Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Sauberes Angebot sucht saubere Nachfrage

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Mit „grünen Leitmärkten“ will Wirtschaftsminister Robert Habeck klimafreundlichen Produkten den Weg bereiten. Jetzt legt er ein erstes Konzept vor. Und die Sache könnte sogar klappen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Ein grünes Windrad kann durchaus weiß sein. Grün wäre zum Beispiel das Fundament, aus klimaneutralem Zement. Grün wäre auch ein Großteil des Stahls, der nicht mit Koks, sondern mit Wasserstoff hergestellt wäre. Aussehen würde das Windrad wie alle anderen. Nur teurer wäre es wohl.

Geht es nach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, sollen „grüne Leitmärkte“ derlei sauberen Werkstoffen auf die Sprünge helfen. Auf diesen Märkten ließe sich etwa klimafreundlich produzierter, grüner Stahl handeln, es würde sich ein eigener Preis dafür bilden. Nachfrage danach gäbe es, weil entweder die öffentliche Hand auf grüne Anteile pocht, wenn sie Brücken oder Gebäude in Auftrag gibt, oder weil europäische Regeln solche Anteile in Produkten verlangen. Im Jahr 2050, das ist Habecks Plan, soll sich so auch in der Schwerindustrie Klimaneutralität erreichen lassen, jedenfalls bis auf „unvermeidbare Restemissionen“.

Einen ersten Schritt hat Habeck nun getan – mit einem Konzept für vier Bereiche, in denen sich ein grüner Markt aufziehen ließe: Stahl, Zement, Ammoniak und Ethylen. Eine 60-seitige Studie im Auftrag des Ministeriums listet dazu auf, wie sich die jeweils grünen Varianten definieren ließen. Solcherlei Klarheit wäre nötig, damit sich so etwas wie ein grünes Label überhaupt entwickeln kann. Das Konzept sei aber erst einmal nur ein Diskussionsanstoß, denn letztlich müsste so ein Markt auf europäischer Ebene entstehen.

Schon vor einem Jahr hatte der wissenschaftliche Beirat des Ministeriums ein klares Votum für die grünen Leitmärkte abgegeben. Sie seien „das bessere Instrument, um die Produktion klimaneutral produzierter Grundstoffe auszudehnen“, schrieb der Rat in einem Gutachten. Ihn überzeugte, dass der Staat in diese Märkte nur minimal eingreift – und letztendlich die Verbraucherinnen und Verbraucher die Mehrkosten dafür tragen, das ihre Produkte nicht mehr zulasten des Klimas hergestellt werden. Allerdings warnten sie auch vor der schwierigen Anlaufphase – schließlich sind Unternehmen anfangs unsicher, ob sich das neue Geschäft lohnt. Und ob die Gesetze dauerhaft die grünen Varianten einfordern, sei auch mindestens ungewiss. Auch der Beirat plädierte deshalb dafür, das neue System auf europäischer Ebene einzuführen.

Das sieht Habeck nicht anders. „Wir gehen jetzt auf die EU-Kommission zu“, sagt er. Dort müsse die Umsetzung laufen. Die Industrie sei aber schon jetzt an Bord. „Im Kern wissen viele Unternehmen, dass das Weg für eine künftige Produktion ist“, sagt der grüne Minister.

Tatsächlich hatte erst vorigen Monat die Wirtschaftsvereinigung Stahl einen Entwurf für einen „Low emission steel standard“ vorgeschlagen, kurz Less. In diese Richtung geht nun auch das Konzept des Wirtschaftsministeriums. So könnte ein Nahe-null-Standard definiert werden, das Konzept schlägt dafür einen CO₂-Fußabdruck von 520 Kilogramm je Tonne Stahl vor. Derzeit fällt bei warmgewalztem Stahl rund das Dreifache an Kohlendioxid an. „Wichtig ist, dass aufbauend auf den gefundenen Definitionen nun auch konkrete Maßnahmen zeitnah zur Entwicklung der Nachfrage nach grünen Grundstoffen auf den Weg gebracht werden“, verlangt Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung.

Nach Habecks Vorstellung soll diese Nachfrage über die „Inverkehrbringer“ laufen. Im Fall der Stahlindustrie wäre das buchstäblich die Automobilindustrie. Damit würde der grüne Standard für alle Stahlwerke gelten, ob in Europa oder sonstwo. Die Mehrkosten für ein Auto mit klimafreundlichen Werkstoffen – vom Stahl über den Kunststoff bis zum Aluminium – seien geringer als eine neue Metallic-Lackierung, wirbt das Ministerium und beruft sich dabei auf Zahlen aus der Wirtschaft.

Auch neue Vergaberichtlinien, über die sich derzeit die Bundesregierung intern abstimmt, sollen den Weg für die grünen Standards frei machen. Damit könnte die öffentliche Hand leichter die Verwendung klimafreundlicher Baustoffe und ähnlichem zur Bedingung machen. Der Vorstoß gehe jedenfalls in die richtige Richtung, lobt auch Klemens Haselsteiner, Chef des Baukonzerns Strabag. „Es gibt innovative, nachhaltige Frontrunner“, sagt er. Seien deren Produkte erst mal in einem Bundesland zugelassen, könnten sich andere Länder dem kaum entziehen. So entwickelt der Markt seine eigene Dynamik – wenn es gut läuft.

Auch der Klimaklub, ins Leben gerufen von Kanzler Olaf Scholz, soll helfen, die Idee zu verbreiten. Und schon beim nächsten Klimagipfel, im November in Aserbaidschan, erhofft das Ministerium „entscheidende Fortschritte“ – hin zu internationalen Standards.

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