Ökosysteme:Milliarden für Moore

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Nach Moor sehen heute die wenigsten Moore in Deutschland aus. Die meisten sind trockengelegt und werden zum Beispiel als Acker genutzt. Das Bild zeigt das Hangquellmoor Binsenberg. (Foto: Jens Büttner/picture alliance/dpa)

Wälder und Feuchtgebiete sind enorm wichtig für den Klimaschutz, denn sie speichern Kohlenstoff. Doch das milliardenschwere Aktionsprogramm der Bundesregierung stößt vor allem bei Landwirten nicht nur auf Zustimmung.

Von Kassian Stroh, Berlin

Will Steffi Lemke die Zukunft besichtigen, schnürt sie ihre Wanderstiefel. Dann fährt sie dorthin, wo sich das Wasser seinen Platz zurückerobert, weil man es nicht mehr hindert: ins Moor. "Klimakrisenvorsorge" werde dort geleistet, lobt die Umweltministerin. Moore speichern Wasser und binden Treibhausgase. "Natürlicher Klimaschutz", so nennt sie das.

In normaler Bürokleidung hat sich Lemke am Mittwoch vom Bundeskabinett ihr "Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" absegnen lassen. Ein 80-seitiges Konzept mit Dutzenden einzelnen Maßnahmen, unterfüttert mit vier Milliarden Euro bis zum Jahr 2026. Nie habe der Bund so viel Geld in Naturschutz investiert, sagt die Grünen-Politikerin - auch wenn das nur ein Anfang sein könne. Moore und natürliche Wälder könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Deutschland sein Ziel erreiche, bis zum Jahr 2045 CO₂-neutral zu sein.

Geht es um den Klimaschutz, dreht sich die öffentliche Debatte meist um andere Themen: Wie lässt sich der Ausstoß von Treibhausgasen im Verkehr reduzieren, müssen bald alle Öl- oder Gasheizungen in Deutschlands Häusern abgewrackt werden? Dass auch der Umgang mit der Natur selbst eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich vor allem an den Mooren: Werden sie trockengelegt, etwa um Ackerboden zu gewinnen oder eine Straße zu asphaltieren, geben sie riesige Mengen an Kohlendioxid frei. Mehr als 50 Millionen Tonnen gelangen so jedes Jahr in Deutschland in die Atmosphäre, das sind immerhin sieben Prozent der Gesamtemissionen. Umgekehrt gilt auch: Werden trockene Moore - und das sind die allermeisten von ihnen - wieder vernässt, speichern sie Kohlenstoff. Das gilt auch für die Renaturierung von Wäldern, speziell von Auwäldern entlang der Flüsse.

Daneben will die Bundesregierung mit ihrem Aktionsprogramm zwei weitere Ziele erreichen: Ökosysteme sollen erhalten oder wiederhergestellt werden, auch um den rapiden Artenschwund zu bremsen. Und sie sollen auch die Folgen der Klimakrise mildern: Feuchte Wälder brennen seltener, natürliche Flusstäler können Hochwassermassen aufnehmen, Städte mit vielen Bäumen sind kühler und für ihre Bewohner gesünder.

Für Lemke ist das Programm nicht nur eines ihrer wichtigsten Projekte. Es ist auch ihr wichtigster Zugang zum Thema Klimaschutz. Denn die Ampelkoalition hat die Zuständigkeit dafür vom Umweltministerium in die Ressorts Außen und Wirtschaft verlagert. Die werden zwar ebenfalls von Grünen geleitet, doch Lemkes eigener Gestaltungsspielraum ist dadurch gering. Mit dem neuen Aktionsprogramm hat sie nun vier Milliarden Euro zum Verteilen. "Extrem gut investiertes Geld", findet sie und beruft sich auf eine Untersuchung der EU, wonach sich jeder Euro in diesem Bereich achtfach bezahlt mache.

Als konkrete erste Schritte nennt sie Förderprogramme zum Beispiel für die klimaschutzgerechte Nutzung von Flächen ländlicher Kommunen genauso wie für die Entsiegelung von Flächen oder deren naturnahe Umgestaltung in den Städten. Und sie werde bis zum Sommer ein "Kompetenzzentrum" aufbauen, kündigt Lemke an, in dem sich insbesondere Landbesitzer über Fördermöglichkeiten informieren können.

Auch für die Wasserstrategie erntete die Umweltministerin Kritik von Umweltschützern

Bei manchen von denen formiert sich bereits Widerstand. Lemkes Programm biete "abgesehen von der Moornutzung keine sinnvollen Maßnahmen an oder nur solche, deren Klimawert fragwürdig ist", kritisiert Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands. "Das Aktionsprogramm muss für uns Bauern auch Geschäftsmodelle für natürlichen Klimaschutz bieten." Rukwied fordert, das Aktionsprogramm müsse gemeinsam mit den Landwirten umgesetzt werden, nicht gegen sie - andernfalls werde deren Wettbewerbsfähigkeit leiden. Lemke wiederum nennt ihre Förderrichtlinie für die ländlichen Gebiete eine "ausgestreckte Hand für die Landwirte".

Konflikte über die Nutzung knapper Ressourcen begleiten Lemkes Arbeit freilich ständig: Nach der Präsentation ihrer Nationalen Wasserstrategie vor zwei Wochen warfen ihr Umweltschützer vor, der Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser keinen absoluten Vorrang vor den Interessen von Industrie und Landwirtschaft eingeräumt zu haben.

Und Lemke hat nicht nur mit den Bauern ein Problem. Am Dienstag hat der Koalitionsausschuss beschlossen, dass 144 Autobahnausbauten künftig im "überragenden öffentlichen Interesse" liegen sollen, dass bei ihrer Planung also Umweltschutzbelange künftig eine geringere Rolle spielen sollen. Das schmeckt der Umweltministerin nicht. Dieser Weg sei falsch, sagt Lemke, in diesem "äußerst kleinen und begrenzten Umfang" halte sie das aber für "bewältigbar". Schließlich versiegelt auch der Straßenbau die Moorflächen, die Lemke so gerne erhalten würde. In Reaktion auf Koalitionsausschuss und Aktionsprogramm fordert die Deutsche Umwelthilfe nun, auch Renaturierungen zu beschleunigen und rechtliche Hürden abzubauen: Auch sie müssten gesetzlich als im "überragenden öffentlichen Interesse" liegend deklariert werden.

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