Süddeutsche Zeitung

Reaktionen auf Klimapaket:Windbranche: Regierung hat es "vermurkst"

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Nach den Klimaschutz-Beschlüssen der Regierung sieht der Bundesverband Windenergie die gesamte Branche in Gefahr. Die Regierung habe es "vermurkst", sagte Verbandspräsident Hermann Albers. Dass auf Wunsch von Teilen der Union pauschale Regelungen für den Abstand von Windkraftanlagen und Wohnhäusern Teil des Kompromisses seien, sei "unverständlich und grob fahrlässig", sagte er. "Damit wird die Regional- und Landesplanung ins Chaos gestürzt, was die gesamte Branche gefährdet." Die Klima-Beschlüsse vom Freitag enthalten die Regel, dass bis zu einem Mindestabstand von 1000 Metern von Wohnsiedlungen künftig keine neuen Windkraftanlagen errichtet oder ältere Windräder durch neue, meist größere ersetzt werden dürfen. In einigen Gemeinden gibt es massiven Widerstand der Anwohner gegen neue Anlagen.

Akzeptanz als "Scheinargument" vorzuschieben sei verantwortungslos gegenüber Wirtschaft und ländlichem Raum, sagte Albers. "Pauschale Abstände schränken die Handlungsmöglichkeiten vor Ort massiv ein und sorgen für mehr Frustration, statt mehr Akzeptanz zu erreichen." Die Union gefährde so die Branche, beschneide einen Wertschöpfungspool für ländliche Regionen und provoziere eine "Ökostromlücke, die die Versorgungssicherheit der deutschen Industrie in Frage stellt". Albers kritisierte, dass keine Erhöhung der Ausschreibungsmenge für Wind an Land vorgesehen sei. Er hofft auf den Bundesrat: Die Länder wüssten um Herausforderungen vor Ort und die Nachfrage nach CO₂-freier Energie. "Wir setzen auf den Sachverstand und die Kompetenz der Landesregierungen."

Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, in der auch Kohlearbeiter organisiert sind, sieht nach den Klima-Beschlüssen der schwarz-roten Koalition noch Klärungsbedarf und vermisst ein Konzept für den Ökostrom-Ausbau. "Das ist zwar ein Schritt zu mehr Klimaschutz - wie groß er am Ende ausfällt, wie teuer er wird und welche reale Wirkung er entfalten wird, lässt sich aber noch nicht abschätzen", sagte IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis. Die Bundesregierung habe in den kommenden Monaten die Chance, für mehr Klarheit zu sorgen.

Für einen verstärkten Ausbau der erneuerbaren Energien fehlten weiter schlüssige Konzepte, kritisierte Vassiliadis. "Wir brauchen dringend einen branchenübergreifenden Energie-Pakt, mit dem wir die Ausbau-Hürden aus dem Weg räumen", sagte er mit Blick auf die Probleme vor allem beim Ausbau von Stromleitungen und Windkraftanlagen. Dass der größte Einzelposten im Klimaschutzprogramm 2030 der Ausstieg aus der Kohleverstromung sei, belege die Bedeutung des Kompromisses, den die Kohlekommission ausgehandelt habe. Die Maßnahmen für den Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien am Strom auf 65 Prozent bis 2030 seien "genau das Pillepalle, das die Bundeskanzlerin eigentlich vermeiden wollte".

Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hält das Klimapaket für unzureichend. "Von dem Einstiegspreis von zehn Euro sind keine Verhaltensänderungen zu erwarten, hier stand offenbar der Verzicht auf harte Belastungen im Vordergrund", sagte IW-Geschäftsführer Hubertus Bardt dem Handelsblatt. Der Ansatz, die Einführung des CO₂-Preises für den Gebäude- und den Verkehrssektor mit Förderprogrammen zu verbinden, sei dagegen "sinnvoll, weil er die notwendigen Investitionen in den nächsten Jahren voranbringen kann". Insgesamt sei das Sammelsurium an Preissignalen aber ohne effiziente klimapolitische Steuerung.

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, hält den CO₂-Einstiegspreis ebenfalls für deutlich zu niedrig. "Aber das Gesamtpaket weist mit Zertifikatehandel und Preiskorridor in die richtige Richtung", twitterte Fuest. Gegenüber der verfehlten Klimapolitik der vergangenen 20 Jahre sei das ein großer Fortschritt.

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dpa
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