In Sachen Klimaschutz hat das Berliner Futurium schon so einiges erlebt. 2019 packte die Kanzlerin Angela Merkel hier vor der staunenden Öffentlichkeit das „Klimapaket“ der alten Bundesregierung aus. Den bescheidenen Inhalt rechtfertigte sie seinerzeit achselzuckend mit dem Hinweis, Politik sei eben das, „was möglich ist“. Fünf Jahre später lädt nun der Industrieverband BDI in das Zukunftsmuseum ein, zum Klimakongress. Die Zeiten sind spürbar andere, der Ton auch. „Der Befund ist eindeutig“, sagt BDI-Präsident Siegfried Russwurm. „Deutschland ist auf der Verliererstraße unterwegs.“ Nötig sei „eine realistische Balance zwischen Ökonomie und Ökologie“, mehr Freiheit für die Unternehmen. Die Stimmung ist schlecht im Maschinenraum des großen Umbaus.
Doch während Russwurm spricht, geschehen nicht weit vom Futurium noch andere Dinge. Im Bundeswirtschaftsministerium, gut einen Kilometer nördlich, vergibt Hausherr Robert Habeck (Grüne) zeitgleich die ersten Klimaschutzverträge. Zunächst 15 Unternehmen können sich so den Abschied von fossiler Energie finanzieren lassen, Habeck spricht von „Zukunftsprojekten“. Die Verträge gäben Firmen, „was sie in Zeiten der Transformation in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld mit am nötigsten brauchen: Planungssicherheit für ihre Investitionen“, sagt er. Und das soll erst der Anfang sein, bald sollen sich weitere Firmen bewerben können.
Geht alles gut, könnte das neue Instrument tatsächlich den Klimaschutz in der Industrie voranbringen. Stellt etwa eine Glashütte ihre Produktion so um, dass sie Glas nicht mehr mit Gas, sondern mit Strom schmilzt, kann sie sich die Mehrkosten erstatten lassen. Weil sie dadurch kein Gas mehr verbrennt und weniger Kohlendioxid emittiert, braucht sie auch keine Emissionszertifikate mehr – sie spart also Geld. Über den Klimaschutzvertrag werden nur die Mehrkosten erstattet, die über diese Ersparnis hinausgehen. Und weil die Preise für CO₂-Zertifikate absehbar steigen, muss der Staat immer weniger draufzahlen. Irgendwann könnte es sogar zu Rückzahlungen kommen.
Hoffnungsfrohe Balkendiagramme
In einer ersten Runde hat der Bund dafür 2,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die geförderten Projekte sollen über ihre Lebensdauer 17 Millionen Tonnen Kohlendioxid einsparen – das ist etwa ein Zehntel dessen, was die Industrie in einem Jahr ausstößt. Die nächste Förderrunde soll deutlich größer werden. Vertreter der Industrie reagieren trotzdem nur verhalten. Die Verträge könnten als „Anschubfinanzierung bei der Transformation helfen“, findet der Chemieverband VCI. Sie seien aber kein Allheilmittel. „Die strukturellen Probleme am Standort Deutschland hängen unserer Industrie wie Bleikugeln am Bein“, sagt VCI-Chef Wolfgang Große Entrup. Da sind sie wieder, die Zukunftssorgen.
Und während die auch im Futurium ausgesprochen werden, legt einen guten Kilometer südöstlich der Thinktank Agora Energiewende die neueste Fassung seiner Studie „Klimaneutrales Deutschland“ vor. Eine „Botschaft des Gelingens“, wie Agora-Chef Simon Müller sagt. Auf Balkendiagrammen ist in der Studie nachzulesen, wie die Emissionen immer weiter sinken können, tatsächlich bis auf netto Null im Jahr 2045 – nicht ganz zufällig ist das auch das Ziel, das im deutschen Klimaschutzgesetz verankert ist. Aber es wird anstrengend, wissen auch die Agora-Leute. „Deutschland ist in einer kritischen Phase“, sagt Müller. In einem immer kürzeren Zeitraum müssten Lösungen her. „Es ist eine Kraftanstrengung, die davon abhängt, dass das Land Lust darauf hat.“
Diese Lust könne allein schon dadurch entstehen, dass Klimaschutz jede Menge zusätzlichen Nutzen bringe: bessere Luft ohne Verbrennermotoren, kühlere Wohnungen durch bessere Dämmung, weniger Abhängigkeit von Energieimporten. Drei Viertel der nötigen Investitionen seien ohnehin über kurz oder lang fällig.
Als die Agora-Studie vorgestellt ist und die Klimaschutzverträge überreicht sind, tritt im Futurium noch Habeck ans Mikro, auch er appelliert an die Industrie. „Wir müssen mit anderem Schwung nach vorne gehen“, sagt er. Keiner wisse, wann genau der Klima-Kipppunkt erreicht sei, die nächste Katastrophe sei gewiss nicht fern. „Man muss Besenfressen mögen, wenn man glaubt, nächstes Jahr bleiben wir verschont.“
Das sehen offenbar nicht alle so. Habeck sitzt später noch auf einem Podium, unter anderem mit dem Deutschland-Chef des Mineralölkonzerns BP, Patrick Wendeler. BP hatte kürzlich sein Ziel kassiert, bis 2030 die Förderung von Öl und Gas zu senken, stattdessen werden neue Ölfelder erschlossen. Aber nein, sagt Wendeler, das sei keine Kehrtwende. Die Gesellschaft sei aber noch nicht so weit. Im Übrigen sei man nicht dazu da, „Sozialverbandstätigkeiten“ zu übernehmen, sondern um Renditen zu erwirtschaften, sagt der Öl-Manager. So einfach ist das.