Klebstoffe, das sind Pritt, Uhu oder Pattex, schmieriges Zeug, um zwei Dinge aneinander zu pappen. Damit endet die Kenntnis der meisten Menschen. Dabei würde ohne das Material weit mehr als Bastelstunden mit den Kindern fehlen. Schuhe oder Verpackungen sähen anders aus. Vor allem wären Technik und Industrie ohne diese Stoffe nicht so weit entwickelt. Smartphones, intelligente Kleidung und moderne Autos - überall stecken Klebstoffe drin. Tausende Spezialprodukte gibt es bereits. Der Markt wächst rasant, Hersteller sollen immer schneller Innovationen liefern. Grund genug, sich näher anzusehen, wie Klebstoffe unbemerkt den Alltag prägen und künftige Fortschritte ermöglichen.
Damit das Handy nicht überhitzt
Das Smartphone ist zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Hersteller erlangen weltweite Berühmtheit - die Zulieferer eher nicht. Dabei können etwa 20 verschiedene Klebstoffanwendungen in einem üblichen Modell stecken. Es geht um mehr, als die Bauteile miteinander zu verbinden. "Spezielle Klebstoffe ermöglichen Funktionen wie Fingerabdruck-Erkennung und Touch-Displays", sagt Michael Todd. Er ist Innovationsleiter der Klebstoffsparte von Henkel. Im vergangenen Jahr hat der ansonsten vor allem für Waschmittel und Kosmetika bekannte Konzern bereits mehr als eine Milliarde Euro mit Klebstoff-Anwendungen für Elektronik umgesetzt.
Diese bieten etwa optische Vorteile, weiß Todd. Ein Display besteht aus mehreren Schichten. "Mit speziell entwickelten transparenten Klebstoffen zwischen den Schichten wird das Bild deutlich schärfer", sagt Todd.
Im Inneren des Handys arbeiten immer leistungsfähigere Mikrochips. Dabei entwickelt sich Hitze. "Eigens angepasster Klebstoff kann die Wärme vom Chip nach außen leiten", sagt Holger Fricke. Der Wissenschaftler forscht beim Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung in Bremen. Längst geht es darum, Klebstoffe mit neuen Fähigkeiten auszustatten. Sie können etwa als elektrische Leiter oder zur Isolation verwendet werden, so Fricke. Diese Eigenschaften können vom Smartphone auf weitaus größere Geräte übertragen werden. So tragen Klebstoffe zur Kühlung von Rechenzentren oder der Leistungssteigerung von Elektroautos bei.
Für ein leistungsstarkes E-Auto
Schon jetzt ist es üblich, dass Fahrzeuge in entscheidenden Bereichen geklebt werden. Um das Gewicht der Karosserie zu reduzieren, kommen immer mehr Leichtbaumaterialien zum Einsatz. Stahl wird seltener benötigt. Schweißen ist daher teils gar nicht mehr möglich. Bei Aluminium und Stahl gehe das beispielsweise nicht, sagt Michael Todd.
Ein Glück für die Fahrer. "Klebstoff kann bei einem Unfall Leben retten", sagt Fricke. Bei einem Crash wirken enorme Kräfte auf den Pkw. "Der Klebstoff kann viel Energie absorbieren", so Fricke. Im Gegensatz zur rein geschweißten Konstruktion wird der Fahrer durch den Einsatz hochfester und gleichzeitig flexibilisierter Klebstoffe deutlich besser vor den Kräften des Aufpralls geschützt.
Todd geht davon aus, dass noch mehr Spezialklebungen hinzukommen: "Das Auto wird ein Smartphone auf Rädern." Auf dem Weg zum autonomen Fahrzeug werden zusätzliche Computer verbaut - sie basieren auch auf der Handy-Technik.
Neue Klebstoffe braucht es vor allem für Elektroautos. Deutsche Autokonzerne werden derzeit häufig dafür kritisiert, die Innovation zu langsam anzugehen. Um leistungsfähigere Batterien herstellen zu können, sind auch die Klebstoffproduzenten gefragt. Es geht unter anderem um die Ladezeiten. Wenn eine Batterie innerhalb von 15 Minuten aufgeladen werden solle, entstehe extreme Hitze, sagt Todd. Klebstofftechnologien, die diese Hitze aus der Batterie transportieren können, sind notwendig. Und diese Eigenschaft ist nur eine Anforderung. "Wer als Erster so ein Produkt anbietet, wird auf dem Markt enorme Vorteile haben", sagt Todd.
Klar, dass sein Unternehmen Henkel diese Position gerne hätte. Ein Innovationszentrum soll helfen, das nun für mehr als 130 Millionen Euro in Düsseldorf gebaut wird. Die Forscher sollen dort unter anderem Anwendungen aus verschiedenen Branchen zusammenbringen. Was im Handy funktioniert, kann auch das Auto oder smarte Kleidung weiterbringen. Das Geschäft lohnt sich. Mit Klebstoffen erwirtschaftete Henkel knapp die Hälfte seines Umsatzes im Jahr 2017.
Sogar die Windel wird schlau
Von einer intelligenten Jacke oder einem smarten Schuh dürfte der eine oder andere schon mal gehört haben. Die mit Technik ausgestattete Kleidung misst zum Beispiel Trainingsdaten oder kontrolliert den Blutdruck. Isolierung der Elektronik? Verbindung mehrerer Materialien? Klebstoff hilft. Sogar Windeln könnten auf diese Weise smart gemacht werden, sagt Todd. Bereits jetzt hält in der Regel Klebstoff die bis zu zehn einzelnen Schichten zusammen. Elastisch und gleichzeitig dicht soll die Windel sein. Nun könnte weitere Technik hinzukommen. "Eine smarte Windel könnte direkt Informationen versenden", sagt Todd. Zum Beispiel, wenn es notwendig ist, sie zu wechseln. Vielleicht weniger für Eltern, als für die Pfleger in Altenheimen und Krankenhäusern könnte das eine Hilfe sein. Damit das aber funktioniert, sind intelligente Klebungen nötig.
Sparen beim Wohnungsbau
Auch im Wohnungsbau können Klebeverfahren hilfreich sein und für mehr Effizienz, Schnelligkeit oder gar für größeren Variantenreichtum sorgen, werben die Fachleute. "Ganze Fassaden und tragende Elemente könnten in Zukunft geklebt werden", sagt Fraunhofer-Experte Fricke. Sogar im Stahlbau, bisher eine Domäne der Schweißer, können Klebeverbindungen mittlerweile tonnenschwere Lasten tragen. Vor allem die Möglichkeit zu sparen, soll Bauherren von der Alternative überzeugen. Mit den richtigen Mitteln sei es möglich, Klebungen recht einfach zu produzieren, sagt Fricke. Damit wird das Kleben günstiger als alternative Verfahren.
Für Architekten sind die Innovationen der Klebtechnik ebenfalls spannend. Ihre Entwürfe werden variantenreicher. "Die Kombination von Holz und Glas oder Stahl und Glas ist mit dem Schweißen zum Beispiel nicht möglich", sagt Fricke. Er ist überzeugt: Sein Fachbereich wird auch die Bauindustrie verändern.