Das große Ziel hatte vier Buchstaben, und Steinhoff schien ihm immer näher zu kommen. Der deutsch-südafrikanische Möbelkonzern war auf bestem Weg, Ikea einzuholen. Er veröffentlichte atemberaubende Wachstumsraten und kaufte ständig neue Unternehmen auf. Was der deutsche Milliardär Bruno Steinhoff von den Sechzigerjahren an als Handel für günstige Möbel aufzog, war zum verschachtelten Weltkonzern geworden, zum zweitgrößten Möbelhändler des Planeten. Aber nur auf dem Papier. Denn dahinter steckte, wie sich herausstellte, ein gewaltiger Pfusch mit aufgeblähten Bilanzen. Die einst heiß gehandelte Steinhoff-Aktie ist heute nur noch Cents wert.
Für die mutmaßlich Verantwortlichen dieses Desasters wird es spätestens jetzt unangenehm. Auf Manager und Unternehmen kommt nach Informationen von NDR und Süddeutscher Zeitung eine Schadenersatzklage in Milliardenhöhe zu. Die auf Kapitalmarktrecht spezialisierte Anwaltskanzlei von Andreas Tilp aus der Nähe von Tübingen hat am High Court im südafrikanischen Johannesburg eine Sammelklage eingereicht. Verklagt sind mehr als 60 Personen und Unternehmen, darunter frühere Manager und mehrere beteiligte Firmen. Das vorläufige Klagevolumen liegt bei etwa zwölf Milliarden Euro. Tilp arbeitet mit Partnerkanzleien in Südafrika und den Niederlanden zusammen. Mehr als 800 Aktionäre haben sie bislang hinter sich. Ein südafrikanischer Privatinvestor fungiert als Leitkläger, der Ablauf ist ähnlich wie bei Investorenklagen in den USA.
Die Klage richtet sich auch gegen Banken und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, darunter die Commerzbank, die britische Bank Standard Chartered, die Wirtschaftsprüfer Deloitte und Rödl & Partner sowie "verantwortliche Einzelpersonen".
Es ist mutmaßlich der größte Bilanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik
Im Zentrum der Klage stehen der frühere Steinhoff-Chef Markus Jooste, Ex-Finanzchef Ben la Grange und der südafrikanische Milliardär Christo Wiese, der mehrere Jahre dem Aufsichtsrat vorsaß. Unternehmensgründer Bruno Steinhoff und dessen Tochter sind als ehemalige Aufsichtsräte ebenfalls betroffen. Die Commerzbank war federführend tätig, als der Konzern im Dezember 2015 in Frankfurt an die Börse ging. Zur Erstnotiz aber reiste der damalige Chef Jooste gar nicht erst an, offiziell blieb er wegen Nackenschmerzen in Kapstadt. Drei Tage zuvor hatte die Staatsanwaltschaft Oldenburg eine Razzia im deutschen Steinhoff-Sitz im niedersächsischen Westerstede veranstaltet.
Es war der erste deutliche Hinweis auf den mutmaßlich größten Bilanzskandal, den es in der Geschichte der Bundesrepublik je gegeben hat. Ende 2017 wurde schließlich bekannt, dass Steinhoff jahrelang Bilanzen frisiert und die wahre Lage des Konzerns verschleiert hatte. Externe Prüfer fanden in den Steinhoff-Büchern mehr als elf Milliarden Euro an Vermögenswerten, die nicht real existierten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter, unter anderem wegen Betrugs. Mit neuem Management kämpft der Konzern jetzt um seine Zukunft. Wichtige Beteiligungen wie die Mehrheit an den deutschen Poco-Möbelhäusern wurden bereits veräußert.
Den früheren Managern und Aufsichtsräten steht ein langwieriger Zivilprozess bevor. Der High Court in Johannesburg prüft zuerst die Klage und bestimmt später abstrakt den Kreis der Geschädigten. Maximilian Weiss, Anwalt der Kanzlei Tilp, erhofft sich "maximalen Druck auf die Verantwortlichen des Steinhoff-Skandals". Für diese gebe es keine "rechtsfreien Rückzugsorte". Strafrechtliche Konsequenzen hat es in diesem Fall bislang nämlich nicht gegeben.