Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Schluss mit Kohlekraft, Ölheizung und Verbrenner

Die Internationale Energieagentur rechnet durch, wie die Welt sich bis 2050 klimaneutral mit Energie versorgen kann. Ihr Ergebnis: Das ist ambitioniert, aber machbar.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Es ist ein Rennen der anderen Art, sagt Fatih Birol, der Chef der Internationalen Energieagentur IEA. Ein Rennen, in dem Staaten von unterschiedlichen Punkten starten, und manche früher als andere durchs Ziel gehen müssen. "Aber es ist kein Rennen der Staaten gegeneinander, sondern eins gegen die Zeit." Spätester Zieldurchlauf: 2050. Ohne dass alle Staaten dieses Rennen schaffen, sagt Birol, "kann keiner gewinnen".

Die EU, Japan, die USA, Kanada - zuletzt hatten sich reihenweise Länder verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu werden. Erst vorige Woche hatte die Bundesregierung ihren Zieldurchlauf um fünf Jahre vorgezogen, auf 2045. Die Pariser Energieagentur hat die Staaten nun beim Wort genommen - und durchgerechnet, welche Etappen sie erreichen müssen, um den Energiesektor klimaneutral zu machen. Mit der Befeuerung von Kraftwerken, Flugzeugturbinen, Heizkesseln oder Automotoren ist er so fossil wie kein anderer Bereich. "Der Pfad ist schmal", sagt Birol. "Aber wenn Staaten schnell und entschieden handeln, geht das."

Schnell und entschieden gilt von sofort an. Schon in diesem Jahr dürfe es keine Genehmigungen mehr für neue Kohlekraftwerke oder Öl- und Gasfelder geben. Auch neue Infrastrukturen dafür brauche es nicht mehr. Ab 2025 dürften keine Heizkessel mehr verkauft werden, die fossile Energie verbrennen. Ab 2030 müssten neue Gebäude den Null-Emissions-Standard erfüllen, und die Industriestaaten müssten aus der Kohle ausgestiegen sein - acht Jahre früher, als es in Deutschland derzeit geplant ist. Nach 2035 dürfte kein neues Auto mit Verbrennungsmotor mehr auf den Markt kommen, und 2040 müssten auch im Rest der Welt die letzten Kohlekraftwerke den Dienst quittieren.

In den Industriestaaten wird der Anteil der Kernkraft laut IEA sinken

Die Zukunft steht der Organisation, die einst als Gegengewicht zum Ölkartell Opec gegründet wurde, dabei klar vor Augen. Bis 2050 sollen 90 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien stammen, darunter 70 Prozent aus Wind und Sonne. Der Kernkraft gesteht die IEA, die der Technologie eigentlich aufgeschlossen gegenübersteht, 2050 nur zehn Prozent am globalen Strommix zu. In den Industriestaaten werde ihr Anteil schrumpfen. Zuletzt waren vermehrt Forderungen laut geworden, im Kampf gegen den Klimawandel stärker auf Atomkraft zu setzen. Das sieht die IEA offenbar anders.

Allerdings bedürfe es jede Menge technischen Fortschritts, um die Klimakrise zu bewältigen. So brauche es Anlagen, um Kohlendioxid der Luft zu entziehen und zu speichern. Derzeit emittiert der Energiesektor rund 33 Gigatonnen CO₂ pro Jahr. Bis 2050 müssten mehr als sieben Gigatonnen aufgefangen und gespeichert werden, um auf netto null Emissionen zu kommen, auch zum Beispiel in der Zementherstellung. Es wird Fortschritte bei Batterien brauchen und rund um Wasserstoff; aber auch beim effizienten Umgang mit Energie. "Wir müssen beschleunigen, beschleunigen, beschleunigen", sagt IEA-Expertin Laura Cozzi, die an dem Report gearbeitet hat.

Erst kürzlich hatte die IEA Zahlen zur Entwicklung der globalen CO₂-Emissionen 2021 vorgelegt. Sie deuten auf einen massiven Anstieg, analog zur wirtschaftlichen Erholung nach der Corona-Krise. "Wir glauben an Zahlen", sagt Birol. "Und leider belegen sie eine massive Lücke zwischen der Rhetorik und dem, was im wahren Leben passiert."

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