Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Die Prozent-Frage

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Der EU-Umweltausschuss diskutiert an diesem Donnerstag über das Klimaziel für 2030. Im Gespräch sind mindestens 55 Prozent weniger Schadstoffe als im Jahr 1990. Doch manche Parteien können sich auch mehr vorstellen.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Das europäische Klimagesetz gilt als Herzstück des "Grünen Deals", den Ursula von der Leyen ins Zentrum ihrer Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission gestellt hat. Es soll sicherstellen, dass die EU das selbst gesteckte Ziel auch erreicht, bis 2050 klimaneutral zu werden - also nicht mehr Schadstoffe auszustoßen, als gleichzeitig anderswo wieder eingespart werden. Im März stellte sie einen Entwurf für das Gesetz vor. Ein Kernelement aber ließ sie damals offen: Um wie viel soll der Ausstoß bereits bis 2030 reduziert werden? Die Frage ist extrem umstritten. Denn 2050 ist fern, aber Ziele, die sich die EU für 2030 steckt, werden für Bürger und Unternehmen unmittelbare Konsequenzen haben.

Aus der Kommission ist zu hören, dass von der Leyen in der kommenden Woche vorschlagen will, die Emissionen im Vergleich zu den Werten von 1990 bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu reduzieren. Im Vergleich zum bisherigen Reduktionsziel von 40 Prozent wäre bereits das eine deutliche Steigerung. Entscheidend ist am Ende jedoch, worauf sich das Parlament und die Mitgliedstaaten im Gesetzgebungsverfahren einigen. An diesem Donnerstag nun wird der federführende Umweltausschuss im EU-Parlament seine Position zu dieser Frage festlegen, und es sieht ganz danach aus, als wären den Abgeordneten von der Leyens 55 Prozent noch zu wenig.

Den Verhandlern zufolge zeichnet sich im Umweltausschuss eine Mehrheit dafür ab, den Schadstoffausstoß sogar um 60 Prozent zu reduzieren. Darauf könnten sich Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Linke einigen - gegen die Stimmen der Christdemokraten, die bei zu hohen Reduktionszielen krasse Folgen für die Wirtschaft fürchten. Man müsse zwar "ambitioniert marschieren", dürfe dabei aber nicht die heimische Industrie gefährden, sagt etwa Angelika Niebler (CSU), Co-Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Außerdem müsse man auch berücksichtigen, dass die Wirtschaft durch die Corona-Krise bereits stark gebeutelt werde. Die Unionsabgeordneten halten darum 50 Prozent für realistischer, vielleicht auch 55 Prozent.

Grüne und Linke dagegen kämpfen im Umweltausschuss sogar für 65 Prozent, aber der grüne Abgeordnete Michael Bloss sagt auch: "Schon 60 Prozent wären eine enorme Verbesserung im Vergleich zum bisherigen Ziel. Das zeigt, wie sehr sich die Debatte durch die Klimastreiks und die unübersehbaren Auswirkungen der Erderwärmung verschoben hat."

Allerdings muss nach der Abstimmung im Ausschuss auch noch das Parlamentsplenum als Ganzes seine Position festlegen, voraussichtlich im Oktober - und das besteht nicht nur aus Umweltpolitikern. Als etwa der Industrieausschuss in dieser Woche ebenfalls über das Klimaziel abstimmen ließ, gab es nur eine einzige Stimme Mehrheit für eine Zielmarke von 55 Prozent - alle anderen wollten über 50 Prozent nicht hinausgehen. "Mehr als 55 Prozent ist unrealistisch", sagt etwa Markus Pieper (CDU). Die Kommission habe ihren Entwurf für das Klimagesetz geschrieben, bevor Corona die Wirtschaft in Schwierigkeiten gebracht habe. Jetzt gelte es gründlich zu analysieren, wie viel Klimaschutzmaßnahmen europäische Unternehmen angesichts der veränderten Lage überhaupt schultern können.

So eine Analyse hatten die Christdemokraten seit Beginn der Diskussion über das Klimagesetz gefordert, also auch schon vor Corona, aber seitdem umso lauter. Die Kommission will das Ergebnis nun offenbar ebenfalls in der kommenden Woche präsentieren - es wäre allerdings merkwürdig, wenn darin weniger als die 55 Prozent als machbar identifiziert würden, die von der Leyen offenbar vorschlagen will.

Ursprünglich hatten die Christdemokraten im Parlament darauf gedrungen, ohne diese Folgenabschätzung überhaupt nicht über das Klimagesetz abstimmen zu wollen - konnten sich aber mit diesem Wunsch bei den anderen Fraktionen nicht durchsetzen. Umso wichtiger sei es, sich genau anzusehen, wie gründlich die Kommission bei ihrer Untersuchung vorgegangen sei, sagt Markus Pieper.

Auch der Rat der Mitgliedstaaten will bis Oktober eine Linie für die Verhandlungen mit dem Parlament festlegen. Die Bundesregierung, die dort derzeit den Vorsitz hat, ließ dazu vor einigen Tagen einen Kompromissvorschlag verteilen - auf der Grundlage von "50 bis 55 Prozent". Der Vorsitzende des Umweltausschusses, der liberale Franzose Pascal Canfin, macht keinen Hehl daraus, dass die sehr ehrgeizigen Ziele des Ausschusses darum kein Selbstzweck sind: "Es geht uns auch darum, genug Druck auszuüben, damit sich die Regierungschefs zumindest auf 55 Prozent einlassen."

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SZ vom 10.09.2020
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