Süddeutsche Zeitung

Klima:Zielmarke 2050

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In gut 30 Jahren sollte Europa komplett auf Treibhausgase verzichten, fordert die EU-Kommission. Doch dazu müsste auf der Klimakonferenz nächste Woche mehr passieren.

Von Michael Bauchmüller, Thomas Kirchner, Berlin/Brüssel

An Selbstbewusstsein mangelt es Gerd Müller nicht. Der CSU-Politiker ist Entwicklungsminister in Berlin, soeben hat er veranlasst, dass sein Ministerium "klimaneutral" wird. 2020 soll es so weit sein. Was er zu den Plänen aus Brüssel sagt? "Das ist ehrgeizig, aber es darf nicht bei Worten bleiben." Als Erstes sollte die EU-Kommission das Berlaymont-Gebäude klimaneutral betreiben. Das ist der Betonklotz mitten in Brüssel, in dem die Kommission sitzt.

Dort stellte die Behörde am Mittwoch einen Plan vor, wie die EU klimaneutral werden kann. Dazu müsste sie bis 2050 vollständig auf fossile Energie verzichten, deren Verbrennung Hauptursache des Temperaturanstiegs auf der Erde ist. Die zentrale Botschaft: Es ist machbar, und es lohnt sich sogar. "Wir müssen die langfristigen Temperaturziele des Klimaübereinkommens von Paris verwirklichen", sagte Klimakommissar Miguel Arias Cañete, "und mit den Technologien, die heute verfügbar oder beinahe einsatzreif sind, ist dies möglich." Die EU werde der erste große Wirtschaftsraum sein, der sich dieses Ziel setzt, und als Pionier besonders profitieren. Bis 2050 sei ein zusätzliches Wachstum von zwei Prozent zu erwarten; der Verzicht auf Energieimporte spare zwischen 2031 und 2050 zwei bis drei Billionen Euro ein.

Die Strategie der Kommission enthält keine neuen Gesetzesvorschläge, sie soll vielmehr eine Orientierung liefern, Investoren Planungssicherheit geben und nicht zuletzt die Bürger einbinden. Ausgangspunkt sind die bisherigen Klimaziele: Sie sehen bis 2020 eine Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgas um 20 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Das wird die EU schaffen. Bis 2030 sollen es offiziell minus 40 Prozent sein, dank jüngster Vereinbarungen könnten es 45 Prozent werden. In dem Papier werden nun Szenarien vorgestellt, wie sich der Ausstoß bis 2050 um 80 bis 100 Prozent senken ließe. Sie betreffen technische Lösungen für Energieerzeugung, Industrie, Mobilität, Landwirtschaft und Gebäude. Mehr Kreislaufwirtschaft soll das Klima schonen, überschüssiges Kohlendioxid notfalls unterirdisch gespeichert werden. Insgesamt zeigt das Papier, wie sehr sich Wirtschaft und Gesellschaft in der EU auf dem Weg zur Klimaneutralität verändern sollten - ohne allerdings zu konkret zu werden.

80 Prozent des Stroms müssten bis 2050 aus erneuerbaren Energien kommen, der Rest aus Atomenergie, sagte Cañete. Insgesamt müsse sich der Energieverbrauch durch mehr Effizienz halbieren, der Boden müsse nachhaltiger genutzt und mehr Biomasse verwendet werden, so Cañete. Der Verkehr, verantwortlich für ein Viertel der Emissionen, solle mehr beitragen, etwa durch Elektrifizierung und alternative Brennstoffe.

Die Kommission zählt viele Herausforderungen auf. Die EU müsse den Rest der Welt dazu bringen, mitzuziehen. Der Wandel müsse sozial verträglich sein. Gerade ärmere Regionen in Osteuropa würden Jobs verlieren, hier werde die EU beim Wandel helfen. Doch überwögen die positiven Aspekte bei Weitem. Klimaneutralität sei "der richtige Weg". Jeder Bürger könne beitragen, indem er sein Haus saniere oder Fahrrad statt Auto fahre.

Der Plan erscheint nicht zufällig kurz vor der nächsten UN-Klimakonferenz, die nächste Woche im polnischen Kattowitz beginnt; die EU will ihren guten Willen demonstrieren. Für substanzielle Zugeständnisse ist sie derzeit zu zerstritten. Umweltschützer fordern, das Klimaziel für 2030 müsse angehoben werden, um dem Pariser Abkommen gerecht zu werden. Doch entsprechende Überlegungen sind gescheitert - auch Deutschland wollte nichts davon wissen. Die Grünen sprechen von einer "verpassten Chance". Die Kommission drücke sich wegen des Widerstands aus vielen Staaten vor der nötigen Debatte über zusätzliche Anstrengungen, sagte der EU-Abgeordnete Bas Eickhout.

Dabei verfolgt die Bundesregierung einen ähnlichen Langfristplan: eine "weitgehende Treibhausgasneutralität bis Mitte des Jahrhunderts". Die EU-Strategie, sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), passe gut dazu. "Das zeigt: Wir gehen in Deutschland keinen Sonderweg." Aus dem deutschen Plan soll nächstes Jahr ein Klimaschutzgesetz werden. Doch einstweilen passiert wenig. Über den Ausstieg aus der Kohle verhandelt eine Kommission, die nicht zu Potte kommt. Die geplante steuerliche Förderung der Gebäudesanierung hängt im Finanzministerium fest. Die Emissionen im Verkehr sind nach jüngsten Zahlen nicht gesunken, sondern wieder gestiegen. Ziele und Realität liegen weit auseinander. "Wir sind leider in einem Stadium, wo wir sagen müssen: Es dauert alles noch etwas", sagt Anja Weisgerber, in der Union zuständig für den Klimaschutz.

Diesen Donnerstag wollen Union und SPD dazu auch einen Antrag in den Bundestag einbringen, passend zur Klimakonferenz. Die Bundesregierung, heißt es, müsse "den Weg zur Treibhausgasreduktion konsequent" weitergehen. So schnell wie möglich solle Deutschland sein Klimaziel für 2020 erreichen. Nach Lage der Dinge wird das erst weit nach 2020 möglich sein; derzeit ist das Ziel meilenweit entfernt.

Da hat es Gerd Müller leichter, am Mittwoch kann er ganz konkrete Zahlen verkünden. Für den "grünen Klimafonds" will Deutschland in den nächsten vier Jahren 1,5 Milliarden Euro bereitstellen, doppelt so viel wie bisher. "Das ist das Signal nach Kattowitz, an die Staatengemeinschaft, diesem Beispiel zu folgen."

Für die Klimakonferenz ist das tatsächlich ein wichtiges Signal, denn dem globalen Fonds gehen die Mittel aus. Mit staatlichen Mitteln soll er private Investitionen anstoßen, letztlich im Umfang von 100 Milliarden Dollar im Jahr. Das Geld soll in klimafreundliche Technologien in Entwicklungs- und Schwellenländern fließen. Die Zeit dafür drängt: In einigen Entwicklungsländern werden neue Kohlekraftwerke geplant - die in Deutschland und Europa gerade mühevoll stillgelegt werden.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2018
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