Vom All aus gesehen muss die Sache ziemlich eindeutig sein: Unter den zahllosen Orten, die den Erdball Nacht für Nacht in ein funkelndes Gemälde aus Gelb und Schwarz verwandeln, strahlt keiner heller als der "Strip" in Las Vegas - jener Dschungel aus Kasinos und Luxushotels, Neonreklamen und Leucht-Cowboys, den mancher Amerikaner für die moderne Ausgabe des biblischen Sündenpfuhls Sodom hält. Millionen Birnen, Röhren, Dioden und Laser vertreiben die Dunkelheit, es ist eine Orgie der Energieverschwendung und Umweltverschmutzung. Oder doch nicht?
Schaut man am Tag auf den Strip herab, etwa auf das Dach des riesigen Kongresszentrums Mandala Bay, entdeckt man ganz anderes: Auf einer Fläche so groß wie 16 Fußballfelder erzeugen dort Solarpaneelen so viel Strom, dass ein 1000-Einwohner-Städtchen damit auskäme. Ähnlich sieht es auf immer mehr benachbarten Hotels und Kasinos aus. Im Schnitt sechseinhalb Stunden pro Tag scheint in Las Vegas die Sonne, die Preise für Solarenergie sinken, das Umweltbewusstsein steigt - auch bei MGM Resorts, das neben dem Kongresszentrum Hotels und Spielstätten in Vegas betreibt. Man wolle, sagt Firmenchef Jim Murren, weniger verbrauchen "von den begrenzten Ressourcen unseres Planeten".
"Viele Kohlekraftwerke sind alt. Die Frage ist: Wer baut noch neue?"
In Washington dagegen will künftig einer mehr verbrauchen von diesen begrenzten Ressourcen. Donald Trump hat diese Woche ein weiteres seiner berüchtigten Dekrete unterschrieben und damit ein Wahlversprechen wahr gemacht: Klimaauflagen für Kohlekraftwerke sollen verschwinden, Gasförderer müssen sich nicht mehr darum kümmern, ob klimaschädliches Methan entweicht, auf staatlichem Land darf wieder nach Öl und Kohle gesucht werden. Er wolle "den Krieg gegen die Kohle beenden", den sein Vorgänger Barack Obama angeblich geführt hat, sagt der Präsident.
Tatsächlich geht die Produktion in den rund 800 US-Kohleminen seit Jahren zurück. Schuld daran, so hämmerte Trump es seinen Anhängern immer wieder ein, sei Obama. Dieser hatte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, CO₂ als gesundheitsschädlich einzustufen, für eine deutlich härtere Gangart gegen die Kohleverstromung genutzt. Erst erließ die Umweltbehörde EPA Standards für neue Kohlekraftwerke, dann versuchte sie gegen den Widerstand mehrerer Bundesstaaten, die Auflagen für die alten zu verschärfen.
SZ-Grafik; Quelle: Agora Energiewende, Stand: 2014
Bis 2021 sollen in den USA 70 Gigawatt an Wind- und Solaranlagen dazukommen
Und nun also kommt die große Wende, die Rückkehr der schmutzigen Kohle? "Nein", sagt Bill Ellard, Energieexperte aus Boulder in Colorado, ohne zu zögern. Und auch Susanne Dröge, die an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik die globale Klimapolitik verfolgt, ist sicher, dass Trumps Dekret "den Trend nicht aufhalten" wird. "Viele Kohlekraftwerke sind alt. Die Frage ist: Wer baut noch neue?" Tatsächlich hat den Kohleminen in den letzten Jahren weniger Obamas Klimapolitik zu schaffen gemacht als vielmehr die Konkurrenz: Seit die USA im großen Stil billiges Erdgas aus Schiefergestein pressen, befeuern die Energiefirmen damit ihre Kraftwerke. Und weil Gas bei der Verbrennung weniger Kohlendioxid freisetzt als Kohle, sind die US-Emissionen zwischen 2005 und 2015 um fast zehn Prozent gesunken.
Gleichzeitig sind die erneuerbaren Energien auf dem Vormarsch. Zwar liegt ihr Anteil am US-Strommix mit rund 14 Prozent noch weit unter dem der Kohle. Während die eine Kurve aber steil nach oben steigt, zeigt die andere in die entgegengesetzte Richtung. Allein bis 2021, so kalkuliert die Energiebehörde EIA, dürften 70 Gigawatt an neuen Wind- und Solaranlagen dazukommen. Das entspricht fast dem, was an Windrädern und Solarpaneelen in Deutschland installiert ist. Grund für den Boom sind neben Steuervergünstigungen vor allem rapide sinkende Preise.
Doch es ist mehr als das, es gibt auch einen Bewusstseinswandel in der als so umweltignorant verschrienen US-Industrie. Hunderte Firmen unterstützen die sogenannte BICEP-Initiative, die für eine klimafreundliche Wirtschaftspolitik streitet, darunter Größen wie Nestlé, Kellogg's, Mars, L'Oreal, Nike, Unilever und Starbucks. Jeffrey Immelt, als lang gedienter Chef des Industriekonzerns General Electric so etwas wie der Alterspräsident der US-Wirtschaft, bekannte sich nach Trumps Dekret ausdrücklich zum Pariser Klimaschutzabkommen. Zugleich rief er andere Konzerne dazu auf, Washington zu ignorieren und eine gesellschaftsdienliche "eigene Außenpolitik" zu entwickeln. Nicht einmal die Energiefirmen freuen sich vorbehaltlos über Trumps Billig-Kohle: Der Einsatz von Gas, Wind- und Solarenergie, so Lynn Good, Chefin des Stromriesen Duke Energy, sei für ihr Unternehmen nicht nur umweltpolitisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch. Und außerdem: "Regierungen wechseln."