 US-Kohleminen seit Jahren zurück. Schuld daran, so hämmerte Trump es seinen Anhängern immer wieder ein, sei Obama. Dieser hatte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, CO₂ als gesundheitsschädlich einzustufen, für eine deutlich härtere Gangart gegen die Kohleverstromung genutzt. Erst erließ die Umweltbehörde EPA Standards für neue Kohlekraftwerke, dann versuchte sie gegen den Widerstand mehrerer Bundesstaaten, die Auflagen für die alten zu verschärfen.

Bis 2021 sollen in den USA 70 Gigawatt an Wind- und Solaranlagen dazukommen

Und nun also kommt die große Wende, die Rückkehr der schmutzigen Kohle? "Nein", sagt Bill Ellard, Energieexperte aus Boulder in Colorado, ohne zu zögern. Und auch Susanne Dröge, die an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik die globale Klimapolitik verfolgt, ist sicher, dass Trumps Dekret "den Trend nicht aufhalten" wird. "Viele Kohlekraftwerke sind alt. Die Frage ist: Wer baut noch neue?" Tatsächlich hat den Kohleminen in den letzten Jahren weniger Obamas Klimapolitik zu schaffen gemacht als vielmehr die Konkurrenz: Seit die USA im großen Stil billiges Erdgas aus Schiefergestein pressen, befeuern die Energiefirmen damit ihre Kraftwerke. Und weil Gas bei der Verbrennung weniger Kohlendioxid freisetzt als Kohle, sind die US-Emissionen zwischen 2005 und 2015 um fast zehn Prozent gesunken.

Gleichzeitig sind die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch. Zwar liegt ihr Anteil am US-Strommix mit rund 14 Prozent noch weit unter dem der Kohle. Während die eine Kurve aber steil nach oben steigt, zeigt die andere in die entgegengesetzte Richtung. Allein bis 2021, so kalkuliert die Energiebehörde EIA, dürften 70 Gigawatt an neuen Wind- und Solaranlagen dazukommen. Das entspricht fast dem, was an Windrädern und Solarpaneelen in Deutschland installiert ist. Grund für den Boom sind neben Steuervergünstigungen vor allem rapide sinkende Preise.

Doch es ist mehr als das, es gibt auch einen Bewusstseinswandel in der als so umweltignorant verschrienen US-Industrie. Hunderte Firmen unterstützen die sogenannte BICEP-Initiative, die für eine klimafreundliche Wirtschaftspolitik streitet, darunter Größen wie Nestlé, Kellogg's, Mars, L'Oreal, Nike, Unilever und Starbucks. Jeffrey Immelt, als lang gedienter Chef des Industriekonzerns General Electric so etwas wie der Alterspräsident der US-Wirtschaft, bekannte sich nach Trumps Dekret ausdrücklich zum Pariser Klimaschutzabkommen. Zugleich rief er andere Konzerne dazu auf, Washington zu ignorieren und eine gesellschaftsdienliche "eigene Außenpolitik" zu entwickeln. Nicht einmal die Energiefirmen freuen sich vorbehaltlos über Trumps Billig-Kohle: Der Einsatz von Gas, Wind- und Solarenergie, so Lynn Good, Chefin des Stromriesen Duke Energy, sei für ihr Unternehmen nicht nur umweltpolitisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch. Und außerdem: "Regierungen wechseln."

Auch viele Bundesstaaten stellen sich quer, Kalifornien etwa. Mit fast 40 Millionen Einwohnern ist der Sonnenstaat im Westen für viele Firmen ein zentraler Absatzmarkt. Zugleich gelten hier besonders strikte Umweltregeln: Bis 2030, so sieht es ein Landesgesetz vor, das auch Trump nicht außer Kraft setzen kann, müssen die Treibhausgasemissionen im Staat auf 60 Prozent des Werts von 1990 gesenkt werden. Was soll etwa ein Autobauer da tun? Ein Modell für Kalifornien fertigen und ein zweites, billigeres, dafür aber die Umwelt verpestendes Trump-Mobil für Arizona? Kaum anzunehmen, dass viele Firmen diesen Weg beschreiten werden. "Die Gegenwehr, die Staaten wie New York und Kalifornien leisten, wird den negativen Effekt einer geringeren Umweltregulierung bei weitem wettmachen", sagt US-Experte Ellard.

Auch weltweit ist die von manchen Experten befürchtete Renaissance der Kohle bisher ausgeblieben. Als das Mercator-Forschungszentrum für globale Gemeingüter kürzlich die Planungen der großen Schwellenländer zusammentrug, stieß es vor allem in Indien und China auf lauter gestrichene Kohleprojekte: Peking setzt neuerdings vermehrt auf Windenergie, Indien auf Solarstrom. Die Folge: Die ursprünglich erwarteten Emissionen aus der Kohle könnten um 20 Prozent schrumpfen.

"Kritischer könnte Trumps Signal für jene Länder sein, die weiter auf Kohle setzen wollen", sagt Mercator-Chef Ottmar Edenhofer. Länder wie Indonesien, Ägypten, die Türkei oder die Philippinen planen fleißig neue Kohlekraftwerke - jedes einzelne garantiert CO₂-Emissionen für mindestens 40 Jahre. Fielen auch die USA um, könnte das zu einem Domino-Effekt führen.

Entsprechend groß sind die diplomatischen Bemühungen, Trump aufzuhalten. Als sich jüngst Abgesandte der sieben großen Industrienationen (G 7) trafen, um den Gipfel im Mai auf Sizilien vorzubereiten, stand der US-Unterhändler ziemlich alleine da. Die anderen beschworen ihn, Washington müsse mindestens am Pariser Abkommen festhalten. Stehe nicht einmal das im Schlussdokument, so warnte Gastgeber Italien, wäre das ein "Versagen der G 7". Der Amerikaner verwies auf das Weiße Haus. Die Haltung dort sei "gespalten".

Ob Washington beim Pariser Abkommen bleibt, ist noch nicht entschieden

Tatsächlich sind die Signale widersprüchlich. Am Dienstag war der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth in Washington. Ausgerechnet am Tag der Unterzeichnung des Trump-Dekrets traf er auf den neuen EPA-Chef und vermeintlichen Klimawandel-Leugner Scott Pruitt. Er habe, sagt Flasbarth, einmal die deutsche Sicht auf die Dinge darlegen wollen, Energiewende, Ausstieg aus fossilen Energien, all das. "Man kann nicht sagen, dass Pruitt nicht interessiert wäre", sagte Flasbarth nach dem Treffen. Demnächst will der EPA-Chef nach Deutschland kommen und sich die Sache einmal vor Ort anschauen. "Ganz begraben", so Flasbarth, "hat Washington den Klimaschutz noch nicht."

Selbst die Umweltaktivisten von Greenpeace setzen deshalb nicht auf Konfrontation, sondern auf Überzeugungsarbeit. Sie legen dieser Tage in den USA eine Studie vor, die Trump für Wind und Sonne erwärmen soll. "Unsere neue Regierung hat die Kraft, Innovationen und Einfallsreichtum des amerikanischen Volkes zu nutzen, um Amerikas Energie-Versprechen zu erneuern", heißt es darin. Was folgt, sind die Segnungen grüner Energien für die Wirtschaft - schließlich schafften diese pro investiertem Dollar dreimal mehr Stellen als fossile Träger. "Wenn Trump überhaupt noch mit rationalen Argumenten zu erreichen ist", so Greenpeace-Mann Tobias Münchmeyer, "dann, wenn es um Geld und Jobs geht."

"Eine Amtszeit mit Trump kann man durchstehen, eine zweite wäre irreparabel."

Denn noch ist der Präsident nicht aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen. Zöge sich der zweitgrößte Klimasünder der Welt zurück, noch bevor die Vereinbarung überhaupt zu wirken beginnt, hätte das weitaus gravierendere Folgen als etwa das Kohle-Dekret. Nicht viel besser sähe es aus, wenn die USA zwar dabei blieben, die Gespräche aber von innen heraus sabotierten - etwa bei der Verabredung gemeinsamer Regeln. Sie sollen erst dafür sorgen, dass aus dem Fernziel Klimaschutz in jedem Staat auch messbare Schritte werden. "Eine Amtszeit mit Trump kann man durchstehen", sagt Klimaökonom Edenhofer. "Eine zweite wäre irreparabel."

Immerhin entstehen ganz neue Allianzen. Kürzlich trafen sich Wissenschaftler, Umweltschützer und Firmen aus den führenden Industrie- und Schwellenländern der G 20 und entwarfen einen Aufruf für mehr Klimaschutz. "Wir brauchen schnelles, fundamentales und vor allem globales Handeln", heißt es da. "Wir müssen die Art ändern, wie wir Energie erzeugen und verbrauchen." Sogar einen globalen Mindestpreis für klimaschädliche Emissionen fordert die merkwürdige Koalition. "Ich bin sicher", sagt Christoph Bals von der Umweltgruppe Germanwatch: "Ohne Trump hätten wir so etwas nie hingekriegt."

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SZ vom 01.04.2017/mahu
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