Süddeutsche Zeitung

Kirch-Prozess:Zweifel an der Anklage

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Von Stephan Radomsky, München

Christiane Serini hat Urlaub. Den kann die Oberstaatsanwältin sicher gut gebrauchen, die letzten Monate waren anstrengend genug. Trotzdem wäre sie zumindest am Dienstag wohl doch auch gern im Münchner Strafjustizzentrum gewesen. Denn dort geht vor dem Landgericht der Strafprozess wegen versuchten Prozessbetrugs gegen den Co-Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, und vier weitere ehemalige Top-Manager des Instituts in die entscheidende Phase. Serini war die treibende Kraft hinter der Aufsehen erregenden Anklage.

Andererseits war es der Juristin vielleicht doch nicht so unrecht, den Dienstag nicht in Sitzungssaal B 273/II zu verbringen. Denn Peter Noll, der Vorsitzende Richter des fünften Strafsenats, lässt immer deutlicher durchblicken, wie groß seine Zweifel an der Argumentation der Anklage sind. Und das in einem der am prominentesten besetzten Wirtschafts-Strafprozesse der deutschen Geschichte.

Serini und ihre Kollegen wollen den angeklagten Bankern, neben Fitschen sind das auch seine beiden Vorgänger als Bankchefs Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer, nachweisen, dass sie den Zusammenbruch des Medienkonzerns von Leo Kirch 2002 mutwillig befeuerten, um die Gruppe anschließend Gewinn bringend zerschlagen zu können. Wichtigstes Indiz: ein TV-Interview Breuers vom Februar 2002, in dem er mit Verweis auf den Flurfunk der Finanzmärkte Kirchs Kreditwürdigkeit anzweifelte - obwohl der damals selbst Kunde der Deutschen Bank war.

Über Jahre toben deshalb die Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Kreditinstitut und Kirch, nach dessen Tod übernahmen seine Erben. Und tatsächlich war die Deutsche Bank in dem Schadenersatz-Verfahren Ende 2012 verurteilt worden und hatte sich anschließend mit Kirchs Nachfolgern auf eine Zahlung von 925 Millionen Euro verständigt.

Die Strafverfolger um Serini glauben nun, vier der Deutschbanker hätten auch versucht, ihre Pläne für eine "vorsätzliche sittenwidrige Schädigung" Kirchs - so der juristische Fachausdruck - im Zivilprozess durch abgesprochene falsche Aussagen zu verschleiern. Fitschen soll diese Fehler dann wider besseres Wissen nicht korrigiert haben, obwohl er seit Mitte 2012 als Co-Chef der Deutschen Bank die Möglichkeit dazu gehabt hätte.

Um ihre Vorwürfe zu belegen, greifen die Ankläger immer wieder auch auf das Zivilverfahren zurück. Es sei aber ein "nicht zutreffender Schluss", wenn die Staatsanwaltschaft aus der dort vertretenen Auffassung die tatsächliche Rechtslage oder gar die Vorstellungswelt der Angeklagten ableite, sagte Noll nun am Dienstag. Genau das scheine die Staatsanwaltschaft aber mit einem neuen Antrag auf die Aufnahme weiterer umfangreicher Protokolle, Gerichtsbeschlüsse und anderer Schriftstücke zu tun. Dabei sei das Zivilurteil nicht entscheidend - die Staatsanwälte müssten "eine Kausalität zwischen Täuschung, Irrtum und Schaden" nachweisen, forderte Noll. Das ist kaum verholene Kritik. Damit scheint der Versuch Serinis zu scheitern, doch noch einmal die Oberhand im Verfahren zu gewinnen. Ende August hatte sie insgesamt 18 neue Beweisanträge in Richtung der Verteidiger abgefeuert, 30 weitere Zeugen sollten vor Gericht befragt werden - darunter unter anderem auch der australische Medien-Unternehmer Rupert Murdoch, die Springer-Witwe Friede und der Vorstandschef des Verlagshauses, Mathias Döpfner. Sie alle hatten einst auf die ein oder andere Art Geschäftsbeziehungen mit Kirch und der Deutschen Bank unterhalten.

Doch deren Aussagen seien "bedeutungslos", kanzelte Fitschen-Verteidigerin Barbara Livonius die Anklage nun am Dienstag ab. Keiner der Prominenten könne etwas dazu sagen, ob und was in Bezug auf Kirch und den Schadenersatzprozess zwischen den Vorständen der Deutschen Bank abgesprochen wurde. Was andere mögliche Zeugen beitragen könnten, sei zudem entweder längst bekannt und unumstritten oder schlicht völlig unerheblich für die Verhandlung. Insgesamt zeigten die Anträge der Ankläger klar, dass diese "nicht der Wahrheitsfindung dienen können", so Livonius. Immer wieder sprachen sie und andere Verteidiger daher am Dienstag von "Prozessverschleppung" - was Noll dann doch ein Stirnrunzeln entlockte.

Allerdings hatte der Vorsitzende Richter der Oberstaatsanwältin bereits bei ihrem letzten Treffen im Gerichtssaal bedeutet, dass es angesichts der bisherigen vorgelegten Beweise noch "ein weiter Weg bis zum versuchten Prozessbetrug" sei. Trotzdem legte Noll nun weitere Verhandlungstermine bis Ende des Jahres fest - sicherheitshalber. Über die Anträge der Staatsanwaltschaft ist schließlich noch nicht entschieden. Serini hat nach ihrem Urlaub also noch einige Tage im Gerichtssaal, um Überzeugungsarbeit zu leisten.

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SZ vom 16.09.2015
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