Als Heinrich helfen will, ist es bereits zu spät. Ein Ritter reitet auf seinen Vater zu und streckt ihn mit einem Schlag in den Rücken nieder. Ein anderer durchbohrt Heinrichs Mutter mit einem Speer. Die Holzhäuser des böhmischen Dorfs Skalitz brennen, die unbekannten Angreifer töten jeden, der es nicht rechtzeitig in die Burg geschafft hat. Heinrich, einziger Überlebender vor den Burgtoren, soll Hilfe holen. Er rennt los.
Das Mittelalter-Rollenspiel "Kingdom Come: Deliverance" erzählt von den Kämpfen um den böhmischen Thron im Jahr 1403, die zwischen König Wenzel IV. und seinem Halbbruder Sigismund von Luxemburg tatsächlich stattgefunden haben. Daraus ergibt sich auch der Anspruch des Spiels: Möglichst realistisch soll es sein, dafür haben die tschechischen Entwickler von Warhorse Studios nach eigener Aussage in Geschichtsbüchern recherchiert und mit Historikern zusammengearbeitet. Die Debatte um Authentizität im Spiel ging jedoch schon früh in eine andere Richtung: Schon während einer Kickstarter-Kampagne des Spiels 2014 warfen einzelne Historiker dem Spiel vor, absichtlich auf nicht-weiße Charaktere zu verzichten.
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Einige Wochen vor der Veröffentlichung führte ein Blogpost zu einer erneuten Kontroverse, die von verschiedenen Games-Medien aufgegriffen wurde: In dem Post wirft der Historiker Jan Heinemann Daniel Vávra, dem Gründer und Chefentwickler von Warhorse Studios, vor, Rassist zu sein. Während der Gamescom 2017 trug Vávra ein T-Shirt von Burzum, das Musikprojekt des norwegischen Neonazis Varg Vikernes. In der "Gamergate"-Kontroverse um Sexismus unter Spiele-Entwicklern stellte er sich auf die Seite der frauenfeindlichen Aktivisten (und verwies auf die Meinungsfreiheit). In Interviews und sozialen Medien sagte er mehrfach, im mittelalterlichen Böhmen hätten ausschließlich weiße Menschen gelebt. Historiker vertreten die Auffassung, dass es in dem Gebiet sehr wohl andere Bevölkerungsgruppen gegeben hätte: Immigranten aus dem heutigen Italien, Griechenland, Deutschland, der Türkei und aus Zentralasien.
Qualvoll lange Ritte als Konsequenz der angepeilten Authentizität
Aber genügt das, ein ganzes Spiel zur völkischen Fantasie eines Mannes zu erklären? Gegenüber der Gameszeitschrift Gamestar hat sich Vávra für einige seiner Aussagen entschuldigt. Jegliche Auswirkungen auf den Inhalt des Spiels streitet er ab. Bleibt nur ein Blick auf das Spiel selbst: In etwa 20 Spielstunden in Kingdom Come begegnet der Spieler in der Tat keinem einzigen nicht-weißen Menschen. Mehr als hundert Stunden soll es insgesamt dauern, um es ganz durchzuspielen. Auch andere Minderheiten wie Juden oder Roma lässt das Spiel außen vor. Allein die Kumanen, ein Nomadenstamm aus Ungarn, kämpfen als Söldner an der Seite Sigismunds und werden von Heinrich und den anderen Charakteren im Spiel dementsprechend meist als ehrlose und habgierige Banditen dargestellt. Doch davon auf eine absichtlich aus rassistischen Gründen "bereinigte", weiße Darstellung zu schließen, wirkt übertrieben. Das Problem ist eher, dass sich die Entwickler keinen Gefallen damit getan haben, Kingdom Come: Deliverance als besonders realistisch und authentisch zu bewerben.
Der Spieler schlüpft in die Rolle des jungen Heinrich, Sohn des Schmieds von Skalitz. Gleich zu Beginn des Spiels wird Heinrich durch den Überfall von Sigismunds Truppen aus seinem Alltag gerissen. Er flieht und arbeitet sich in der Hierarchie nach oben. Mal soll er für den Müller den Ring eines Toten stehlen, mal für den Vogt Arbeitskräfte suchen, mal Seite an Seite mit den Burgherren der umliegenden Dörfer eine Schlacht schlagen. Bald verlassen sich die Adligen im böhmischen Bürgerkrieg auf Heinrichs Fähigkeiten.
Bis es so weit ist, dauert es aber einige Spielstunden. Kingdom Come braucht, um in Fahrt zu kommen. Das liegt nur zum Teil an der detailreichen Handlung mit langen Dialogen, denen der Spieler nur zugucken kann. Auch die angestrebte Authentizität trägt Schuld: Um von Dorf zu Dorf zu gelangen, muss Heinrich weite Wege durch Wälder, über Wiesen und Trampelpfade auf sich nehmen. Das sind manchmal kilometerlange Umwege, denn schwimmen kann er nicht. Gerade zu Spielbeginn, als er noch kein eigenes Pferd hat, dauert das qualvoll lange.
Die Darstellung des Mittelalters ist kitschig und verklärt
Die Entwickler rühmen sich vor allem des realistischen Kampfsystems. Aus fünf Richtungen kann der Spieler zuhauen oder - sechste Variante - zustechen. Unabhängig davon, inwiefern im Mittelalter tatsächlich so gekämpft wurde, offenbart das System Schwächen, sobald Heinrich mehreren Gegnern gegenübersteht. Das mag realistisch sein, macht manche Kämpfe aber zäh.
Nett sind dagegen die Kleinigkeiten, die den Spielverlauf beeinflussen: Trinkt Heinrich etwas Wein, löst das seine Zunge und er kann seine Gesprächspartner einfacher von seiner Meinung überzeugen; trinkt er regelmäßig, wird er alkoholkrank und schwächer. Der Haken: Selber Speichern kann der Spieler den Spielstand nur, indem er einen bestimmten Schnaps trinkt. Wer zu häufig speichert, wird Alkoholiker. Auch schlafen und essen muss Heinrich täglich, um bei Kräften zu bleiben. Das Survival-Prinzip ist zwar keine neue Idee in Computerspielen, aber Kingdom Come fügt seine eigenen Nuancen hinzu: Heinrich kann sich überfressen, bei altem Essen eine Lebensmittelvergiftung bekommen und der Grad der Erholung ist vom Komfort der Schlafstätte abhängig.
Es mag zwar einzelne Aspekte geben, wie die begrenzte Haltbarkeit von Lebensmitteln und die weiten Wege, die etwas Realismus simulieren sollen. Aber insgesamt ist das in Kingdom Come dargestellte Mittelalter vor allem kitschig und verklärt. Auf der einen Seite soll es um historische Ereignisse gehen, wie die gewaltsame Übernahme Böhmens durch Sigismund, auf der anderen Seite wollten die Entwickler eine spannende, aber unwahrscheinliche Heldenreise erzählen. Sie bemühen sich, die Umgebung von Skalitz so nachzubilden, wie sie ausgesehen haben könnte, zugleich macht es wenig Spaß, wenn ein Spieler 90 Prozent der Zeit im virtuellen Sattel verbringt. Das Spiel verpasst es bei allen spannenden Details, ein realistisches Gesamtbild zu zeichnen. Wer das erwartet, wird enttäuscht. Ähnliches gilt für die Hautfarben: Es fällt nicht auf, dass alle Charaktere im Spiel weiß sind. Denn das Spiel lenkt die Aufmerksamkeit auf viel banalere Dinge. Heinrich hat Hunger, die Müllerstochter will mit ihm ausgehen und er will sich am Mörder seines Vaters rächen. Letztendlich stellt Kingdom Come: Deliverance einen Kompromiss dar zwischen Spielbarkeit und dem Versuch, Geschichte akkurat abzubilden - und scheitert daran.
"Kingdom Come: Deliverance" ist für PC, Playstation 4 und Xbox One erhältlich.