Klimaschutz:Rettet den Emissionshandel!

Greenpeace-Protest am Kohlekraftwerk in Konin

Kohlekraftwerk in Polen: Industrie kommt billig an CO2-Zertifikate

(Foto: dpa)

Eigentlich sollten Firmen ordentlich zahlen, wenn sie CO2 in die Luft blasen. Doch die Rechte dafür kosten kaum noch etwas. Die EU versucht nun in einer Notoperation, den Preisverfall beim Emissionshandel zu stoppen. Dabei könnte Europa das Problem ganz einfach lösen.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller

Europas bestes und wichtigstes Werkzeug für den Klimaschutz, man muss es so drastisch sagen, droht zu versagen. Seit Monaten verlieren die Zertifikate für den Kohlendioxid-Ausstoß an Wert; immer billiger wird es, die Atmosphäre mit Treibhausgasen zu schädigen. Denn das Prinzip des Emissionsrechtehandels hat sich ins Gegenteil verkehrt: Sollte ursprünglich eine künstliche Knappheit den Ausstoß klimaschädlicher Gase verteuern, herrscht nun Überfluss. Geschieht nichts, könnte der Emissionshandel auf Jahre hin seine Wirkung verlieren, bis hin zur völligen Bedeutungslosigkeit. Die Folgen wären fatal.

Vordergründig liegt der Preisverfall in der Logik des Systems. Sein Dreh- und Angelpunkt ist eine europaweite Obergrenze für die Kohlendioxid-Emissionen, sie gilt für alle Kraftwerke und Fabriken. Herrscht Mangel an solchen Zertifikaten, steigt der Preis. Folglich lohnt es sich auch, in effizientere Anlagen zu investieren - das spart schließlich Geld. Wer dagegen nicht modernisiert, zahlt drauf. Ein geniales Prinzip, eigentlich.

Auch sinken die Preise, wenn die Wirtschaft lahmt, denn dann gehen die Emissionen zurück. Beides bildet der aktuelle Rückgang ab: die Rezession in weiten Teilen Europas, aber auch den Umbau der Energieversorgung. Je mehr sauberer Ökostrom ans Netz geht, desto weniger Zertifikate werden nachgefragt. Doch dies erklärt den jüngsten Preisverfall nur zum Teil.

Die wahren Probleme des europäischen Emissionshandels liegen weiter zurück, sie wurzeln nicht zuletzt in der enorm erfolgreichen Lobbyarbeit der europäischen Industrie. Denn von Anfang an wurden die Unternehmen mit Emissionsrechten reichlich bedient. Wo doch mal welche fehlten, ließen sie sich im Ausland kostengünstig beschaffen. Und was die Unternehmen nicht brauchten, konnten sie ansparen für spätere Jahre.

Ergebnis: Selbst die dritte Handelsperiode, die im vorigen Monat begann und bis 2020 laufen wird, ist schon jetzt mit einem Überschuss von geschätzt fast zwei Milliarden Zertifikaten gesegnet. Damit könnte sich die deutsche Industrie mehr als vier Jahre lang versorgen. Der Preis dümpelt um die fünf Euro.

Der einzig konsequente Schritt: das Klimaziel anheben

Insofern ist es nicht mehr als eine Notoperation, die der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments am Dienstag eingeleitet hat. Einmalig sollen dem Markt in den nächsten Jahren 900 Millionen Zertifikate entzogen werden, um den Preis zu stabilisieren. Solche nachträglichen Interventionen sind nicht die feine Art in einem marktbasierten System. Aber nach Lage der Dinge sind sie die einzige Chance, den Emissionshandel nicht zur Lachnummer verkommen zu lassen.

Das liegt vor allem daran, dass sich die Europäer zum einzig konsequenten Schritt nicht durchringen können: der Anhebung ihres Klimaziels. Vor vier Jahren hatten sich die EU-Staaten vorgenommen, bis 2020 ein Fünftel weniger Treibhausgase auszustoßen, gemessen an 1990. Allerdings ist dieses Ziel schon so gut wie erfüllt. Auch das erklärt die niedrigen Preise für die Zertifikate. Denn deren Gesamtmenge bemisst sich am EU-Klimaziel. Ist das erst erreicht, ist der Überfluss logische Folge - und das womöglich schon 2013, nicht erst 2019. Eine Anhebung des Klimaziels auf 30 Prozent wäre längst überfällig. Nicht zuletzt auch als Signal an andere Industrienationen.

Nur: Deutschland macht bei alledem keine gute Figur. Die Bundesregierung, früher so gern Vorreiter im Klimaschutz, könnte den Reformen in Brüssel zum Durchbruch verhelfen. Doch sie schweigt dazu. Namentlich Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler streikt, der FDP-Chef will von Korrekturen nichts wissen.

Das ist kurzsichtig gleich in mehrerlei Hinsicht. Zum einen geraten durch den niedrigen CO2-Preis zunehmend Gaskraftwerke gegenüber der klimaschädlichen Kohle ins Hintertreffen - und damit just jene flexiblen Anlagen, die so dringend als Reserve für schwankenden Wind- und Sonnenstrom gebraucht werden. Zum anderen schrumpft so der Klimafonds, mit dem die Bundesregierung doch die Energiewende stützen wollte - 1,4 Milliarden Euro Erlöse aus der Versteigerung von Zertifikaten könnten allein 2013 fehlen. All das ließe sich leicht beheben.

Stattdessen sieht Berlin zu, wie der europäische Emissionshandel an Bedeutung verliert - das weltweit einzige marktnahe Instrument für den Klimaschutz. Und das einzige, das globalisierungsfähig ist, schließlich können sich andere Staaten mühelos anschließen: Norwegen hat das getan, Australien und die Schweiz verhandeln darüber mit der EU. China, Südkorea, Kalifornien basteln an Handelssystemen. Es wäre ein Desaster, gäbe Europa dieses Werkzeug verloren.

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