Klage gegen zehn Ex-Vorstände:Siemens neu gegen Siemens alt

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Zehn ehemalige Vorstände von Siemens sollen nach SZ-Informationen mit Schadensersatzzahlungen in Millionenhöhe für die Korruptionsaffäre büßen. Das Unternehmen will auch die Ex-Konzernchefs Heinrich von Pierer und Klaus Kleinfeld verklagen.

Klaus Ott

Der Aufsichtsrat der Siemens AG will nächste Woche nach Informationen der Süddeutschen Zeitung beschließen, alle ehemaligen Zentralvorstände der Jahre 2003 bis 2006 vor Gericht auf Schadensersatz zu verklagen. Ihnen werden erhebliche Versäumnisse in ihrer Amtszeit angelastet, die einen der größten Korruptionsfälle in der deutschen Wirtschaft erst möglich gemacht haben sollen.

Siemens-Gebäude in München: Klage gegen zehn ehemalige Vorstände. (Foto: Foto: AP)

Pierer, Kleinfeld, der ehemalige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger und sieben weitere langjährige Top-Manager müssen mit Schadensersatzforderungen in Höhe von jeweils mehreren Millionen Euro rechnen.

Ein derartiges Vorgehen gegen den gesamten Ex-Vorstand eines Großkonzern ist einmalig in der Bundesrepublik.

Nach langen internen Prüfungen bei Siemens steht aus Sicht der neuen Konzernspitze fest, dass der frühere Zentralvorstand große Schuld an der Schmiergeldaffäre trägt, die das Unternehmen insgesamt mehrere Milliarden Euro kosten dürfte. Der Zentralvorstand war der innerste Zirkel der Macht, er bestand aus bis zu zehn hoch bezahlten Managern. Sie sollen über Jahre hinweg viele Hinweise auf schwarze Kassen im Unternehmen erhalten haben, dem aber nicht konsequent genug nachgegangen sein.

Außerdem sollen sie immer wieder auf gravierende Lücken bei den unternehmenseigenen Kontrollsystemen aufmerksam gemacht worden sein, ohne diese Mängel jedoch abzustellen. Das besagen Untersuchungsergebnisse von Siemens wie auch der Münchner Staatsanwaltschaft.

Teure Aufarbeitung

Die Staatsanwaltschaft hat im Mai ein Verfahren gegen Pierer, Kleinfeld und nahezu alle anderen Zentralvorstände eingeleitet, die von 2003 bis 2006 amtierten. Sie stehen im Verdacht, ihre Aufsichtspflicht im Konzern verletzt und so gegen das Ordnungsrecht verstoßen zu haben. Ihnen drohen jeweils bis zu eine Million Euro Geldbuße. Diese Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. Gegen vier frühere Zentralvorstände, darunter Ex-Finanzchef Neubürger, wird zusätzlich wegen Gesetzesverstößen ermittelt. Ob sie angeklagt werden, steht noch nicht fest. Im schlimmsten Fall könnten sie zu Gefängnisstrafen verurteilt werden.

Siemens will nun selbst auch gegen alle zehn Zentralvorstände der Jahre 2003 bis 2006 vorgehen. Mögliche Versäumnisse oder Vergehen vor 2003 wären verjährt. Das gilt sowohl für Gesetzesverstöße als auch für Schadensersatzforderungen. Die Aufarbeitung der Affäre hat Siemens bereits mehr als 650 Millionen Euro an Honoraren für Anwälte und Wirtschaftsprüfer gekostet.

In den USA ist mit einer Strafe in Milliardenhöhe durch die dortige Börsenaufsicht SEC zu rechnen. Siemens ist seit 2001 an der New Yorker Börse notiert und unterliegt somit deren Regeln, die hohe Strafen für Korruption vorsehen. Aktionäre von Siemens aus den USA sollen gedroht haben, vor Gericht gegen den Aufsichtsrat vorzugehen, falls frühere Vorstände nicht auf Schadensersatz verklagt werden.

Weltweit geschmiert

Siemens-Angestellte aus der Mehrzahl der einst zehn Konzernsparten haben nach Erkenntnissen der Ermittler über Jahrzehnte weltweit Regierungen und Geschäftspartner geschmiert, um Aufträge zu erhalten. Allein von 2000 bis 2006 sind 1,3 Milliarden Euro in dunkle Kanäle geflossen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen gut 300 Beschuldigte.

Beim Landgericht München steht kommenden Montag ein erstes Urteil gegen einen früheren Siemens-Direktor an. Im Verlaufe des Prozesses gab es weitreichende Erkenntnisse über den alten Vorstand. Der frühere Anti-Korruptionsbeauftragte Albrecht Schäfer sagte als Zeuge aus, mehr als 30 Vorschläge von ihm zur Verbesserung der eigenen Kontrollen und der internen Regeln seien vom Vorstand "nicht aufgegriffen oder abgelehnt worden".

Pierers Anwalt äußerte sich nicht zur geplanten Schadensersatzklage. Pierer war von 1992 bis 2005 Konzernchef. Er hat stets betont, schuldlos an der Affäre zu sein. Das sagt auch sein Nachfolger Klaus Kleinfeld von sich, der bis 2007 amtierte. Neubürgers Anwalt sagte, von einer bevorstehenden Klage sei ihm und seinem Mandanten nichts bekannt, deshalb wolle er sich dazu nicht äußern.

© SZ vom 22.07.08/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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