Über Nacht war aus Macht Ohnmacht, aus Bewegung Stillstand und aus Chance Enttäuschung geworden: Das Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen ist gerade mal drei Wochen alt. Statt sich auf die Abkehr von einem zerstörerischen Pfad wirtschaftlicher Entwicklung zu einigen, ließen Staatschefs Mitte Dezember den Gipfel platzen und manövrierten die Welt in ihre bislang größte Klimakrise.
Ohne einen globalen Pakt, so schien es, würde sich nichts ändern auf dem von der Erderwärmung bedrohten Planeten. Der über Jahre aufgebaute Handlungsdruck war binnen Stunden entwichen wie unsichtbare Treibhausgase in die Atmosphäre.
Die Empörung ist kaum abgeebbt, da lösen gigantische Ökoprojekte die Schlagzeilen der Untergangsszenarien ab. Als hätte es die klägliche Nacht des 19. Dezember nicht gegeben, planen neun europäische Staaten in der Nordsee ein gemeinsames Hightech-Stromnetz. Auf dem Grund des Meeres wollen sie über Tausende Kilometer die Infrastruktur für Europas Energiezukunft verlegen.
Ihr Ziel: den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Die Kosten: 30 Milliarden Euro. Am Freitag legte die britische Regierung nach. Mit Tausenden neuen Windrädern vor ihrer Küste will sie für geschätzte 100 Milliarden Euro zur Öko-Supermacht werden.
Nicht nur Umweltschützer reiben sich die Augen. Hatten Präsidenten, Premiers und Kanzler nicht eben noch von großer Verantwortung gesprochen, ohne sie zu schultern? War der Klimagipfel nicht gerade an jenem Geld gescheitert, das Europas Norden nun scheinbar mühelos für grüne Initiativen auf den Tisch legt?
Auf den ersten Blick wirken die Visionen in Zeiten der Krise wie das Windrad über dem Kopenhagener Konferenzzentrum, das sich noch unaufhaltsam weiterdrehte, als drinnen Großmächte die Ökowende längst abgeblasen hatten - als Symbol einer neuen Welt, die nicht mitbekommt, dass sich die alte schon gegen sie entschieden hat.
Doch tatsächlich läutet Seatec eine neue Ära der internationalen Energie- und Klimapolitik ein. Das Milliardenprojekt zeigt, dass die Welt längst jenen Punkt erreicht hat, der den eingeschlagenen Weg zu mehr Klimaschutz unumkehrbar macht.
Europa prescht trotz des gescheiterten Gipfels von Kopenhagen mit den Milliardenprojekten voran, weil die Ökowende zur ökonomischen Notwendigkeit geworden ist. Denn springt die Wirtschaft wieder an, werden die Preise für immer knappere fossile Ressourcen - Öl, Gas und Kohle - auf neue Rekordstände schnellen. Und trotz des Rückschlags von Kopenhagen wird die Welt in den nächsten Jahren nicht umhin kommen, doch noch verbindliche Klimaziele festzulegen.
Kohlendioxid wird über kurz oder lang zum alles entscheidenden Kostenfaktor. Wie in der Frühphase der industriellen Revolution verdichten sich deshalb grüne Trends zu Leitideen, Strategien zu Ordnungsmustern und nachhaltige Werte zu einem neuen Bewusstsein.
Die USA mögen international verbindliche Klimaziele ablehnen. Präsident Barack Obama aber treibt im eigenen Land den Ausbau grüner Technologien mit viel Elan voran. China mag mit seinem Veto ein Klimaabkommen verhindert haben. Doch wenn der Ölpreis wieder steigt, liegt Energiesparen auch im Interesse Pekings.
Und die Ölstaaten am Golf mögen Emissionsminderungen politisch hintertreiben. Sie selbst können sich grünen Zwängen nicht verschließen: Das öl- und gasreiche Emirat Katar kündigte in dieser Woche an, eine Milliarde Euro in sein erstes Solarkraftwerk zu stecken.
Projekte wie Sea- oder Desertec öffnen den Blick auf eine Zukunft, in der für die Stromerzeugung keine Kohlenstoffe verbrannt werden, die Wirtschaften ermöglicht, ohne die Umwelt zu schädigen, die nutzt, was die Natur im Übermaß bietet: Sonne, Wasser und Wind.
Neben dem Sonnenstrom aus der Sahara könnte auch die Energie aus der von Wind und Wellen bewegten Nordsee Europa unabhängig machen von Importen aus wenig verlässlichen Demokratien und Diktaturen. Der drohende Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland und der mögliche Engpass in Europa führt dem gesamten Kontinent vor Augen, wie lohnend die Investitionen in Windkraft sein können.
Meeres- wie Wüsteninitiative stehen aber auch für eine neue politische Vision: Das Ende der Kleinstaaterei in der Energiewirtschaft. Viel zu lange haben die Länder Europas alleine vor sich hin gewurstelt. Energiepolitik galt als Domäne der Nationalstaaten, die sich in die Versorgung nicht hineinreden ließen. Auch Konzerne hielten Grenzen dicht, obwohl ihre eigene Expansion nationale Rahmen längst sprengte. Zusammenarbeit über Grenzen kann Schwankungen verschiedener Ressourcen und Regionen ausgleichen. Mehr Wettbewerb der Stromanbieter und fallende Preise wären die Folge.
In Kopenhagen hat die Welt beim Klimaschutz ein jahrzehntelanges Kapitel über Nacht beendet: Das der internationalen Einstimmigkeit. Den Klimaschutz wirft das zurück. Er droht, seine globalen Strukturen zu verlieren. Die Krise wird Zeit kosten - und ganz gewiss viel Geld. Die neuen Initiativen in Europa aber machen klar: Die Energiewende ist nicht am Ende.
Wissen, Technik, Geld - die Welt hat alles, um der Erderwärmung zu begegnen. Vielerorts fehlt es an politischer Courage, sie durchzusetzen. Nicht nur Sachzwänge sind der Feind einer erfolgreichen Klimapolitik, sondern auch die schlichte Neigung, am altindustriellen Denken festzuhalten.