Klarna:Eine App, die Angst macht

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Werbung für Klarna an einem Geschäft in London. Das Fintech wurde von Investoren mit fast 50 Milliarden Euro bewertet.

(Foto: Robert Evans/Alamy/mauritius images)

Das schwedische Fintech Klarna hat eine App, die dem Käufer alles bietet: das Shopping, das Girokonto und die Bezahlmethode. Sie könnte dem Einzelhandel gefährlich werden.

Von Michael Kläsgen und Nils Wischmeyer, Köln

Bei Sebastian Siemiatkowski ist Bescheidenheit fehl am Platz. Worte wie "Revolution" gehören zum ganz normalen Sprachgebrauch des Gründers, der mit Klarna eines der erfolgreichsten Fintechs in ganz Europa hochgezogen hat. Mit fast 50 Milliarden Euro haben die Investoren das Start-up bewertet, das als Bezahldienst groß wurde. Heute ist es vor allem jungen Menschen wegen seiner Shopping-App ein Begriff. Siemiatkowski nennt sie die "Super-Shopping-App". Drunter macht er es nicht.

Die Klarna-App könnte tatsächlich weitreichende Konsequenzen haben: für das Start-up, für Verbraucherinnen und Verbraucher, den Einzelhandel und andere Bezahldienstleister wie beispielsweise Paypal. Sie stehen plötzlich unter Druck - denn Klarna eifert den großen chinesischen Firmen nach und bietet den Verbrauchern eine App, die sie nie wieder verlassen müssen, weil sie dort im Idealfall alles finden, was sie brauchen.

"Vor allem große Händler schauen skeptisch auf das Modell, da sie Klarna als weiteren 'Gatekeeper' zum Kunden und hohe Kosten fürchten", sagt Jens von Wedel, Partner und Handelsexperte der Beratungsfirma Oliver Wyman. Gatekeeper, das sind in diesem Fall digitale Türsteher, die darüber entscheiden, welcher Händler in die heiligen Hallen der App darf - und wer nicht. Klarna weiß und kontrolliert als Türsteher, wer mit wem in Kontakt kommt. Händler riskieren dagegen, den Kundenkontakt zu verlieren. Und sie können sich, einmal in der App, schlechter von der Konkurrenz abgrenzen als in der Einkaufszone in der Stadt. Für kleinere Händler wiederum hätte die Super-App den Reiz, viel mehr Menschen erreichen zu können als sonst.

Die Sorgen überwiegen aber eindeutig. Der Handelsverband Deutschland (HDE) warnt vor Intransparenz und verzerrten Wettbewerbsbedingungen. Er fordert den Gesetzgeber daher zum Einschreiten auf, falls ein Gatekeeper unfair werden sollte. "Die Händler dürfen mit ihrem geschäftlichen Handeln nicht für die Interessen der Dienstleister ausgenutzt werden", sagt Stephan Tromp, stellvertretender HDE-Hauptgeschäftsführer der Süddeutschen Zeitung und ergänzt: "Eine Monopolisierung des Zugangs zum digitalen Handeln darf nicht zugelassen werden. Die Gatekeeper-Funktion der Plattformen muss entsprechend auch legislativ reguliert werden."

Chinesische Apps wie Wechat sind das Vorbild. Einmal drin, kommt man schlecht wieder raus

Nur: Ist das wirklich im Interesse der Verbraucher? Viele Menschen haben heute für fast alles eine App: für Finanzen, für Aktien, für den Fahrdienst, für Fotos, fürs Chatten, für digitale Rabattmarken etc. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Anzahl der Apps auf dem Smartphone kontinuierlich gestiegen ist und viele Nutzer für jede Applikation wiederum ein eigenes Konto mit eigenen Zugangsdaten haben. Dazu kommen die unzähligen Accounts, die man sich im Internet anlegen muss, wenn man versucht, etwas abseits der Plattformen wie Amazon zu kaufen, auf denen viele ohnehin schon einen Account haben. Jedes Mal braucht die Webseite die Zugangsdaten für Paypal, die Nummer der Kreditkarte oder die Zugangsdaten fürs Online-Shopping. Allein die Downloadzahl für Einzelhandel-Apps stieg in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 30 Prozent an.

Was die neue "Super-App" in diesem Wirrwarr so ungewöhnlich für deutsche oder europäische Verhältnisse macht, ist ihr Ansatz: Sie will alles an einer Stelle bündeln - das Shopping, das Girokonto, die Bezahlmethode. Nutzer bleiben in der App, egal ob sie das T-Shirt bei H&M oder die Hose bei Zara kaufen wollen. Damit orientiert sich die Firma von Sebastian Siemiatkowski stark an chinesischen Apps wie Wechat, die sowohl das Bezahlen, den E-Commerce als auch soziale Netzwerke verbinden. Das macht der chinesische Konzern natürlich nicht, weil er die Welt verbessern will, sondern weil das die Kunden bindet und weil am Türsteher niemand vorbeikommt. Und: Einmal in der App gefangen, ist es schwierig, diese zu wechseln. Die perfekte Kontrolle.

Was in China klappt, könnte daher auch im Rest der Welt einen Versuch wert sein. Von der ganz großen Super-App geträumt haben tatsächlich schon einige. Paypal-Chef Dan Schulman kündigte kürzlich an, die App zur Super-App auszubauen. Künftig sollen Nutzer sowohl Geld anlegen als auch einkaufen können. Das solle bis 2025 die Nutzerzahlen von Paypal von derzeit etwa 400 Millionen aktiven Accounts verdoppeln.

Während die Umsetzung bei Paypal jedoch auf sich warten lässt, hat Klarna geliefert und bietet nun Shopping, Girokonto, Preisvergleiche und Sendungsverfolgungen in einem an. Besonders ein Feature dürfte Konkurrenten, aber auch dem Einzelhandel Kopfzerbrechen bereiten: Über den App-eigenen Browser können die Leute nun in jedem Online-Shop der Welt einkaufen, ohne Klarna zu verlassen. Auch die anschließende Bezahlung läuft über die App, die dem Kunden für Käufe außerhalb des eigenen Partnernetzwerks eine einmalige Kreditkarte zur Verfügung stellt. Für den Kunden mag das bequem sein, weil er seine Accountdaten nicht mehr so häufig eingeben muss.

"Die Händler verlieren so die Datenhoheit und den Kundenzugang"

Für den Einzelhandel aber ist das fatal. Denn Klarna drängt sich so zwischen Händler und Kunde. Niemand braucht mehr einen Account bei einem Modehändler, wenn er sowieso über die Klarna-App shoppt. "Die Händler verlieren so die Datenhoheit und den Kundenzugang. Statt das nächste Mal im Shop einzukaufen, wird der Shopper wieder über Klarna kommen. Da entsteht eine enorme Abhängigkeit", sagt der E-Commerce-Experte Philipp Klöckner. Diese Abhängigkeit ist nicht nur gefährlich für den Einzelhandel, sondern auch noch teuer. Denn seine exponierte Position lässt sich Klarna fürstlich entlohnen. Wo reine Zahlungsdienstleister fürs Abwickeln eines Kaufs nur wenige Prozentpunkte Marge bekommen, dürfte Klarna mit allem Drum und Dran vier bis sieben Prozent an jedem Kauf verdienen.

Besonders verführerisch sei bei Klarna die Möglichkeit zum Rechnungs- oder Ratenkauf, sagt Wyman-Partner von Wedel. Die Verbraucher lieben den Komfort, das belegen Studien. "In vielen Ländern ist die App bei den Download-Zahlen mittlerweile unter den Top Ten der Einkaufs-Apps", sagt Wedel. "Chinesische Verhältnisse mit der Dominanz weniger Super-Apps erwarten wir allerdings nicht." Und auch eine digitale Überwachung wie in der Volksrepublik sei hierzulande nicht möglich.

Das sieht auch der Handelsverband Deutschland so, davor schütze der europäische Datenschutz, auch mit seiner viel gescholtenen DSGVO. Interessanterweise hält der sonst so liberale Handelsverband aber auch von einer "völligen Freiheit" für die App-Ökonomie nichts. "Eine völlige Freiheit der digitalen Wirtschaft lehnen wir ab", sagt Tromp, "da die völlige Freiheit zum Verlust derselbigen führt, wie die Entwicklung zu Oligopolen durch die großen dominanten nordamerikanischen und chinesischen Plattformen bereits zeigt." Das klingt ein bisschen nach Marx und der Warnung vor der Expropriation der Expropriateure. Und wenn der HDE vor so was Ähnlichem warnt, dann muss was im Argen sein.

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