Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz in Europa:Der Westen drängt, der Osten bremst

  • Die EU müsse darauf abzielen, die Erderwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, fordern einige westliche EU-Staaten.
  • Die ehrgeizige Klimapolitik wird es schwer haben, denn Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei teilen die Pläne nicht.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Es gibt ein Europa jenseits des Brexits, auch beim Europäischen Rat an diesem Donnerstag und Freitag. Etwa die Frage einer europäischen Industrie- und Digitalpolitik, die Außenbeziehungen - oder die Klimapolitik. Die EU-Kommission hat dafür Ende 2018 den Entwurf einer "Langfriststrategie" erarbeitet, die Staats- und Regierungschefs sollen sich bei dem Treffen in Brüssel dazu äußern. Doch interne Dokumente aus dem Abstimmungsprozess belegen, wie weit die Europäer in Sachen Klimapolitik auseinander liegen. Der Graben verläuft ziemlich genau in der Mitte Europas - auch zwischen den Freunden Frankreich und Deutschland. In den Eingaben an den Rat, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, pochen vor allem die Staaten Westeuropas auf möglichst konkrete Schlussfolgerungen des Rates.

So solle die EU bis 2020 eine "ambitionierte" Langfriststrategie vorlegen, verlangen Spanien, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg nahezu wortgleich. Diese müsse darauf zielen, "Klimaneutralität bis 2050 gemäß dem 1,5-Grad-Celsius-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen", ohne die Wettbewerbsfähigkeit Europas aus dem Blick zu verlieren.

Damit würden sich die Europäer auf das ehrgeizige Ziel festlegen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Das Pariser Klimaabkommen hatte dafür noch eine Bandbreite zwischen 1,5 und zwei Grad gelassen. In einem Sonderbericht hatte der Weltklimarat IPCC im Herbst vorigen Jahres eindringlich gemahnt, die untere Grenze zu wählen, um schlimmere Schäden noch abzuwenden.

Eine ehrgeizige Klimapolitik wird es bei dem Treffen schwer haben

Deutschland ist da nicht so entschieden. Weder pocht der Bund auf eine klimaneutrale EU schon bis 2050, noch macht er das 1,5-Grad-Ziel zum Maßstab. Berlin belässt es bei einem zusätzlichen Hinweis darauf, dass sich alle Mitgliedstaaten mehr anstrengen müssten, ihre Klimaziele auch bei Verkehr, Gebäuden und Landwirtschaft zu erreichen; und dass die Kommission dies nachhalten solle. Das ist insofern interessant, als die SPD-Chefin Andrea Nahles erst vorige Woche das Jahr 2019 zum "Klimajahr" der großen Koalition ausgerufen hatte - und die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer nun in einem Zeit-Interview davon spricht, ihre Partei müsse beim Klimaschutz "offensiver" werden. "Wenn es der Koalition damit ernst ist, muss sie sich zu den fortschrittlichen EU-Ländern stellen", sagt Sebastian Mang von Greenpeace. "Nicht zu den Bremsern."

Eine ehrgeizige Klimapolitik wird es damit schwer haben bei dem Rats-Treffen. Dafür dürften auch die vier Visegrád-Länder Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei sorgen. Sie haben sich abgestimmt und in ihren Eingaben das Ziel der "Klimaneutralität", also einer treibhausgasneutralen Wirtschaft, mal eben herausgestrichen. Großen Wert legen sie dagegen darauf, dass jeder Mitgliedstaat seinen Energiemix selbst bestimmen kann. Gerade in Polen, wo klimaschädliche Kohle nach wie vor fast 80 Prozent der Stromversorgung ausmacht, ist das ein sensibles Thema.

So liegen Welten zwischen Polen und Spanien, das von der EU verlangt, die Klimapolitik zur strategischen "Schlüssel-Priorität" zu machen. Und mittendrin: Deutschland.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2019/lüü
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