Klimakonferenz:Die Spuren des Großgeräts

Juechen DEU 26 04 2017 Der von der RWE Power AG betriebene Braunkohletagebau Garzweiler erstreckt

Vergangenheit und Zukunft: Der RWE-Braunkohletagebau zwischen Bedburg, Grevenbroich und Mönchengladbach befindet sich in Sichtweite der modernen Windparks des Reviers.

(Foto: Bernd Lauter)

NRW will sich als Zukunfts­region präsentieren. Doch dort stehen die größten Dreckschleudern Europas.

Von Michael Bauchmüller, Bedburg/Garzweiler

Der Bus holpert über eine matschige Straße, es geht tiefer und immer tiefer. Rechts öffnet sich ein riesige Loch, links hebt sich ein 40 Meter hoher Hang mit seltsamen Kerben. "Sie können hier sehr schön die Spuren des Großgeräts sehen", sagt die Reiseführerin. "Wenn wir Glück haben, läuft es gerade." Und ja: Das Großgerät läuft. Schaufel für Schaufel gräbt sich Stahlmonstrum Nummer 288 weiter in den Hang. "Es wiegt 13 500 Tonnen", berichtet die Führerin stolz. Ihre Gruppe, lauter Besucher der Klimakonferenz, staunt nicht schlecht. Viele von ihnen sind mitgefahren, weil sie die Energiewende vor Ort begutachten wollen. Jetzt kurven sie durch Deutschlands heikelstes Klimaproblem. Willkommen in Nordrhein-Westfalen, dem Land der Widersprüche.

Das Land hatte sich parallel zur Klimakonferenz ein Besuchsprogramm für die Gäste in Bonn ausgedacht, 18 Touren zu vorbildlichen Projekten, zu effizienten Häusern, einem effizienten Fußballstadion (Dortmund), zu effizienten Fabriken für Elektroautos. Der Abstecher in den Tagebau, geführt von einer Mitarbeiterin des RWE-Konzerns, ist dabei eher ein kleiner Betriebsunfall: eigentlich soll die Tour zu Windparks führen. Vorbildliche Windparks gleich am Rand des Tagebaus. Was man halt so zeigt bei einer Klimakonferenz.

Einen dieser Windparks hat Sascha Solbach mit gebaut, der Bürgermeister des kleinen Städtchens Bedburg. Der Ort liegt am Rande des Tagebaus, der Horizont reicht hier nur bis zu den Dampfschwaden der Braunkohlekraftwerke. Aber die Gemeinde ist eben auch Teilhaberin eines Windparks, und vor einiger Zeit war der SPD-Politiker Solbach auf einem der 140 Meter hohen Türme. Er schwärmt heute noch davon. "Wenn man da oben steht, auf seine Gemeinde herunterschaut",sagt er, "dann sieht man die alte Welt die neue Welt, den ganzen Wandel. Ganz schön beeindruckend."

Unten am Boden ist der Wandel nicht so erhebend. Da sind etwa die 1200 Familien, die immer noch von der Braunkohle leben in Bedburg. "Wir haben Angst, dass das Ende der Kohle zu schnell kommt", sagt Solbach. "Für mich als Bürgermeister ist das nicht einfach." Wie ganz Nordrhein-Westfalen sitzt auch er zwischen allen Stühlen, irgendwo zwischen Aufbruch und Bewahrung. Als er im Sommer Braunkohle-Gegner für ein "Klimacamp" nach Bedburg ließ, wurde er von Mitarbeitern des Kohlekonzerns RWE angefeindet. Am Ende blieb alles friedlich. "Die Leute dachten, die zünden ihnen hier die Autos an", sagt Solbach. "Aber das einzige, was kaputt ging, waren ein paar Möhren auf den Feldern."

Das Bundesland möchte innovativ sein, hängt aber doch an der Braunkohle

So ist die Stimmung am Rande des Tagebaus - in einem Land, das innovativ sein möchte, aber doch an der Braunkohle hängt, seit mehr als drei Generationen. 4900 Menschen arbeiten in den Tagebauen im Rheinland, auf einer Fläche von 50 mal 50 Kilometern haben sie mit ihren Stahlkolossen riesige Löcher geschaffen und sie mit Abraum oder Wasser gefüllt. Wäre die Braunkohle nicht Gift für das Weltklima, könnte das lange so weitergehen, für 500 Jahre würde sie im Rheinland reichen, optimistisch geschätzt. Doch in Berlin verhandeln die Sondierer darüber, wie schnell sie mit dem Kohlestrom Schluss machen wollen, des Klimas wegen. Die Spuren der Großgeräte sind zu tief.

Die 21 000-Einwohner-Gemeinde Bedburg aber verdient mittlerweile mehr an dem Windpark als an der Braunkohle. RWE hat seit sieben Jahren keine Steuern mehr in Bedburg gezahlt, stattdessen fordert der Konzern welche zurück. In den vergangenen Jahren, sagt Solbach, habe der Konzern stets seine Verluste im Ausland gegen die Gewinne im Inland verrechnet. Die Kommune, die eine ganze Reihe Dörfer an den Tagebau verloren hat, ging leer aus. "Der Deal mit dem Tagebau", sagt Solbach den Exkursionsgästen von der Klimakonferenz, "zahlt sich für uns nicht richtig aus". Der Windpark dagegen wirft im Jahr 1,5 Millionen Euro ab. Schon überlegt die Kommune, zu den 21 Windrädern am Tagebaurand weitere 15 zu stellen. Neben einer Bahnstrecke soll ein kleiner Solarpark entstehen. "Wir sind hier bereit zum Wandel", sagt Solbach. Nur zu schnell darf er nicht gehen.

Das sieht Frank Albers vielleicht ein bisschen anders. Da, wo früher einmal die Großgeräte wühlten, auf einer rekultivierten Tagebaufläche, da testet Albers Windräder. Seit 20 Jahren schon. "Ich bin durch und durch für Erneuerbare", sagt er euphorisch. Viele hier klebten an der Kohle. "Aber ich wüsste nicht, warum wir die Kohle dauerhaft brauchen sollten." 16 Windräder stehen hier - und in Sichtweite die beiden größten Kraftwerke Deutschlands. In der Ferne Niederaußem; einen Steinwurf entfernt das modernere Neurath; im Hintergrund Frimmersdorf, das im Oktober vom Netz ging. Die Windräder, die hier auf dem Abraum der Braunkohle entstehen, werden auf ihre Standfestigkeit und Verlässlichkeit geprüft, mit vielen verschiedenen Tests. Es ist ein Labor der Zukunft am Rande des Tagebaus, Nordrhein-Westfalen ist schließlich auch für die Windindustrie wichtig. Angeblich findet sich weltweit kein einziges Windrad ohne Bauteile von hier.

Energie produzieren sie beide. Das Großgerät dreht sich, die Windräder auch. Der Wind ist gut heute. Wie gut, das misst Albers mit Laserstrahlen: Ein kleiner Kasten schickt sie in die Höhe, und wenn sie von Partikeln in der Luft wieder zu dem Kasten reflektiert werden, dann lässt sich daraus die Windgeschwindigkeit in verschiedenen Höhen berechnen. Funktioniert perfekt in dieser Gegend. "In der Hinsicht sind wir hier wirklich verwöhnt", sagt Albers. "Hier sind so viele Partikel in der Luft, da ist die Messung ganz einfach." Und wieder sind es: die Spuren des Großgeräts.

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