Klage gegen Lkw-Bauer:Der große Kartellverdacht

Spediteure wollen von Lkw-Herstellern Schadenersatz wegen angeblicher Preisabsprachen. In München beginnt nun der Prozess, und der könnte sich über Jahre hinziehen.

Von Stephan Handel

Es geht um mehr als 600 Millionen Euro, es geht um fast 85 000 Lastwagen und um gut 3200 angeblich Geschädigte: Der größte deutsche Prozess um Schadenersatz aus dem so genannten Lkw-Kartell beginnt am Donnerstag vor dem Landgericht München I. Das Unternehmen "Financialrights Claim" verklagt für ihre Klienten die größten europäischen Lastwagen-Bauer Daimler, Volvo, Iveco, MAN und DAF.

Der Prozess ist der Nachhall eines Kartell-Verfahrens der EU, in dem den Herstellern insgesamt fast vier Milliarden Euro Bußgeld auferlegt wurden - allein Daimler bezahlte mehr als eine Milliarde, nur MAN kam straffrei davon, weil das Münchner Unternehmen sich offenbart und die illegalen Preisabsprachen aufgedeckt hatte. Nun versucht Financialrights Claim, Schadenersatz zu erzielen: Die Kaufpreise, so die Argumentation, wären ohne das Kartell niedriger gewesen. Die Hersteller bestreiten das vehement und weisen vor allem darauf hin, dass die EU-Kommission im Kartellverfahren nichts zu Auswirkungen auf den Markt festgestellt habe.

Financialrights Claim hat sich die Forderungen der Lkw-Käufer abtreten lassen und will, sollte die Klage Erfolg haben, 30 Prozent der erzielten Summe als Provision für sich behalten. Juristisch geführt wird die Klage von der amerikanischen Kartellrechts-Kanzlei Hausfeld, die Beklagten halten mit europäischen Groß-Kanzleien dagegen.

Ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg werden Probleme sein, die bislang höchstrichterlich noch nicht geklärt sind. So wird sich die 37. Zivilkammer des Landgerichts am ersten Verhandlungstag hauptsächlich mit der Frage der so genannten Aktivlegitimation beschäftigen: Ob das Geschäftsmodell von Financialrights Claims korrekt ist und das Unternehmen überhaupt berechtigt, ist zu klagen.

Sobald das geklärt ist, wird es an der Klägerin sein, die jeweiligen Schäden konkret nachzuweisen - was schwierig werden könnte, weil es ja um fiktive Zahlen geht: Wie viel ein Lastwagen denn gekostet hätte, wenn es kein Kartell gegeben hätte.

Financialrights Claims hat hierzu ein Gutachten beim Frankfurter Wirtschaftsprofessor Roman Inders in Auftrag gegeben, der Preisaufschläge von bis zu zehn Prozent und mehr ausgerechnet hat. Wenn der Prozess diesen Punkt erreicht, dürfte es zu einer "Gutachter-Schlacht" kommen, wie Insider meinen.

Neben dem nun beginnenden Mammut-Prozess sind bei der Münchner Kammer mehr als 100 Verfahren unterschiedlicher Größenordnungen um das Lkw-Kartell anhängig. Die jetzige Klägerin hat bereits eine weitere Klage von nur unwesentlich geringerem Umfang eingereicht, eine dritte ist nach ihren Angaben in Vorbereitung. Die 37. Zivilkammer ist aus diesem Grund von ihren anderen Aufgaben entlastet worden. So wurde eine Hilfskammer errichtet, die die gewöhnlichen Zivil-Streitigkeiten übernimmt. Wie lange der Prozess dauern wird, ist völlig unabsehbar: Optimistische Schätzungen gehen von zwei Jahren aus, andere halten fünf für realistischer - und das nur in der ersten Instanz, die allein wegen der hohen Schadensumme nicht die letzte sein wird.

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